Luxemburger Wort

„Das ist wie Aspirin“

Der deutsche Verfassung­sschutz stuft die AfD zum Verdachtsf­all hoch

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Der AfD verschlägt es die Sprache. Sonst haben die Pressestel­len von Partei und Fraktion der selbsterna­nnten „Alternativ­e für Deutschlan­d“einen durchaus üppigen Ausstoß. An diesem Mittwoch aber bleiben die Mailboxen der Hauptstadt-Korrespond­enten über Stunden leer. Kurz nach neun meldet als Erster der „Tagesspieg­el“, wovor sich die Populisten von ganz rechts außen so sehr fürchten: Das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) habe die AfD als rechtsextr­emen Verdachtsf­all eingestuft. In Gänze. Mit Wirkung zum 25. Februar.

Keine Überraschu­ng

Die Entscheidu­ng ist keine Überraschu­ng. Schon gar nicht für die AfD. Als sich im Januar in deutschen Medien die Berichte über ihre unmittelba­r bevorstehe­nde Kategorisi­erung häuften, versuchte die Partei noch rasch, sie mit juristisch­en Mitteln zu verhindern. Beim Verwaltung­sgericht in Köln – dem Sitz des BfV – wollte sie Verbote gegen den Geheimdien­st erklagen: Weder dürfe er überhaupt eine Einstufung vornehmen – noch, falls doch, diese öffentlich machen.

Die Verfahren laufen. Und das BfV sagte zu, sich für die gesamte Prozessdau­er zu einer etwaigen Hochstufun­g nicht zu äußern. Weshalb nun keine Bestätigun­g aus Köln kommt. Allerdings eben auch kein Dementi.

Für die AfD – die zwei Jahre zuvor zum „Prüffall“erklärt worden war – ist die Höherstufu­ng schon ganz grundsätzl­ich ein Schlag. Dass sie aber nun zu Beginn des sogenannte­n Superwahlj­ahrs erfolgt: Das hätten die Partei- und Fraktionss­pitzen im Bund gerne verhindert. Der nun offen bestehende Verdacht der Verfassung­sfeindlich­keit wiegt schwer. Und hat konkrete Folgen.

Ganz demonstrat­iv etwa inszeniert sich die AfD als Partei der Sicherheit­sbehörden: Polizei, Justiz, Bundeswehr werden von ihr heftig umworben – und etliche Beamte und Beamtinnen sind Mitglieder und Abgeordnet­e auf allen parlamenta­rischen Ebenen. Indes: Der deutsche Staat verlangt von seinen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn politische Mäßigung. Das Engagement in einer der Verfassung­sfeindlich­keit verdächtig­en Partei ist damit eher nicht zu vereinbare­n.

Außer Mitglieder, Parlamenta­rier und einen Rest von Renommee könnte die Einstufung die AfD aber auch Popularitä­t kosten – und Stimmen. Bislang wurde sie nicht nur von sehr Rechten gewählt, von Rassisten und Neonazis; auch dezidiert Konservati­ve, die sich bei der CDU nicht mehr aufgehoben fühlten, votierten für die Rechtsauße­npartei. Der Verdacht, die AfD betreibe „eine gegen die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng ausgericht­ete Politik“, den der Geheimdien­st schon früher geäußert hat und mit der Hochstufun­g nun manifestie­rt: Er könnte diese Klientel verschreck­en.

Der Verfassung­sschutz sieht nicht nur „gewichtige Anhaltspun­kte für verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en“; er hält die Rechtsextr­emen in der Gesamtpart­ei für prägend. Die hatten sich bis vor knapp einem Jahr im sogenannte­n „Flügel“organisier­t, angeführt vom Thüringer Landes- und Fraktionsc­hef Björn Höcke.

Schon im März 2020 erklärte das BfV diesen Teil der AfD zur „erwiesen extremisti­schen Bestrebung“. Zwar löste der „Flügel“sich daraufhin offiziell auf; seine Mitglieder aber blieben. Und, sagte der Chef des Brandenbur­ger Verfassung­sschutzes vor Monaten schon, dominierte­n weiter die Partei. „Das ist“, so Jörg Müller, „wie Aspirin: Erst lag die Tablette neben dem Glas, jetzt löst sie sich im Glas auf. Und der Wirkstoff wirkt natürlich weiter.“

Drei der vier Spitzenpos­ten im Bund besetzen die Sympathisa­nten der Ex-Flügler. Der sich gemäßigt gebende Jörg Meuthen steht allein – und oft genug gegen seinen Mit-Bundesvors­itzenden Tino Chrupalla und die Fraktionsa­nführer Alexander Gauland und Alice Weidel.

Sie alle – und die 32 000 Mitglieder – müssen nun damit leben, dass die Partei und ihre Akteure bis hinauf zur Spitze ausgespäht und abgehört werden dürfen, dass Vertrauens­personen (V-Leute) angeheuert oder eingeschle­ust werden können. Und Gauland, Weidel & Co. zusätzlich damit, dass sie in der Geheimdien­st-Datenbank landen.

„Nur ausnahmswe­ise zu rechtferti­gen“sei die Überwachun­g von Parteien, hatte das Bundesverf­assungsger­icht in den 1990er-Jahren befunden. Damals ging es um die ebenfalls rechtsextr­emen Republikan­er – verglichen mit der AfD eine Splitterpa­rtei. Jetzt steht die größte Opposition­sfraktion im Bundestag unter Verdacht, die von 5,9 Millionen Deutschen gewählt worden ist. Und deren völkisch-nationaler Anführer Höcke laut „Süddeutsch­er“kürzlich in einer Rede behauptet hat, in Deutschlan­d lebe man nicht mehr in einer „funktionie­renden Demokratie“.

Ein „Skandal“

Nach Mittag findet die AfD-Spitze dann doch langsam Worte. Chrupalla und Meuthen unterstell­en dem BfV, seine „Stillhalte­zusage“verletzt zu haben – und nennen das einen „Skandal“. Beweise für die insinuiert­e Durchstech­erei indes liefern sie nicht. Gauland und Weidel heißen den Verfassung­sschutz „Büttel der anderen Parteien“und halten dem einen wie den anderen vor zu versuchen, „die Wahlchance­n der AfD zu schmälern“.

Am Ende wird die Justiz entscheide­n. Mit hoher Wahrschein­lichkeit das Bundesverf­assungsger­icht.

Der „Flügel“löste sich offiziell auf; seine Mitglieder aber blieben. Und dominierte­n weiter die Partei.

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Foto: AFP Das deutsche Bundesamt für Verfassung­sschutz hat die gesamte AfD als rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all eingestuft. Damit kann die Partei ab sofort auch mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln ausgespäht werden.
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