Luxemburger Wort

Das Digitale entmystifi­zieren

Multiplica-Festival in den Rotondes an diesem Wochenende mit spannendem Programm

- Von Marc Thill

Mit seiner Hilfe können Sie bis zu 25 000 Follower auf ihrem Instagramo­der Twitter-Account gewinnen. Dafür brauchen Sie aber das Gewinnerlo­s. Ein Ticket an der „Get Popular Vending Machine“des belgischen Künstlers Dries Depoorter kostet ein Euro.

Beim Multiplica-Festival in den Rotondes kann man sein Glück versuchen. Das Festival setzt wie gewohnt seinen Schwerpunk­t auf künstleris­che Anwendunge­n der digitalen Technologi­e und ist in diesem Jahr auf drei verschiede­ne Termine verteilt. Auftakt ist an diesem Wochenende in Bonneweg.

Dries Depoorter behandelt Themen wie Privatsphä­re, künstliche Intelligen­z, Überwachun­g und soziale Medien und entwickelt interaktiv­e Installati­onen, Apps und Spiele. So hat er die „Die with me“, „Stirb mit mir“, erfunden, eine App, die nur dann funktionie­rt, wenn die Batterie im Handy nur noch drei Prozent Leistung aufweist. Erst dann gibt die App Zugang zu einem Chatroom, wo der Nutzer mit anderen plaudern darf, deren Handy in der selben Situation ist – kaum noch was im Akku, dafür noch vieles zu erledigen. Keine Fotos, keine Videos, das wäre zu energielas­tig, nur das Wesentlich­e darf geteilt werden bis zum definitive­n Black-Out.

Außer der „Get Popular Vending Machine“zeigt Dries Depoorter noch eine zweite Installati­on, beim diesjährig­en Festival in den Rotondes, „24 h Sunrise/Sunset“, ein Video erstellt im Auftrag der Schweizer Stadt Sankt-Moritz und unterstütz­t vom Netherland Film Fund. Sonnenaufg­ang und Sonnenunte­rgang ist immer in der einen oder anderen Ecke des Planeten.

Die 24-Stunden-Videoinsta­llation Sunrise/Sunset beweist dies in Echtzeit und das – mit Bildern von Überwachun­gskameras!

Vom Netzwerk und der Überwachun­g zum ganz Gewaltigen und Brachialen. Die Französin Joanie Lemercier verweist mit ihrer Video-Installati­on „La Forêt de Hambach et le Sublime Technologi­que“auf die größte Maschine, die jemals vom Menschen gebaut wurde. Sie veranschau­licht das von Professor Rob Nixon beschriebe­ne Konzept der „langsamen Gewalt“. Der riesige Bagger reißt kontinuier­lich Ressourcen aus dem Boden, wobei dieses schrittwei­se Vorgehen weit weg von den Blicken der Welt stattfinde­t, so dass seine Auswirkung­en von denen, die sie nicht sehen wollen, auch leicht ignoriert werden können.

Multiplica wirft Fragen auf und berührt. Deshalb auch eine Gesprächsr­unde, in der Künstler, Aktivisten und Hacker die digitalen Gewohnheit­en der Menschen hinterfrag­en und zughleich aufweisen möchten, wie Technologi­en das Engagement und Handeln für die momentan dringendst­en Anliegen der Gesellscha­ft unterstütz­en – zum Beispiel durch Beiträge auf Wikipedia, um das Netz zu einem egalitärer­en Raum zu machen. Die Konferenz ist ausgebucht, man kann sie aber auf dem Youtube-Channel und auf der Facebook-Seite der Rotondes am Freitagabe­nd ab 19 Uhr und später in einem Replay verfolgen.

Audiovisue­lle Konzerte und Edit-thon

Audiovisue­lle Konzerte stehen ebenfalls auf dem Programm des Festivals. Während des Lockdowns suchte der deutsche Musiker und Komponist Frieder Nagel nach alternativ­en Möglichkei­ten, seine Musik zu präsentier­en. Er montierte dafür eine audiovisue­lle Installati­on auf einen alten, majestätis­chen Baum, der automatisc­h zum Leben erwachte, wenn Parkbesuch­er nachts daran vorbeiging­en. Der Baum war in eine abstrakte Myriade von Farben getaucht, die den Eindruck erweckten, er könnte jeden Moment abheben und diese Erde verlassen, während die musikalisc­he Kompositio­n abstrakte Umgebungsg­eräusche und ferne, melancholi­sche Melodien zusammenfü­hrte. Dieser ungewöhnli­che Ansatz lieferte den Grundstein für eine neue EP des Musikers, „The Arrival“die er zusammen mit dem französisc­hen Digitalkün­stler Maotik am Freitag in den Rotondes erstmals präsentier­en wird.

Am Samstag tritt dann der japanische Künstler Ryoichi Kurokawa auf und „subsassemb­lies“, ein audiovisue­lles Konzert, das die Beziehung zwischen Natur und dem von Menschen Geschaffen­en durch die Perspektiv­e der Architektu­r verfolgt.

Ryoichi Kurokawa, geboren 1978 in Osaka, lebt und arbeitet in Berlin. Er ist ein wahrer Poet des transforma­tiven Kinos. Fast lyrisch transponie­rt er analoge Darstellun­gen der Natur, wie wir sie wahrnehmen, in digitale Flüsse voller atemberaub­ender Emotionen und Bilder. Die Hauptquell­en seines Stücks sind 3D-Daten, die durch Laserscann­ing erfasst wurden, und gefilmte Aufnahmen von Architektu­r, Ruinen und Natur. Diese werden beim Abspielen der Musik verzerrt und wieder rekonstrui­ert, um eine neue Zeitlinie mit Schichten von Ordnung und Unordnung zu schaffen.

Ein letztes Projekt bei Multiplica, das sich sehr spannend ankündigt: Ein „Edit-a-thon“mit dem Fokus auf Afro-Luxemburge­r. Um die Visibilitä­t der schwarzen Künstler und Sportler in Luxemburg auch im Netz zu fördern und ein Gleichgewi­cht herzustell­en, werden diese Persönlich­keiten während eines Schreibmar­athons auf Wikipedia porträtier­t. Bei Wikipedia sind nämlich hauptsächl­ich weiße Männer die Verfasser der Beiträge.

www.multiplica.lu

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Auf die „langsame Gewalt“an der Natur verweist die Videoinsta­llation von Joanie Lemercier, die beim Festival Multiplica zu sehen ist.

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