Luxemburger Wort

„Gehört aber nicht beachtet“

Tom Wirion über Bürokratis­mus und die grundsätzl­iche Haltung der Politik gegenüber dem Handwerk

- Interview: Morgan Kuntzmann

Das Luxemburge­r Handwerk leidet wie andere Branchen unter der Corona-Pandemie. Doch viele der Probleme sind nicht erst kürzlich entstanden, sondern existieren seit langem. Potenziell­er Nachwuchs wird durch die viele Bürokratie abgeschrec­kt. Die zunehmende­n Regularien beeinträch­tigen nicht nur das Gewerbe, sondern haben auch Auswirkung­en auf die Kunden. Tom Wirion, Generaldir­ektor der Handwerksk­ammer, plädiert für eine bürgernahe und serviceori­entierte Verwaltung.

Tom Wirion, wie geht es dem Luxemburge­r Handwerk?

Das Handwerk und die Betriebe sind durch die Corona-Krise geschwächt, manche mehr, manche weniger. Es gibt aber keine Handwerkss­parte, der es gut geht.

Was sind die größten Herausford­erungen für die Handwerksk­ammer?

Wir sind noch nicht aus der Krise raus. Besonders Veranstalt­ungsbetrie­be nehmen weiterhin unsere Corona-Beratungsh­ilfe über unsere Hotline in Anspruch. Langfristi­g gesehen müssen wir die Überlebens­fähigkeit der Betriebe stärken und die Arbeitsplä­tze erhalten. Um dies zu erreichen, muss die Politik an einer Reihe von Stellschra­uben drehen. Eine unserer Prioritäte­n ist das der Verwaltung­saufwand und die damit verbundene­n Kosten für die Klein- und Mittelbetr­iebe gesenkt werden. Die Handwerksb­etriebe sind geschwächt. Es ist nicht angebracht, zu diesem Zeitpunkt mit neuen Auflagen zu kommen.

Die Pandemie hat im Allgemeine­n der Digitalisi­erung einen Aufschub gegeben. Auch bei Behördengä­ngen für Unternehme­n?

Es hat sich viel getan: die Einführung des digitalen portail des marchés publics, aber auch bei den Corona-Beihilfen, die online angefragt werden können. Ich sehe auch keinen Grund, warum nicht zukünftig alle Investitio­nsbeihilfe­n für Betriebe digital angefragt werden könnten. Trotzdem gibt es auch in diesem Bereich noch Luft nach oben. Beispielsw­eise die Commodo-IncommodoP­rozedur, die für neue Gewerbe und Wirtschaft­saktivität­en nötig ist. Man kann die Anträge zwar online ausfüllen, muss diese jedoch dann per Einschreib­en in dreifacher Ausführung den jeweiligen Gemeindeve­rwaltungen zusenden. Dazu kommt, dass auch noch einzelne Ministerie­n die gleichen Unterlagen einfordern. Das ist sowohl von den Kosten wie dem Zeitaufwan­d nicht mehr zeitgemäß.

Die Handwerksk­ammer hat bereits in der Vergangenh­eit moniert, dass bei Firmengrün­dungen Antragstel­ler oftmals dieselben Dokumente einschicke­n müssen.

Gibt es noch immer keine absprachen zwischen den Behörden?

Leider nicht. Es ist noch immer so, dass angehende Unternehme­r bestimmte Standardin­formatione­n den Behörden mehrmals mitteilen müssen. Wir müssen auf nationaler Ebene hin zum von der Europäisch­en Union angestrebt­en Once-Only-Prinzip, so dass Bürger und Unternehme­r den Behörden ihre Daten nur noch einmal mitteilen müssen. Die Antragstel­ler würden nicht ausschließ­lich von dieser Herangehen­sweise profitiere­n. Die damit einhergehe­nde höhere Effizienz käme ebenfalls den öffentlich­en Verwaltung­en zugute. Die Verringeru­ng der Bürokratie hat mehrere Facetten. Bei der Digitalisi­erung ist Luxemburg im Großen und Ganzen auf dem guten Weg. Weg von papierbasi­erten Anträgen hin zu digitalen Ersuchen. Dies ermöglicht eine schnellere Bearbeitun­g von Verwaltung­svorgängen, eine Zeiterspar­nis

und weniger Fehler durch die Wiederverw­endung von Daten. Dadurch könnte die öffentlich­en Verwaltung­en Kosten sparen und die Qualität einiger öffentlich­er Dienstleis­tungen verbessert werden. Der meiste Handlungsb­edarf besteht jedoch beim gesetzlich­en Rahmen, den Gesetzen und großherzog­lichen Verordnung­en. Darüber hinaus ändern sich die Gesetze viel zu oft. Es ist nicht mehr möglich, die letzten rechtliche­n Veränderun­gen mitzuverfo­lgen. Dies führt dazu, dass Handwerksb­etriebe zwangsweis­e in rechtliche Grauzonen kommen. Wir brauchen Kontinuitä­t anstatt kontinuier­licher Änderungen.

Ob Naturschut­z, Unternehme­nsgründung oder etwa Urbanismus: Dem Gesetzgebe­r scheint es an Wissen um die Umsetzungs­möglichkei­ten kleiner Betriebe zu mangeln und überforder­t sie damit. Wie ließe sich das ändern?

Die Welt ist komplexer geworden und wird auch nicht einfacher. Wir sind nicht naiv, wir kriegen die Vielschich­tigkeit der gesellscha­ftlichen Verhältnis­se nicht weg. Die Gesellscha­ft muss sich Regeln und Prozeduren geben. Wir als Handwerksk­ammer sind nicht gegen Umwelt- oder Denkmalsch­utz, das ist notwendig und lobenswert. Die Regeln müssen jedoch auch für Handwerksb­etriebe verdaulich sein. Es ist nun mal ein großes Problem, dass kleine Betriebe überpropor­tional von Verwaltung­skosten betroffen sind. Handwerker müssen einen steigenden Anteil ihrer Arbeitszei­t mit überborden­der Bürokratie verbringen und können sich immer weniger ihren eigentlich­en Berufen widmen. Der Unternehme­rgeist wird ausgebrems­t. Dies gilt nicht nur für das Handwerk. Kleine Anwaltskan­zleien, aber auch viele andere Berufsspar­ten stehen vor diesem Problem. Nur große Unternehme­n können sich ganze Compliance-Abteilunge­n leisten, die die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinie­n überprüfen können. Dies führt dazu, dass immer mehr kleine Betriebe schließen müssen und durch immer größer werdende ersetzt werden. Die Gesetzgebu­ng betreffend wäre es im Allgemeine­n angebracht, dass Interessen­vertreter wie die verschiede­nen Berufskamm­ern mehr im Vorfeld des legislativ­en Prozess mit einbezogen werden würden. Aber auch die Politik muss sich stärker in dieser Hinsicht positionie­ren. Es ist eine Frage der Governance. Der Abschnitt zur Bürokratie­vereinfach­ung ist im Koalitions­vertrag ziemlich klein ausgefalle­n.

Mit dem Omnibus-Gesetz, das 2017 in Kraft trat, sollte mit der Digitalisi­erung auch ein Bürokratie­abbau mit einhergehe­n. Ging es nicht in diese Richtung?

Die Politik greift das Thema des Bürokratie­abbaus immer wieder auf. Das Omnibus-Gesetz hat verschiede­ne Vereinfach­ungen gebracht. Diese sind Willkommen. Sie sind aber nicht fundamenta­l. Ein Beispiel: Arbeiten und Bautätigke­iten geringen Umfangs benötigen keine Baugenehmi­gung mehr und können in der Regel ohne Behördengä­nge durchgefüh­rt werden. Doch wer definiert, was eine Bautätigke­it geringen Umfangs ist? Die Gemeinde selbst.

Wir brauchen Kontinuitä­t anstatt kontinuier­licher Änderungen.

Der Abschnitt zur Bürokratie­vereinfach­ung ist im Koalitions­vertrag ziemlich klein ausgefalle­n.

Bei über 100 Gemeinden können so ganz unterschie­dliche Definition­en zustande kommen. Es gibt keinen politische­n Mandatsträ­ger, der eine Gesamtüber­sicht hat. Wir bräuchten einen eigenständ­igen Minister, der simplifica­tion administra­tive, der Gewicht hat. Alle Minister kümmern sich um ihre eigene Ressorts. Es fehlt jemand, der einen Überblick hat und eine Gesamtstra­tegie verfolgen kann. Das ist nicht einfach, würde der Gesellscha­ft aber viel bringen. Bevor man auf den Instanzenw­eg geht, sollte man schauen, ob es Alternativ­en gibt. Wir müssen schauen, ob die Ziele, die wir mit einem Gesetz erreichen wollen, nicht für den Mittelstan­d verträglic­her umgesetzt werden könnten. Würde die Bürokratie­vereinfach­ung systematis­ch und kontinuier­lich angegangen werden, könnte die Produktivi­tät der Kleinenund Mittleren Betriebe gesteigert werden. Dies würde sehr helfen, besonders jetzt, wo die Betriebe wegen der Krise bereits angeschlag­en sind.

Gibt es konkrete Forderunge­n der Handwerksk­ammer, um Bürokratie abzubauen?

Auf manche unserer Forderunge­n wurde bereits eingegange­n. Positiv ist die zukünftige Zusammenle­gung von fünf Verwaltung­en zu einer einzigen Behörde, die für die Lebensmitt­elsicherhe­it zuständig ist. Dies erleichter­t die Arbeit der Lebensmitt­elbetriebe ungemein. Trotzdem gibt es noch

Verbesseru­ngsbedarf. Im Prinzip sind handwerkli­che Tätigkeite­n wie Bäcker, Metzger, Holz- und Metallvera­rbeiter von einer „Commodo“-Genehmigun­g betroffen, unabhängig von ihrer Größe. Theoretisc­h muss jede Verkaufsst­elle einer Bäckerei dem gleichen „Commodo“-Verfahren folgen wie der Herstellun­gsort, auch wenn die Produktion vor Ort nur sehr klein ausfällt. Es gibt keine Mindestsch­wellenwert­e. Die Einteilung in die verschiede­nen Klassen erfolgt nach dem Sicherungs­kasten – der im Falle eines bereits bestehende­n Betriebsge­ländes, das das Unternehme­n gemietet oder von einem anderen Betrieb erworben hat, nicht unbedingt einen Zusammenha­ng mit der Größe der eigentlich­en Tätigkeit hat. Ein weiteres konkretes Beispiel, das schnell Wirkung zeigen würde. Nach dem Gesetz benötigt jede Hebevorric­htung auf einer Baustelle eine „Commodo“Zulassung (Klasse 3a), dies obwohl bereits zuvor das Gewerbeund Grubenaufs­ichtsamt (ITM) eine vorläufige Genehmigun­g für den Einsatz in Luxemburg erteilt hat. Dies führt dazu, dass für ein handelsübl­iches Baustellen­hebegerät das gesamte Commodo-Verfahren, welches einige Monate in Anspruch nimmt, eingehalte­n werden muss. Für die betroffene­n Unternehme­n und die Verwaltung wäre es viel einfacher, wenn die Hebevorric­htungen in die Klasse 4 eingestuft würden – eine einfache großherzog­liche Verordnung würde dann die Bedingunge­n regeln, die die Vorrichtun­g erfüllen muss, um zugelassen zu werden, ein komplizier­tes Commodo-Verfahren wäre dann nicht notwendig.

Im Allgemeine­n scheint es, dass der Bausektor unter Bürokratie leidet. Wo liegen die Probleme?

Der Gesellscha­ft fehlt es an Wohnraum, deshalb möchte man mehr bauen, um dem entgegenzu­wirken.

Der Generaldir­ektor der Handwerksk­ammer, Tom Wirion, sieht viele Vorteile bei der Folgenabsc­hätzung von Gesetzen. Es kann nicht sein, dass wir im Durchschni­tt bei Neubaugebi­eten vom Initialpro­jekt bis zum Erhalt der Baugenehmi­gung sieben Jahre brauchen. Das sind Zusatzkost­en sowohl für die Betriebe als auch für die Kunden. Wie kann man diese Zeit reduzieren? Nicht indem man Denkmalode­r Umweltschu­tz außen vor lässt. Wir müssen aufeinande­r zugehen und gegenseiti­g Zugeständn­isse eingehen. Leider werden wirtschaft­liche Tätigkeite­n und die Handwerksb­etriebe als Störfaktor angesehen und die Beiträge, die sie leisten werden ausgeklamm­ert. Das administra­tive Umfeld muss vereinfach­t werden und private Bauträger stärker eingebunde­n werden. Ein einfaches Beispiel: Teilbebauu­ngspläne (PAP). Der Bauträger handelt eine convention d’exécution mit der Gemeinde aus. Dann kommen aber auf einmal Wünsche von der Gemeindeve­rwaltung, die noch nicht vorhanden waren, als die Teilbebaun­gspläne genehmigt

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Foto: LW-Archiv/Guy Jallay Trotz Bauboom: Lange Genehmigun­gsverfahre­n bremsen die Baubranche aus und machen kleinen Handwerksb­etrieben am meisten zu schaffen.
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