Spannende Summe der Teile
Heute startet Suzan Noesens Ausstellung „Labyrinth der gestischen Tropen“im Ettelbrücker Cape
Eineinhalb Jahre Arbeit; viel Zeit und künstlerische Recherche ist in die Vorbereitungen für dieses „Labyrinth der gestischen Tropen“geflossen, das da in dem großen Foyer mit der aufstrebenden Decke zur Fensterfront Richtung Alzette entstanden ist. Rechtzeitig ist alles im Ettelbrücker Centre des Arts Pluriels (Cape) fertig geworden. Vor der Vernissage am gestrigen Abend zieht Suzan Noesen Bilanz über diesen Kosmos, den sie da geschaffen hat. „Das ist eine besondere Gelegenheit, alleine für diesen Raum eine Schau entwickeln zu können. Er eignet sich auch dafür, etwas auszuprobieren – und gleichzeitig hat er etwas sehr Museales; und damit wollte ich arbeiten. Das bedeutet aber auch, genau darauf zu achten, wie man die Mittel einsetzt.“
Einerseits arbeitet die luxemburgische Künstlerin mit dem komplizierten Raum vor Ort und passt ihre Arbeiten dieser besonderen architektonischen Volumengestaltung mit der Schräge und Höhenveränderungen an. Unterschiedliche hohe Kuben prägen das Bild. Von der mathematisch präzisen Planung fällt dem Betrachter vielleicht später gar nichts so schnell auf. Aber sie musste gemacht werden – ebenso die Wirkungen geplant werden, die dann entstehen, wenn der Betrachter sich durch dieses Labyrinth bewegt. Verwirrt werden soll er auf besondere Weise – nämlich, dass er sich an jedem neuen Standpunkt neu orientieren muss.
Letztlich funktioniert die Schau wie das Zusammenspiel von Rollen, in die man als Betrachter schlüpfen kann – oder besser gesagt, deren Rollenbild mit Charakteristiken und Ausprägungen entdeckt. Einerseits ergeben dann die Teile das große Ganze, eine Art Aushandlung und Gruppendialog – und doch stehen sie wiederum einzeln für sich selbst, in ganz unterschiedlicher Aussage und in verschiedenen Bezügen zu den anderen Teilen der Gruppe. Erinnerungen an eine Darstellergruppe einer Bühne oder Wohngemeinschaft kommt auf.
Rollen in der Gruppe
Auffällig: Noesen arbeitet mit sehr vielen Techniken und Materialausdrücken oder unterschiedlichen
Lichtdurchlässigkeiten – zum Beispiel Fotografie auf Backlit-Folie, Malerei auf verschiedenen Stoffen. Dadurch verändert sich auch je nach Standpunkt der Blick auf die anderen Teile der Ausstellung.
Ihr Interesse an sozialer Interaktion und Gruppendynamik sei die thematische Basis hinter dem Projekt gewesen – ebenso wie ihre Faszination für Gesten und Körperbewegungen, verrät Noesen. Der Rollentausch wird zum Programm – ein „sich finden“des Betrachters schwingt mit. „Ich habe auch viel über das Modell einer gerechten Gesellschaft bei Thomas Morus nachgedacht, der über gesellschaftliche Rollen und Verantwortungen des Einzelnen nachdenkt“, betont die Künstlerin. So liegen in diesem Konstrukt auch die Fragen darüber: Was macht es für die Gruppe aus, wenn Rollen ausdefiniert werden? Was wenn ich die Rolle wechsle – und ist es gut, die Rolle und den Blick zu wechseln? Was bringt das für Veränderungen in der Gruppe?“
Geplant und doch intuitiv
Konkret unterlegt sie diese Rollenbilder in einer Mischung an künstlerisch-symbolischen Zuweisungen und eben körperlichen ausdrücke, Gesten der Hand, Bilder der Haut, der menschliche Körper in Aktion. „Wer will, bekommt die Informationen zu den Assoziationen, einen Schlüssel zu dem Plan, der dahintersteckt. Aber andererseits soll der Betrachter auch frei durchlaufen können, um sich visuell und inhaltlich einfach stimulieren zu lassen und so die Sinneseindrücke in Beziehung zu setzen.“Aber ist das so einfach? Das, was Noesen da an Vielfalt aufgeladen hat, braucht Muße. Sie selbst habe sich dieser Vielfalt im Ausdruck – nach der Rückkehr nach Luxemburg 2017 – wieder geöffnet, wie sie sagt. Sie hatte sich unter anderem dem Spielfilm gewidmet. „Und jetzt schaue ich, wie ich in der bildenden Kunst eine räumliche und körperliche Erfahrung schaffen kann. Spontan, intuitiv, experimentell, improvisiert“, gibt sie zu.
Das steht bis zu einem gewissen Grad zu ihrem Ausdruck im Finale der Rotondes-Schau rund um den „LEAP – The Luxembourg Encouragement for Artists Prize 2020“im Gegensatz. Dort habe sie ihr lang vertraute Werke gezeigt, die sie noch stärker in der Szenografie in Bezug setzte. „Das wollte ich bewusst im Cape ändern. Und ich habe jetzt bis zum Schluss Raum gelassen. Das war superspannend, aufregend – aber auch anstrengend. So ist eine Einheit entstanden, in denen die einzelnen Medien ihren Platz haben, Körperlichkeit in der Kunst sich mit der körperlichen Erfahrung des Publikums mischt. Eine konzentrierte Momenterfahrung, die viel auslöst.“
Suzan Noesen, „Labyrinth der gestischen Tropen“, bis 20. März im Foyer des Cape, 1, place Marie-Adélaïde, Ettelbrück, geöffnet Montag bis Samstag zwischen 14 und 20 Uhr (keine Reservierung nötig). Die Biografie der Künstlerin und weitere Projektdetails finden sich unter: www.suzannoesen.com www.cape.lu