Luxemburger Wort

Und raus bist du

Um parteiinte­rnen Sanktionen zuvorzukom­men, verlässt Viktor Orbáns Fidesz die EVP-Fraktion im Europaparl­ament

- Karikatur: Florin Balaban

Viktor Orbán wäre nicht Viktor Orbán, wenn er nicht versuchen würde, den Vorfall als Akt der stolzen Selbstbeha­uptung umzudeuten. Kaum war die Entscheidu­ng gestern in der Fraktion der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) gefallen, schrieb der rechtskons­ervative ungarische Ministerpr­äsident deren Chef Manfred Weber, dass es sich dabei um einen „feindliche­n Akt“gegenüber den Abgeordnet­en seiner Fidesz-Partei handelt. Die Rechte der Fidesz-Parlamenta­rier einzuschrä­nken, sei „undemokrat­isch, ungerecht und inakzeptab­el“. Deswegen habe die Fidesz-Parteileit­ung entschiede­n, die Gruppierun­g der europäisch­en Christdemo­kraten im EU-Parlament „unmittelba­r zu verlassen“.

Kurz davor hatten 148 der 187 Fraktionsm­itglieder der EVP im EU-Parlament einer Reform der Fraktionsr­egeln zugestimmt, die es erlaubt, künftig die Mitgliedsc­haft ganzer Parteien in der Fraktion zu suspendier­en. Derartige Sanktionen würden den Spielraum der jeweiligen Abgeordnet­en deutlich einschränk­en: Im Falle einer Suspendier­ung dürfen sie nicht mehr im Namen der Fraktion das Wort im Parlament ergreifen und können auch nicht mehr für wichtige Posten nominiert werden. Um dem vorzubeuge­n, entschied Orbán, seine zwölf Parlamenta­rier aus der Fraktion abzuziehen.

Langer Eiertanz

Denn der ungarische Ministerpr­äsident hat insofern Recht, als die vermeintli­ch technische Reform der fraktionsi­nternen Regeln sich klar gegen ihn und seine Partei richtet. Tatsächlic­h ging es nämlich darum, die Ausschreit­ungen der Fidesz-Partei in Zukunft klar bestrafen zu können, was unter den alten Regeln kaum möglich gewesen wäre. „Diese Änderung ermöglicht uns nun, Fidesz als Ganzes zu suspendier­en“, sagt etwa Christophe Hansen, für die CSV Mitglied der EVPFraktio­n. „Wir haben lange auf eine derartige Entscheidu­ng hingearbei­tet.“

Und tatsächlic­h: Es hat lange gedauert, bis Viktor Orbán sich um seine Position innerhalb der EVP Sorgen machen musste. Für den ungarische­n Premiermin­ister ist das gestrige Votum demnach eine politische Niederlage: Es zeigt nämlich, dass Orbán nicht mehr mit der schützende­n Hand der deutschen Christdemo­kraten rechnen kann, die ihn bislang bedingungs­los vor ernstzuneh­menden Sanktionen bewahrten. Offenbar hat sich das Kräfteverh­ältnis in den vergangene­n Monaten deutlich verändert. Eine überwältig­ende Mehrheit der EVP-Abgeordnet­en wünscht sich demnach eine klarere Kante gegenüber Orbáns wiederholt­en Provokatio­nen, seinem autoritäre­n Regierungs­stil und seinen rassistisc­hen Aussagen.

Das war nicht immer der Fall, was den ständigen Eiertanz der EVP im Umgang mit jenem Regierungs­chef erklärt, der vom ehemaligen EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker im Halbspaß einmal „Diktator“genannt wurde. 2019 wurde beispielsw­eise die Fidesz-Mitgliedsc­haft in der EVPParteie­nfamilie auf Eis gelegt. Doch war damals schon klar, dass es sich dabei lediglich um eine Maskerade handelte. Die Suspendier­ung hatte kaum praktische Folgen, da diese nur in obskuren EVPGremien angewendet wurden. So konnte die EVP geeint die EUWahlen von 2019 gewinnen und gleichzeit­ig behaupten, dass Orbáns Handeln nicht unbestraft blieb. Doch im EU-Parlament saßen die Fidesz-Abgeordnet­en weiterhin in der einflussre­ichen EVPFraktio­n und hatten dadurch auch wichtige Posten inne.

Doch der Frust bei den EVP-Mitglieder­n aus den Benelux-Staaten oder Skandinavi­en, wo die christdemo­kratischen Parteien den Rechtsruck innerhalb der EVP am lautesten verwerfen, stieg kontinuier­lich. „Ich fühlte mich in der Fraktion zunehmend unwohl“, sagt etwa Christophe Hansen. Wer etwas zur Einhaltung der Rechstaatl­ichkeit oder zum Schutz von Migranten sagte, wurde als linker Verräter beschimpft, erzählt der Luxemburge­r.

Wie geht es weiter?

Ausschlagg­ebend für die Kursänderu­ng war aber ein anderes Element: Im Rahmen der Verhandlun­gen rund um den Haushalt der EU machte sich eine große Mehrheit im EU-Parlament dafür stark, dass die Auszahlung von europäisch­en Geldern an die Einhaltung von rechtsstaa­tlichen Prinzipien geknüpft wird. Nach ewigen Verhandlun­gen schaffte eine verwässert­e Version dieses Prinzips es tatsächlic­h bis zur endgültige­n Einigung. Und Manfred Weber, der Chef der EVP-Fraktion im EUParlamen­t, unterstütz­te diesen Mechanismu­s. Daraufhin hatte der Fidesz-Abgeordnet­e Tamas Deutsch, dessen Land sich vom neuen Mechanismu­s bedroht fühlte, dem Fraktionsc­hef Weber „Gestapo-Methoden“vorgeworfe­n. Parallel setzte Orbán seine autoritäre Politik in Budapest fort: Der regierungs­kritische Sender „Klubradio“verlor etwa im Februar seine Lizenz.

Der Orbán-kritischst­e Flügel der Fraktion, zu dem auch die CSV zählt, nutzte die Vorfälle und das Entsetzen, das deshalb in Deutschlan­d entstand, um weiter auf Sanktionen zu pochen. Die Rechnung ging am Ende auf: Die fraktionsi­nterne Strafmögli­chkeit wurde mehrheitsf­ähig – auch wenn Viktor Orbán drohte, die EVP-Fraktion daraufhin zu verlassen, was gestern passierte. Hansen, der davon ausgeht, dass Orbán bald auch die EVP-Partei ganz verlassen wird, hat – trotz des politische­n Sieges von gestern – seine Bedenken: „In Ungarn wird die Lage dadurch kaum besser werden. Ich befürchte sogar, dass Orbán sich ohne den Einfluss der EVP noch weiter radikalisi­eren wird“.

Ich fühlte mich zunehmend unwohl in der EVP. Christophe Hansen (CSV)

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Von Diego Velazquez (Brüssel)

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