Schamlose Impfdrängler
Im korruptionsgeplagten Libanon verstößt die Politik gegen die Impfreihenfolge – jetzt droht die Weltbank mit einem Finanzierungsstopp
„Für uns alle wird jetzt ein Traum wahr“, jubelte der libanesische Gesundheitsminister Hamad Hassan, als am Valentinstag im RafikHariri-Hospital von Beirut die ersten Covid-Impfungen verabreicht wurden. Zwei Millionen Dosen des Corona-Impfstoffs von Pfizer/ Biontech wurden bestellt, nachdem die Weltbank einen Kredit von 34 Millionen Dollar dafür bewilligt hatte. Die gerechte und transparente Verteilung der Impfdosen werde genau überwacht, twitterte der stellvertretende Regionaldirektor der Organisation, Ferid Belhaj.
Um die womöglich lebensrettende Impfung zu bekommen, müssen sich alle Libanesen auf der Webseite des Beiruter Gesundheitsministeriums registrieren. Priorisiert werden – theoretisch – nur die über 75-Jährigen sowie medizinisches Personal. Tatsächlich angewandt wurden und werden jedoch die im Libanon gültigen Regeln der Vetternwirtschaft, welche das Land in den Ruin getrieben haben. Anstatt die Impfreihenfolge einzuhalten bestanden Minister, Staatssekretäre und Parlamentsabgeordnete auf die gewohnte Vorzugsbehandlung und bekamen sie auch.
Gewohnte Mauscheleien
Ganz besonders schamlos verhielt sich die Familie von Staatspräsident Michel Aoun, die nach Beiruter Presseberichten „gleich den ganzen Clan inklusive der Büroangestellten“durchimpfen ließ. Unzählige Mauscheleien wurden auch aus den Beiruter Impfzentren gemeldet, in denen zahlungskräftige Libanesen zuerst an die Reihe kamen, während andere wie von Geisterhand von den Listen des Gesundheitsministeriums verschwanden.
Im Verborgenen blieb die von der oppositionsnahen „Arabischen
Reforminitiative“angeprangerte „Politisierung der Impfstoffe und deren Verteilung auf klientelistischer Basis“freilich nicht.
Als die ersten 30 Namen prominenter Impfdrängler unter lautstarken Protesten von den Medien veröffentlicht worden waren, schaltete sich die Weltbank ein. Sollte sich das Land, allen voran die Politiker, nicht sofort an die Impfreihenfolge halten, werde man die Finanzierung des 34 Millionen teuren Impfprogramms unverzüglich stoppen, warnte Saroj Kumar Jha, der Regionaldirektor für den Mittleren Osten, auf Twitter. Hinter seinen Tweet setzte er den Hashtag „nowasta“, dem arabischen Wort für Vetternwirtschaft.
„Ich appelliere an Sie“, fügte er hinzu, „solange zu warten, bis Sie an der Reihe sind“. Ein Finanzierungsstopp hätte für das bankrotte Land gravierende Folgen. Mehr als 320 000 der gut sechs Millionen Bürger haben sich seit Beginn der Pandemie mit dem Virus infiziert. Rund 3 400 Menschen sind bisher gestorben. Fast 100 Prozent der Intensivbetten sind belegt. An Covid-19 Erkrankte werden inzwischen in ihren auf Krankenhausparkplätzen abgestellten Autos behandelt.
Mit dem Beginn der Impfkampagne sehen die Libanesen zum ersten Mal ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Entsprechend groß ist die Wut auf die Politikerklasse, die für die drohende Impfkatastrophe verantwortlich wäre. „Meine 86 Jahre alte Mutter muss warten, während ein nicht einmal 30 Jahre alter Enkel des Präsidenten geimpft wird“, empörte sich Leila auf Twitter.
Erinnerung an Explosion in Beirut Andere Libanesen werfen der Politik vor, „über Leichen zu gehen“und erinnern – sicherlich nicht zu Unrecht – an die verheerende Explosionskatastrophe im Beiruter Hafen im August 2020. Trotz zahlreicher Beweise und Dokumente, aus denen zweifelsfrei hervorgeht, dass hochrangige Politiker von der Existenz des todbringenden Ammoniumnitrats gewusst haben, wurde bisher noch niemand zur Rechenschaft gezogen. Der zuständige Ermittlungsrichter verkündete in der vergangenen Woche, er werde die Untersuchungen ruhen lassen. Bis zum Ende des CoronaLockdowns.
Meine 86 Jahre alte Mutter muss warten, während ein nicht einmal 30 Jahre alter Enkel des Präsidenten geimpft wird. Die Libanesin Leila auf Twitter