Luxemburger Wort

Der Urlaub der anderen

Die Komödie „Staycation“im Kasematten­theater setzt auf entlarvend­e Mechanisme­n von Social Media und derben Witz

- Von Anina Valle Thiele

Das Bühnenbild im Kasematten­theater: ein Liegestuhl, aufgeschüt­teter Sand, auf einer Leinwand mit Strand ein gigantisch­er Smiley, dazu eingespiel­tes Möwengekre­ische. Das Licht ist grell wie im Discounter, die Kostüme vermitteln eine Unterschic­htsästheti­k wie bei „Familien im Brennpunkt“. Sie, mit strähnigen Haaren, trägt Schlabberh­ose, glitzernde Oberteile und einen grotesken Hut; er Shorts und mit Slogans bedruckte T-Shirts, „Sprich mich nicht an. Ich bin im Urlaub“, steht auf einem. Zwei Schauspiel­er stolpern ungelenk umher und basteln die Kulisse für den Fake-Urlaub ...

Jochen (Ilja Niederkirc­hner) bekleckert sich mit Sahne: „Sieht nach Sonnencrem­e aus, super!“, lacht Birgit (Catherine Janke). Birgit und Jochen können sich den Urlaub auf den Balearen nicht leisten, also faken sie ihn kurzerhand. Wie das geht? Man befreunde sich mit allen Nachbarn, Lehrern des Kindes und Mitschüler­n und verbreite gestellte Fotos über Facebook. Wenn schon kein richtiger Urlaub, dann inszeniert! Dies bedeutet aber auch: zwei Wochen selbstaufe­rlegte Quarantäne im Keller, die die Kleinfamil­ie an die Grenzen der Belastbark­eit bringt.

Catherine Janke mimt die Mutter. Sie bewegt sich fahrig, wirkt schrill und redet immer etwas zu laut. Ilja Niederkirc­hner gibt etwas weniger überzeugen­d den Proll, der erklärt, seine Frau sei Postangest­ellte, er einfacher Angestellt­er. „Dann kam sie mit dieser Idee ...“Und jetzt? „Dos Wochos no trabajo!“

Die Inszenieru­ng verärgert durch platte, sexistisch­e Witze

Überdreht geben sich die beiden Regeln, eine eiserne: ständig präsent sein auf Social Media! Auf Facebook, Instagram und TikTok. Ihre Tochter warnen sie: „Oder willst Du, dass man Dich weiterhin Frittenfet­t-Flora auf dem Schulhof nennt?“Dann wird das tägliche Social-Media-Manöver eingeübt. Anfangs ging auch alles gut. Jede Inszenieru­ng: ein Selfie. Nach ein paar Tagen gab es erste Resultate, jeden Tag mehr Likes – 47 für einen Industrie-Burger!

In der Regie von Moritz Schönecker, der in seiner Inszenieru­ng nah an Ian De Toffolis Text bleibt, liegt ein silberner Plastik-Delfin auf der Bühne. In die Mikrowelle werden ständig Fertigprod­ukte geschoben. Irgendwann geht Jochen Birgit an den Arsch und sie quiekt auf. Birgits Belohnung? „Wenn Du das hier durchhälts­t, kriegst Du den besten Fick Deines Lebens.“„Das heißt, Du besorgst mir ne andere Frau?“

Realismus holt das Paar ein. Dann wird eine Vliesfigur wie ein Sensenmann über die Bühne schleichen. Da hat sich das Paar gerad fast an verdorbene­n Konserven vergiftet. Oder war es die nicht auf der Bühne physisch präsente Tochter, die sie vergiften wollte?

Die Überheblic­hkeit gegenüber Ärmeren stößt ab

„Ich erkenn Dich nicht wieder – es ist so, als würde ich mit ner Ratte in diesem Loch feststecke­n“, giftet Jochen, während Birgit darüber lamentiert, sie schäme sich so sehr, kein Geld zu haben. Das Schlimmste am ersten Lockdown? „Festzustel­len, dass der Mann ein Loser ist.“Die Polizeisir­enen läuten das Ende ein. Das Ende des Keller-Abenteuers markiert auch das Ende der Ehe. Birgit: „Ich fühlte mich danach befreit, aber leer.“

Die Idee, der „Vakanz doheem“und der Flucht in eine artifiziel­le Social-Media-Welt erschöpft sich in der kurzweilig­en Inszenieru­ng, die nicht gerade durch tiefsinnig­en Humor besticht. Vor allem aber stößt die Überheblic­hkeit gegenüber Ärmeren ab, die in „Staycation“karikiert vorgeführt werden. Gibt es nicht größere Anliegen als das Laben am Leid vermeintli­cher Asis?

„Staycation“, Komödie von Ian De Toffoli, Weitere Vorstellun­gen: 4., 5., 6., 7., 11., 12. und 13. März 2021 jeweils um 20 Uhr im Kasematten­theater.

Antithese zu Chabrol: Unterschic­htsästheti­k.

Ich erkenn Dich nicht wieder – es ist so, als würde ich mit ner Ratte in diesem Loch feststecke­n. Textauszug aus „Staycation“

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„Staycation“ im
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Foto: Kasematten­theater / Tete Queiroga Das Bühnenbild zu „Staycation“ im Kasematten­theater vermittelt
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Foto: Kasematten­theater / Tete Queiroga Ein gelungener (hinten). Regieeinfa­ll: der Aufritt der Malervlies­Figur

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