Absprung in die stockdunkle Nacht
Ein brennender britischer Bomber kracht 1943 in den Marscherwald, vier Besatzungsmitglieder überleben
Marscherwald. Als Sergeant John Dix am Abend des 27. August 1943 zusammen mit den übrigen sechs Mann Besatzung an Bord des Bombers Halifax mit der Seriennummer JD-298 geht, ahnt er nicht, dass es der letzte Flug dieser schweren Maschine sein würde.
Für die sieben Soldaten der Royal Air Force ist es ein Routineflug, wie sie ihn in den Wochen zuvor schon 20 Mal absolviert haben. Dass es auf solchen Einsätzen blitzartig gefährlich werden kann, wissen die Männer unter dem Kommando des Piloten Officer John Clarke, einem Australier. Immerhin würde sie der Flug von der Airbase Lissett im nordenglischen Yorkshire über das feindliche Deutschland führen. Ihre Mission lautet, Bomben über der Industriestadt Nürnberg abzuwerfen.
Als Bombenschütze hat John Dix ein Flugtraining absolviert, er könnte im Notfall den Pilot ersetzen. Seine eigentliche Aufgabe besteht allerdings darin, liegend vor der mit Plexiglas verkleideten Nase der Halifax den Piloten am Einsatzort zu dirigieren, die Bomben zielgenau abzuwerfen und die Einschläge mit Fotografien zu dokumentieren.
Nachdem der schwere Bomber um 21 Uhr Ortszeit in Nordengland abgehoben ist, führt die Flugroute über den Ärmelkanal und weiter über Belgien und Luxemburg. Kurz vor 1 Uhr nachts (mitteleuropäische Zeit) meldet der Navigator Jimmy Robinson, dass sie ein schwach leuchtendes Band überflogen haben – es war die Mosel in der Nähe von Schengen.
Im Feindesland ist das britische Flugzeug nicht unentdeckt geblieben. Das Signal des viermotorigen Bombers taucht auf dem Bordradar eines deutschen Nachtjägers vom Typ Messerschmitt Bf 110, dessen Pilot die Verfolgung aufnimmt. Als er sich in eine vorteilhafte Position unterhalb des Halifax-Bombers, in einem Abstand von etwa 500 Meter, positioniert hat, löst er das Maschinengewehr und die Bordkanone aus.
Bei der Besatzung bricht Panik aus
Die Geschosse treffen den Bomber an der rechten Tragfläche zwischen den zwei Triebwerken und setzen sofort den Treibstofftank in Brand. Bei der britischen Fliegerbesatzung bricht Panik aus, als die Leuchtspurgeschosse durch die
Außenhaut des Flugzeugs dringen und der rechte Flügel in Flammen aufgeht (siehe Bericht von John Dix).
Von seinem beengten Arbeitsplatz aus muss Sergeant John Dix mitansehen, wie der Bordmechaniker George Rippingdale von den Schüssen getroffen zusammensinkt. Er ist sofort tot, genau wie der Heckschütze John Thomas. Pilot Clarke ist dem feindlichen MGFeuer zwar entkommen, hat aber größte Mühe, die brennende und stark beschädigte Maschine zu steuern. Als Offizier gibt er der Besatzung den Befehl, sich durch einen Fallschirmabsprung aus dem fliegenden Wrack zu retten.
Bei dem Höllenlärm, der durch ein Loch in der Seite des Flugzeugs eindringt, hören die Männer das Kommando „Bail out!“(„Springt ab!“) zunächst nicht und müssen nachfragen. Doch dann gelingt es vier von ihnen, sich durch den Notausstieg in die tosende Strömung unter dem Nachthimmel zu retten.
Vier schaffen den Absprung
Der Halifax-Bomber hat nach dem Treffer nach Norden gedreht und fliegt noch einige Minuten von der Mosel über Wormeldingen in Richtung Bech. Dort trudelt er in einer Schleife nach Westen in Richtung Junglinster.
Die Flugroute lässt sich anhand der Absprungorte der vier überlebenden Besatzungsmitglieder rekonstruieren. Navigator Jimmy Robinson landet mit seinem Fallschirm in den Weinbergen bei Wormeldingen, Mittelschütze George Hirst am Waldesrand bei Rodenbourg, John Dix fällt in einen Wald in Lilien bei Herborn und als letzter landet Funker Eric Brearly kurz vor dem Absturz in einem Kornfeld bei Altrier.
In den Sekunden, bevor die Halifax im Marscherwald zwischen Altrier und Graulinster in die Bäume kracht, ist Pilot John Clarke immer noch am Steuerknüppel. Ihn trifft ein bitteres Schicksal: Er schafft es zwar noch, gerade vor dem Bodenkontakt aus dem Flugzeug herauszukommen, verfängt sich aber mit den Schnüren seines Fallschirmes in einer Baumkrone.
Als die tödliche Ladung in den prall gefüllten Bombenschächten explodiert und auch der zweite Treibstofftank Feuer fängt, verbrennt der Pilot im Baum hängend, das Flugzeugwrack direkt unter sich.
Für die vier Überlebenden beginnt am nächsten Morgen eine riskante Odyssee, die sie durch halb Europa führen wird. Dass sie heil und wohlbehalten auf Luxemburger Boden gelandet sind, bedeutet nämlich nicht, dass sie außer Gefahr sind. Der Absturz des brennenden Flugzeugs ist der deutschen Besatzungsmacht nicht verborgen geblieben. Am Morgen des 28. August durchkämmt eine Gruppe von 150 Wehrmachtsoldaten, die in Junglinster stationiert sind, den Marscherwald und durchsucht die angrenzenden Häuser und Höfe mit Spürhunden.
Trotzdem gelingt es allen vier Fliegern der Royal Air Force, den feindlichen Soldaten und damit dem Weg ins Kriegsgefangenenlager auszuweichen. Luxemburger Zivilisten helfen den Männern, verstecken sie und schleusen sie aus dem Land. Für die Luxemburger Helfer steht dabei viel auf dem Spiel, denn wenn sie enttarnt werden, droht ihnen das Konzentrationslager oder die Todesstrafe. Erst nach Wochen der Flucht zu Fuß, mit dem Zug oder auf alten Lieferwagen treffen die vier Soldaten in ihrem Heimatland ein.
Jahrzehnte nach dem Krieg besuchen John Dix und die übrigen Männer mehrmals Luxemburg und treffen einige ihrer ehemaligen Fluchthelfer.