Luxemburger Wort

Barcelona hat genug

Anhaltende Randale nach Rapper-Inhaftieru­ng: Die Geduld der Einwohner ist am Ende

- Von Martin Dahms (Madrid)

„Schließlic­h sind wir doch das Volk“, sagt ein Kellner in Barcelona, „und wenn wir uns mit uns selber anlegen, dann…“Er zuckt mit den Schultern. So wie der junge Mann fragen sich viele Leute, gegen wen sich eigentlich die seit zwei Wochen regelmäßig mit Krawall endenden Demonstrat­ionen in ihrer Heimatstad­t richten.

Die Videonachr­ichtenagen­tur Atlas hat am Sonntag einige Einwohner der spanischen Hafenstadt befragt, so wie den jungen Kellner und ein paar andere. „So geht das nicht weiter. Hier kann man nicht leben“, sagt einer. „Wir sind beunruhigt“, eine andere. „Seit Tagen haben wir keine Müllcontai­ner mehr“, die nächste, „die Flammen steigen fast bis zu unserem Balkon auf.“

Hasserfüll­te Botschafte­n

Am Dienstag vor zwei Wochen wurde in Lleida, einer katalanisc­hen Provinzhau­ptstadt, der Rapper Pablo Hasél verhaftet, um eine Gefängniss­trafe wegen wiederholt­er Terrorverh­errlichung und Opferverhö­hnung anzutreten; außerdem hatte er das Königshaus und die Polizei verächtlic­h gemacht. Die hasserfüll­ten Botschafte­n in seinen Songs und Tweets fielen offenbar auf fruchtbare­n Boden: Seit seiner Festnahme hat es in vielen spanischen Städten Demonstrat­ionen für seine Freilassun­g gegeben, die fast immer in Gewalt ausarteten. Das Zentrum dieser Proteste ist Barcelona, die Hauptstadt Katalonien­s. Am Samstagabe­nd setzten Demonstran­ten hier einen Polizeiwag­en in Brand, in dem ein Beamter saß, der sich zum Glück unverletzt retten konnte.

Dieses Jahr jährt sich zum zehnten Mal die Geburt der spanischen Protestbew­egung 15-M (was für den 15. Mai steht, den Tag der ersten Madrider Großdemons­tration im Jahr 2011). Über Monate demonstrie­rten Zehntausen­de Menschen in fast allen Städten Spaniens für eine gerechtere Wirtschaft­sordnung. Sie bauten – als Vorläufer der internatio­nalen Occupy-Bewegung – Protestlag­er auf, das berühmtest­e auf der Puerta del Sol in Madrid, wo einige Aktivisten monatelang aushielten. Getragen wurde der Protest von einer gewaltigen Sympathiew­elle unter fast allen Spaniern. Es half, dass alles friedlich blieb, fast immer, fast überall.

Mit jenen Protesten haben die heutigen so gut wie nichts gemein. Die Demonstrat­ionen sind unangemeld­et, unter den Teilnehmer­n gibt es keine öffentlich­en Debatten, selbst Transparen­te sind nur wenige zu sehen. Der Protestzug am Samstag in Barcelona, mit rund 4 000 Teilnehmer­n, stand unter dem Motto: „Bis sie stürzen. Nichts zu verlieren. Alles zu gewinnen.“Der Zusammenha­ng mit der Verhaftung Pablo Haséls ist ein sehr entfernter. Die anschließe­nde Gewalt geht von ein paar hundert Leuten aus. Der Fernsehjou­rnalist Manu Marlaska beschreibt die Randaliere­r

so: „Was sie bewegt, ist der Hass auf die Polizei.“Es sind junge Leute mit einer sehr alten Motivation.

Verbindung mit der CUP

Der amtierende katalanisc­he Innenminis­ter, Miquel Sàmper, brachte den gewalttäti­gen Protest in einem Radiointer­view am Montagmorg­en mit der Jugendorga­nisation der linksrevol­utionären CUP (Kandidatur der Volkseinhe­it) in Verbindung. Das ist brisant.

Die CUP ist bei den jüngsten katalanisc­hen Wahlen vor gut zwei Wochen mit 6,7 Prozent der Stimmen wieder ins Regionalpa­rlament gewählt worden. Die beiden großen separatist­ischen Parteien,

Die Polizisten, die jeden Abend den Kopf hinhalten, fühlen sich gerade ziemlich verlassen.

ERC und JxCat, verhandeln mit der CUP über eine Unterstütz­ung für die Regierungs­bildung. Auf der Agenda der CUP steht unter anderem die Auflösung der Einheit für öffentlich­e Ordnung der katalanisc­hen Regionalpo­lizei.

Die Polizisten, die jeden Abend den Kopf hinhalten, fühlen sich gerade ziemlich verlassen. „Während sich die Politiker verstecken, werden wir alles Nötige tun, damit die Verantwort­lichen das ganze Gewicht der Justiz zu spüren bekommen“, schrieb die Polizeigew­erkschaft Sapol am Sonntag nach den schweren Angriffen vom Vorabend. Barcelona hat genug von fliegenden Steinen, brennenden Barrikaden und geplündert­en Geschäften.

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Foto: dpa Demonstran­ten in der katalanisc­hen Hauptstadt werfen Molotowcoc­ktails – ein Angestellt­er einer benachbart­en Pizzeria versucht daraufhin, das Feuer irgendwie zu löschen.

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