„Das benachteiligt Luxemburger Firmen“
Unternehmensverband hofft auf europäische Lösung: Diskussion um ein nationales Lieferkettengesetz geht in die Endrunde
Um die Globalisierung gerecht gestalten und Missständen in Pakistan und anderswo abzuhelfen, wird in Luxemburg seit drei Jahren über ein sogenanntes Lieferkettengesetz diskutiert. Die Befürworter eines solchen Gesetzes sagen, freiwillige Regeln helfen nicht. Unternehmen müssten gesetzlich dazu verpflichtet werden, nicht nur auf ihr eigenes Handeln zu achten, sondern auch auf das von Tochterund Subunternehmen sowie Zulieferern.
„Einige Unternehmen haben bereits Schritte unternommen, um ihrer Verantwortung nachzukommen. Die Erfahrung zeigt aber, dass freiwillige Selbstverpflichtungen allein nicht ausreichen. Eine gesetzliche Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten würde zu Rechtssicherheit und gleichen Wettbewerbsbedingungen („level playing field“) beitragen“, so die Initiative pour un devoir de vigilance.
Der Luxemburger Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten, Jean Asselborn, begrüßt die am 11. Februar veröffentlichte Pressemitteilung der Initiative: „Die Regierung ermutigt die Wirtschaftsakteure, effektive Risikomanagementsysteme einzurichten“, teilte das Ministerium mit. Ein im März 2018 von der Regierung verabschiedete Nationaler Aktionsplan zu Wirtschaft und Menschenrechten betont die Bedeutung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch Unternehmensaktivitäten zu verhindern. Ob und wie das aber in einem eigenen nationalen Gesetz verankert werden kann, dazu wurde Basak Baglayan, Expertin der Universität Luxemburg, mit der Durchführung einer Studie beauftragt.
In einer Voruntersuchung mit dem Titel „Mapping the business and human rights landscape in Luxembourg“hatte die Expertin beklagt, die meisten Unternehmen legten mangelnden Bewusstsein für diese Frage an den Tag. Die Forscherin hatte den 30 größten Unternehmen des Landes einen umfangreichen Fragebogen zugestellt, der nur von etwa der Hälfte der Firmen beantwortet worden war. Nur fünf der Unternehmen, die antworteten, erklärten damals, dass sie die Folgen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte bewerten.
UEL gegen eine einseitige nationale Gesetzgebung
Im Rahmen der aktuellen Debatte über ein luxemburgisches Lieferkettengesetz sprechen sich 32 Unternehmen für eine nationale Gesetzgebung zur menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht aus. 32 von mehr als 38 700 Unternehmen – 920 davon in der Industrie und 7 400 im Handel – ist nicht viel. Die Zurückhaltung der Betriebe erklärt sich daraus, dass sie mehr Bürokratie befürchten und bei nichtentdeckten Verstößen ihrer Zulieferer haften müssten.
Die Absicht, wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz auf nachhaltige und generationenübergreifende Weise zu erreichen, unterstütze auch die Handelskammer, erklärt deren Generaldirektor Carlo Thelen. Die Kammer befürworte daher auch die Entwicklung eines Sorgfaltsprüfungsmechanismus, der einen Fortschritt gegenüber der derzeitigen Situation darstellt. „Aber ein solcher Mechanismus muss in der Praxis für Unternehmen praktikabel sein“, so Thelen. Eine einseitige nationale Gesetzgebung würde mehr Risiken als Vorteile mit sich bringen. Ein harmonisierter Rechtsrahmen auf europäischer und globaler Ebene sei daher einer einseitigen nationalen Gesetzgebung vorzuziehen. So ist auch die Position der Union des entreprises luxembourgeoises (UEL), die sich gegen eine einseitige nationale Gesetzgebung ausspricht. „Luxemburg ist eine offene Volkswirtschaft und kann nicht von sich aus seinen eigenen Unternehmen gesetzliche Beschränkungen auferlegen, die weiter gehen als die, denen ausländische Unternehmen ausgesetzt sind“, so die UEL.
„Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ist ein wichtiges Thema, aber wir haben einen Binnenmarkt und brauchen deswegen eine einheitliche Richtlinie mit klaren Regeln für alle, die ja auf EUEbene in Ausarbeitung ist und diesen Sommer vorgestellt werden soll“, sagt UEL-Direktor Jean-Paul Olinger. Für die Unternehmen werde es ein großer Aufwand, gründlich ihre Lieferketten zu prüfen, erst recht wenn die Gesetze von Land zu Land unterschiedlich sind. Ein Zwischenschritt, bis die europäische Regelung da sei, so Olinger, könnte der Pacte national „Wirtschaft und Menschenrechte“ sein sowie die Bereitstellung praktischer Instrumente zur Durchführung der Sorgfaltspflicht wie Schulungen, Standards, Vorlagen, Beratung, Best Practices, Governance-Tools. Wenn jedes Land eigene Initiativen und Strategien einführe, die sich in Umfang und Reichweite unterscheiden, „werden wir am Ende einen Flickenteppich haben, der innerhalb des europäischen Binnenmarktes und darüber hinaus nur schwer umzusetzen ist“, so die UEL.
Laut einer TNS-Studie unterstützen allerdings 92 Prozent der Bevölkerung die Idee, ein nationales Gesetz zu verabschieden, das Unternehmen mit Sitz im Luxemburg verpflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu ergreifen. Entscheidend bliebt freilich, mit welchen Maßnahmen.
„Ängste der Unternehmen sind unbegründet“
Bislang gibt es in den Niederlanden ein Gesetz, das Kinderarbeit in der Lieferkette verbietet, und in Frankreich wurde 2017 das Gesetz „Loi de vigilance“verabschiedet. In Deutschland, wo unlängst ein Gesetzesentwurf vorgestellt wurde, soll die Prüfungspflicht – ähnlich wie in Frankreich, wo Unternehmen mit mindestens 5 000 Beschäftigten auf französischem Territorium oder 10 000 Beschäftigten weltweit betroffen sind – für Unternehmen mit mehr als 3 000
Beschäftigten gelten. Von 2024 an werden dann auch Unternehmen mit mindestens 1 000 Beschäftigten einbezogen.
Auch wenn zuweilen Zweifel gestreut würden, so Jean-Louis Zeien von der Initiative pour un devoir de vigilance Luxembourg, „das Gesetz, das in Frankreich umgesetzt wird, funktioniert.“Geschädigte in Uganda haben unlängst in Frankreich wegen Umweltvergehen eine Klage gegen den Mineralölkonzern Total angestrengt. Es sei aber keineswegs so, fährt Zeien fort, dass mit dem Gesetz eine Klagewelle die Unternehmen heimgesucht habe; auch nicht, dass Unternehmen Frankreich deswegen verlassen hätten. Solche Ängste von Unternehmen seien unbegründet. Das Gesetz bedeute eine Vorsorgepflicht und verpflichte die Unternehmen, ihre Auswirkungen auf Menschen und Umwelt jährlich auszuwerten, so Zeien. Mit dem Gesetz müssen Unternehmen Pläne vorlegen, was sie zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz tun, die in den Grundprinzipien der Vereinten Nationen (UN) 2011 festgehalten wurden.
Ein Stufenplan bei der Umsetzung wie in Frankreich und Deutschland sei darum sinnvoll, um die Unternehmen mitzunehmen; auch müsse bei den gestellten Verpflichtungen die Größe der Unternehmen berücksichtigt werden. Einer Analyse der EU-Kommission zufolge liegen die Kosten für die Unternehmen prozentual zum Umsatz im Promillebereich. Und statt dass Unternehmen durch das Sorgfaltsmanagement Nachteile erfahren, würde es insgesamt noch ihr Risikomanagement verbessern, sagt Zeien.
Im Idealfall prüfen mit dem Gesetz Unternehmen ihre gesamte Wertschöpfungskette, spüren auf und unterbinden mögliche Verstöße. Wie praktikabel das ist, das analysiert derzeit die Uni-Forscherin Baglayan. Ende März will sie das Ergebnis ihrer Untersuchung vorstellen.
Ein Sorgfaltsgesetz hinsichtlich Menschenrechte und Umweltschutz würde wohl nicht allein Industrie und Handel, sondern auch die Finanzwirtschaft betreffen. Dort ist man einem nationalen Gesetz gegenüber nicht abgeneigt: Eine im November vorgestellte Studie, die im Auftrag von „Luxembourg for Finance“von „Finance and Human Rights asbl“ausgeführt wurde, ergab, dass 75 Prozent der Finanzexperten in der Branche der Meinung ist, dass „der Respekt der Menschenrechte nicht allein freiwilligen Initiativen überlassen werden darf und dass die Regierungen klare gesetzliche Standards hierzu setzen müssen“. Eine im Januar von Greenpeace Luxemburg vorgelegte Analyse besagt allerdings auch, dass Luxemburgs Fondsindustrie „die globale Klimakrise finanziert“. Denn viele Fonds investieren in überdurchschnittlich Treibhausgase ausstoßende Industrien und würden bei ihren Investitionsentscheidungen keine systematische Berücksichtigung von Klimakriterien vornehmen. Nun ist die Frage, wie sich die Angelegenheit bei einem entsprechenden „Sorgfaltsgesetz“verhält – könnten Umweltschützer dann gegen Fonds klagen, weil sie umweltschädigend investieren?
Außenminister Asselborn favorisiert eine europäische Richtlinie. Dass es in Luxemburg dennoch zu einem nationalen Lieferkettengesetz kommt, macht die Tatsache, dass sich das Land gerade für einen Sitz im Menschenrechtsrat der UN bewirbt, zumindest nicht unwahrscheinlicher.
Wir brauchen eine einheitliche Richtlinie statt einen Flickenteppich. Jean-Paul Olinger, Direktor UEL