Die Saat des Sturms
Nach dem Putschversuch im Kapitol üben sich die US-Sicherheitsbehörden in gegenseitigen Schuldzuweisungen
Sie trugen nicht nur Funkausrüstung, Helme und Kletterhilfen, sondern hatten auch Elektroschocker, Bärenspray und Baseballschläger dabei. Hunderte Randalierer bewiesen beim Sturm auf das Washingtoner Kapitol eine schockierende Brutalität. „Diese Kriminellen waren für einen Krieg vorbereitet“, sagt Steven Sund, der frühere Chef der Kapitol-Polizei: „Das war die schlimmste Attacke auf Sicherheitskräfte und die Demokratie, die ich erlebt habe.“
Bei der ersten Anhörung des USSenats zu dem blutigen Putschversuch am 6. Januar wurde der Horror des Tages noch einmal lebendig. Zwei Polizisten kamen bei dem Einsatz zur Verteidigung des Parlaments ums Leben. Zwei weitere Beamte töteten sich anschließend selbst.
Zugleich offenbarte die Ausschusssitzung auf dramatische Weise das organisatorische Chaos der Sicherheitsbehörden. In den USA gibt es nicht nur 15 Geheimdienste. Die Zuständigkeit für die Sicherheit im Regierungsviertel ist auf schwer verständliche Weise zwischen zahlreichen Polizeieinheiten und Nationalgardisten aufgeteilt.
In der Anhörung schoben sich vor allem der ehemalige Chef der Kapitol-Polizei, der kommissarische Chef der Washingtoner Stadtpolizei und die beiden Ex-Sicherheitschefs von Repräsentantenhaus und Senat gegenseitig den Schwarzen Peter für das offensichtliche Versagen beim Schutz von Gebäude und Parlamentariern zu. Umstritten ist vor allem, warum nicht viel früher die Nationalgarde zur Unterstützung der hoffnungslos überforderten Kapitol-Polizei gerufen und wie langsam die Bitte schließlich vom Verteidigungsministerium beantwortet wurde. Weitgehend einig sind sich die Polizei-Vertreter in ihrer Kritik an den Geheimdiensten, die die Gewaltorgie in keiner Weise adäquat vorausgesagt hätten. „Das Geheimdienstmaterial, das wir im Vorfeld bekommen haben, sagte in keiner Weise voraus, was tatsächlich passieren sollte“, monierte
Sund. Es besteht der Verdacht, dass die Behörden die öffentlich angekündigten Proteste in ihrer Gefährlichkeit unterschätzten, weil sie von weißen TrumpUnterstützern veranstaltet wurden und der Ex-Präsident selbst zur Teilnahme aufgerufen hatte.
Zweifel an ernsthafter Aufarbeitung Noch irritierender wirkten die Reaktionen mehrerer republikanischer Politiker auf die Schilderungen der Polizeibeamten. Der texanische Senator Ted Cruz spielte während der Vorträge desinteressiert an seinem Handy herum. Sein Kollege Ron Johnson, ein glühender Trump-Anhänger, nutzte die Fragezeit, um Verschwörungslegenden zu verbreiten. Er behauptete, unter dem gewalttätigen Mob hätten sich linke „Provokateure“und „falsche Trump-Unterstützer“befunden. Die „festlich und fröhlich“ gestimmten Protestler hätten die mangelnde Polizeipräsenz am Kongress als eine Art „Einladung“zum Besuch verstehen müssen.
Zwar widersprach die demokratische Ausschussvorsitzende Amy Klobuchar in ihrem Schlusswort energisch: „Es war ein geplanter Aufruhr.“Doch die Verharmlosung und Verfälschung der Vorgänge durch mehrere Republikaner nährt ernste Zweifel an der parlamentarischen Aufarbeitung des Putschversuches. Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, will eine Untersuchungskommission einsetzen, deren Mitglieder mehrheitlich von den Demokraten bestimmt werden. Das lehnen die Republikaner ab. Ein paritätisches Gremium aber dürfte nach der Anhörung ernste Schwierigkeiten haben, zu einem gemeinsamen Befund zu kommen.
Das Geheimdienstmaterial sagte in keiner Weise voraus, was tatsächlich passieren sollte. Steven Sund, der frühere Chef der Kapitol-Polizei