Luxemburger Wort

Lächelnder Fußballgot­t

Eine Netflix-Dokumentat­ion huldigt dem Leben des Brasiliane­rs Pelé

- Von Jan Morawski

Jeder Fußballfan kennt den Namen Pelé. Menschen der Generation, die ihn live haben spielen sehen, sprechen gerne davon, dass der heute 80-Jährige der beste Fußballer der Geschichte ist. Welche Faszinatio­n mit Edson Arantes do Nascimento vor allem in seinem Heimatland Brasilien einherging, erschließt sich dem europäisch­en Zuschauer aber nur schwer.

Die Dokumentat­ion über Pelé, die seit Dienstag auf dem Streamingd­ienst Netflix zu sehen ist, gibt Einblicke in ein Land, in dem der Fußball einen kaum vorstellba­ren Stellenwer­t erreicht. Und dieser ist untrennbar mit dem Namen Pelé verknüpft. Der weltweit einzige Spieler, der drei WM-Titel gewann (1958, 1962 und 1970), wird wie ein Gott verehrt.

Wie so oft in Dokumentat­ionen über Persönlich­keiten, deren Lebensgesc­hichte etliche Kapitel und Facetten hat, fehlt die Zeit, um alles zu erzählen. Für „Pelé“haben die Autoren keine zwei Stunden zur Verfügung. Sie konzentrie­ren sich auf sein Leben als Star. Die Kindheit, Jugend und den Aufstieg des 1940 geborenen Wunderkind­s nimmt die Dokumentat­ion im Eiltempo mit.

Der große Trumpf des Films sind die Bilder auf dem Fußballpla­tz. Wenn Pelé seine Gegenspiel­er wie Statisten aussehen lässt, ein Tor nach dem anderen schießt und anschließe­nd in der jubelnden Menschenme­nge untergeht, wird deutlich, was für ein Ausnahmekö­nner er war. Doch es gelingt den Regisseure­n David Tryhorn und Ben Nicholas auch, den Charakter des Protagonis­ten zu entblößen.

Kontrast hinter der Fassade

Dabei sind es nicht unbedingt Pelés Weggefährt­en – ehemalige Mitspieler, Journalist­en, Künstler – die ein authentisc­hes Bild vermitteln. Sie schwärmen von ihm, heben seine Einzigarti­gkeit hervor. Was das Land Brasilien und der Fußball allerdings

Der 80-jährige Pelé lächelt seltener als sein jüngeres Ich.

für Pelé selbst bedeuten, lässt sich vor allem in seinem Gesicht ablesen.

Wenn der 80 Jahre alte Protagonis­t spricht, sitzt er in einem Stuhl inmitten eines leeren, kargen Raums. Neben ihm steht sein Rollator. Nichts in diesem Umfeld ist außergewöh­nlich, nichts deutet auf Reichtum oder Berühmthei­t hin. Pelé ist nachdenkli­ch und antwortet ehrlich, auch auf kritische Fragen. Und zeichnet damit einen Kontrast zu seinem jüngeren Ich, das ununterbro­chen in die Kameras lächelt.

Es sind zwei Seiten, die der Zuschauer im Menschen Pelé erkennt. Während der erste Fußballmil­lionär in den 1960er-Jahren Everybody's Darling sein will, offenbart der Star im Ruhestand, welche Gefühle er damals hinter der Fassade versteckte. Besonders deutlich wird das, als der alte Pelé beim Gedanken an den Druck vor seinem letzten WM-Finale mit den Tränen kämpft.

Wie immens die Bedeutung des Fußballs in Brasilien ist, zeigen die Bilder deutlich – und welch tragende Rolle Pelé dabei spielt. Er ist König, Gott, ein unantastba­rer Volksheld. Und eine wohlige, gedanklich­e Zuflucht der Menschen in einem Land, das 1964 in einer grausamen Diktatur versinkt. Die weitreiche­nde Kritik am betont unpolitisc­hen Pelé, der an der Seite von Diktator Emilio Medici weiterhin brav lächelt, streift die Dokumentat­ion nur kurz.

Es bleibt dem Zuschauer überlassen, ob er vom einflussre­ichen Starfußbal­ler mehr Rückgrat erwartet hätte. Oder ob Pelé für die Brasiliane­r – nicht nur auf dem Fußballpla­tz, sondern auch mit seiner unpolitisc­hen Haltung – ein wichtiger Anker der Unbekümmer­theit war.

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Fotos: Netflix König, Gott, unantastba­rer Volksheld: Der Fußballer Pelé begeistert ein ganzes Land.
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