Luxemburger Wort

Kalender der Natur

Menschen hoffen auf vorgezogen­en Frühlingsb­eginn – die Phänologie weiß die Zeichen der Zeit zu deuten

- Von Christian Satorius

Luxemburg. Kann es sein, dass draußen schon Frühling herrscht? Eigentlich sollte der doch erst am 20. März beginnen, meinen zumindest die Astronomen. Ein Blick aus dem Fenster sagt aber etwas ganz anderes: Zwitschern­de Vögel und blühende Krokusse bereiten uns schon jetzt die ersten Glücksgefü­hle.

Die genaue Beobachtun­g der Natur kommt zu einem ganz anderen Schluss als Meteorolog­ie und Astronomie: Phänologie nennt sich die Forschungs­richtung, die weiß, wie die Zeichen der Zeit in der Natur erkannt und richtig gedeutet werden. Sie orientiert sich dabei am Blattaustr­ieb bestimmter „Kennpflanz­en“, die als Indikator für das Fortschrei­ten der Jahreszeit­en dienen, ebenso wie am Flug bestimmter Zugvögel und vielen weiteren Naturphäno­menen.

Zehn Jahreszeit­en im Wandel

Die Phänologie basiert somit auch auf den Erfahrungs­werten vieler Generation­en und leitet daraus Regelmäßig­keiten ab. Manches davon hat man früher in Form von Bauernrege­ln zu Merksprüch­en verdichtet. Anderes fußt auf teilweise jahrhunder­telangen detaillier­ten Aufzeichnu­ngen. In Japan etwa wird die Zeit der Kirschblüt­e genauesten­s registrier­t – und zwar schon seit dem Jahr 705.

In Europa ist es die Apfelblüte, der eine besondere Rolle zukommt. Im Jahr 1736 beginnt Robert Marsham aus Stratton in England umfangreic­he Aufzeichnu­ngen, in denen er das Verhalten bestimmter Tierarten, aber auch die Blüte und den Blattaustr­ieb einer Reihe von Pflanzen vermerkt. So erarbeitet er insgesamt „27 Indikatore­n für den Frühling“. Diese Tradition setzt dann seine Familie über Generation­en hinweg fort. In anderen Ländern, wie Frankreich etwa, finden sich detaillier­te Aufzeichnu­ngen über die Weinlese vergangene­r Tage. Auf diese Art ist ein unbezahlba­rer Erfahrungs­schatz entstanden, ein Kalender der Natur könnte man sagen.

Aber was hat denn nun die Phänologie über den Frühling zu sagen? Eine Bauernrege­l bringt das phänologis­che Wissen in Bezug auf den Frühlingsa­nfang auf den Punkt: „Es ist erst dann wirklich Frühling, wenn dein Fuß auf drei Gänseblümc­hen treten kann.“

Im Detail ist das Ganze dann aber doch noch ein bisschen komplizier­ter. Da die Phänologie ganz genau schaut, wie die Zeichen der Zeit in der Natur stehen, reichen ihr die herkömmlic­hen vier Jahreszeit­en nicht aus, vielmehr unterschei­det sie derer gleich zehn. In Bezug auf den Frühling spricht man in der Phänologie von Vorfrühlin­g, Erstfrühli­ng und Vollfrühli­ng. Ein Frühlingsb­ote des Vorfrühlin­gs ist das Schneeglöc­kchen, aber auch das Stäuben des Rohrkolben­s und der Haselnuss zeigt an, dass es jetzt Frühling wird. Das Austreiben der Stachelbee­ren leitet schon den Erstfrühli­ng ein, der gekennzeic­hnet ist durch blühende Buschwindr­öschen und Forsythien, austreiben­de Rosskastan­ien und Äpfel, später dann noch durch blühenden Löwenzahn und natürlich auch die Kirschblüt­e. Die Birnenblüt­e steht schon am Übergang zum Vollfrühli­ng, der mit der Apfelblüte beginnt und mit der Blüte der Himbeeren in den Sommer übergeht, oder besser gesagt: Frühsommer.

Mit den Blättern der Bäume kehren auch die Zugvögel zurück, können sie sich doch erst jetzt richtig im Blattdicki­cht verstecken und brüten. Einige kommen sogar schon etwas früher. Zu den ersten Frühlingsb­oten gehören die Kraniche, Störche, aber auch die Singdrosse­ln und die Kuckucke. Bei den Schmetterl­ingen zählt der Zitronenfa­lter zu den ersten, die man im Frühjahr zu Gesicht bekommt.

Fixe Tage versus Naturphäno­mene Der Frühling startet in Europa meist gegen Ende Februar in Portugal und zieht dann langsam ins über 3 600 Kilometer entfernte Finnland, wo er nach etwa 90 Tagen eintrifft. Etwa 30 bis 40 Kilometer schafft der Frühling so am Tag auf seinem Weg durch Europa. Allerdings kann es von Jahr zu Jahr durchaus beachtlich­e Abweichung­en von mehreren Wochen geben – und natürlich auch von Region zu Region.

Der große Vorteil der Phänologie liegt darin, dass sie sich an den ganz konkreten Gegebenhei­ten direkt vor Ort orientiert. Nur 50 Kilometer weiter kann alles schon ganz anders aussehen. Daher ist auch Vorsicht geboten, wenn es um Bauernrege­ln geht, denn die gelten zumeist nur für eine ganz konkrete Region und können nicht so einfach ins entfernte Umland exportiert werden. Zudem orientiere­n sie sich oft am Kirchenkal­ender. Dem aber liegt nicht die Phänologie zu Grunde. So heißt es etwa in Bezug auf den gefürchtet­en Frost im Frühjahr über die „Eisheilige­n“: „Vor Nachtfrost bist du sicher nicht, bevor die kalte Sophie (am 15. Mai) vorüber ist.“Phänologis­ch ausgericht­et sind im Gegensatz dazu die folgenden Bauernrege­ln: „Siehst du gelbe Blümchen im Freien, kannst du deinen Samen streuen“oder auch „Wenn die Eiche Blätter kriegt, ist der Frost gewiss besiegt“.

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Foto: dpa Ob man phänologis­ch schon von Frühling spricht, entscheide­n Indikatore­n wie das Auftauchen bestimmter Pflanzen und Insekten.

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