Hormonprobleme bei der Katze
Der alte rote Tigerkater Männi hatte sich, weil er sich andauernd im Gesicht kratzte, schwer in die Bredouille gebracht. Nur zum Futtern unterbrach er für kurze Zeit sein selbstzerstörerisches Treiben. Das bis vor etwa zwei Jahren noch geradezu majestätisch anmutende Tier hatte zeitlebens sonst einen eher mäßigen Appetit gehabt. Zuletzt fraß und trank Männi jedoch mehr als die beiden anderen Samtpföter im Haushalt und der mittelgroße Pudel zusammen – und war trotzdem klapperdürr geworden. Auch sein gelassenes Gemüt war sehr verändert. Ruhelos und übellaunig lief er laut maunzend durchs Haus.
Da der sechzehnjährige Kater in seinem Kratzwahn eines seiner Augen schwer verletzt hatte, musste er dringend als Notfallpatient zur Sprechstunde gebracht werden. Nachdem das kranke Auge, an dem er sich eine ins Innere eiternde Hornhautverletzung zugezogen hatte, vorläufig und unter heftigstem Prozess versorgt war, wurde eine Blutprobe genommen. Das Resultat aus dem Labor bestätigte den Verdacht: Männi litt unter einer hochgradigen Überfunktion der Schilddrüse.
Die Hyperthyreose ist die häufigste hormonelle Erkrankung bei Katzen über sieben Jahren. Die Schilddrüse könnte man als „Gaspedal“des Organismus bezeichnen. Die von ihr produzierten, jodhaltigen Hormone erhöhen die Stoffwechselrate und dadurch auch den „Treibstoffverbrauch“. Sie erhöhen Blutdruck und Herzfrequenz sowie die Körpertemperatur, die Darmmotorik und die Erregbarkeit des Nervensystems. In den meisten Fällen sind gutartige Wucherungen der Schilddrüse die Ursache für die überschießende Produktion der Schilddrüsenhormone. Unklar ist, warum die Hyperthyreose bei Katzen vor 40 Jahren noch gar nicht bekannt war und heute zum kleintierärztlichen Alltag gehört. Mittlerweile mehren sich die Hinweise darauf, dass bestimmte Brennschutz-Chemikalien (PBDE), die heute nicht mehr eingesetzt werden dürfen, sich jedoch meist noch in größeren Mengen in Haushalten mit älterer Inneneinrichtung befinden, eine Ursache für die anwachsende Zahl an felinen Hyperthyreosen sein dürften. Männis Hyperthyreose wurde im Bestrahlungsinstitut einer großen deutschen Tierhochschule dadurch ausgeheilt, dass das überschüssige Drüsengewebe mit radioaktivem Jod zerstört wurde.