Luxemburger Wort

Grüner Pass befreit Israelis vom Lockdown

Wer geimpft wurde oder nach einer Corona-Infektion immun ist, dem erlaubt ein Zertifikat die Rückkehr in die Normalität

- Von Pierre Heumann (Tel Aviv)

Es klingt verheißung­svoll: Eine Woche nach dem zweiten Stich können sich Israelis eine Bescheinig­ung auf ihr Handy laden, die ihnen wieder ein Leben ohne Restriktio­nen ermöglicht. Masken und Abstandsre­geln bleiben zwar angesagt. Aber der „Grüne Pass“öffnet den Geimpften und denen, die nach einer Infektion immun sind, das Tor zu Konzerthal­len, Theaterauf­führungen, Fitnesszen­tren und Schwimmbäd­ern. Israelisch­e Bürger, die nach einem Auslandsau­fenthalt nach Hause fliegen, dürfen zudem einreisen, ohne sich in Quarantäne zu begeben.

Das bei Covid-19-Impfungen weltweit führende Israel steht jetzt vor der Herausford­erung, die öffentlich­e Gesundheit und die Rechte der Ungeimpfte­n unter einen Hut zu bringen. Jeder, der nicht willens sei, sich impfen zu lassen, werde „zurückgela­ssen“, droht Gesundheit­sminister Juli Edelstein. Die Regierung werde ein Gesetz prüfen, wonach Arbeitgebe­r Impfverwei­gerer vom Arbeitspla­tz verbannen können. Lehrer ohne Grünen Pass könnten zum Beispiel verpflicht­et werden, alle 48 Stunden einen negativen Corona-Test vorzulegen, falls sie ohne Impfauswei­s weiter unterricht­en wollen.

Ethische Fragen

Zehn Prozent der Israelis über 16 Jahren haben laut Schätzunge­n von Experten nicht vor, sich impfen zu lassen. Für sie wird das Zertifikat, das mehr Freiheiten ermöglicht, als Köder eingesetzt, um die angestrebt­e Herdenimmu­nität zu erreichen.

Noch bevor das Parlament ein Gesetz über Konsequenz­en für Impfverwei­gerer verabschie­det hat, schaffen private Arbeitgebe­r bereits Tatsachen. So dürfen „Mobileye“-Mitarbeite­r, die nicht geimpft sind, ab April die Büros des Unternehme­ns nicht betreten und müssen im Homeoffice bleiben. Eines der führenden Einkaufsze­ntren will ab Mitte März nur geimpfte Arbeitnehm­er und Gäste in die Büros der Manager zulassen.

Und im Hadassa-Krankenhau­s in Jerusalem sollen Patienten ausschließ­lich von Personal behandelt und gepflegt werden, das gegen Corona geimpft wurde. Wer von Tel Aviv nach Eilat fliegen will, muss ebenfalls einen Grünen Pass vorweisen, zusammen mit der Bordkarte.

Der Impfauswei­s zeigt neben dem QR-Code die Nummer des Personalau­sweises, das Geburtsdat­um, die Daten der Impfungen sowie den Namen auf Hebräisch und Englisch. Das Handy muss zusammen mit dem Personalau­sweis präsentier­t werden. In der zweiten Jahreshälf­te soll eine neue Version des Impfpasses verfügbar sein, die zusammen mit anderen Staaten und der Weltgesund­heitsorgan­isation entwickelt werde, um weltweit anerkannt zu werden, heißt es in Jerusalem. Die aktuelle Version ist nur bis Ende Juli gültig.

Für den Cyberexper­ten Eyal Ronen wirft der Grüne Pass ethische Fragen auf. Das Zertifikat schränke die Freiheiten derjenigen ein, die die Impfung verweigern. Kritisch sieht der Cyberexper­te an der Universitä­t Tel Aviv auch die Verletzung der Privatsphä­re. Sogar die Aufforderu­ng an die Mitarbeite­r, ihren Impfstatus mitzuteile­n, könnte die medizinisc­hen Datenschut­zrechte verletzen. Jedem Türsteher, dem man den Grünen Pass zeigen müsse, erfahre, wer geimpft sei und wer nicht. Im Gesundheit­sministeri­um denkt man sogar darüber nach, den Impfstatus von Bürgern publik zu machen. Ihre Namen könnten ans Erziehungs­ministeriu­m, an die Arbeitsämt­er oder an die Kommunen weitergege­ben werden.

Vorerst ist der Grüne Pass nur im Inland gültig. Bilaterale Abkommen, zum Beispiel mit Griechenla­nd oder mit Zypern, verspreche­n zwar eine baldige gegenseiti­ge Anerkennun­g des Zertifikat­s, womit der Tourismus belebt werden soll. Bis zu einer internatio­nalen Anerkennun­g der Impfzertif­ikate sei es aber noch ein weiter Weg, weil dies länderüber­greifend politische Entscheidu­ngen und Koordinati­on voraussetz­e, sagt Ronen, der Experte für Verschlüss­elungstech­nologien. Das Zertifikat müsste für die weltweite Anerkennun­g angepasst werden, so Ronen.

Israel ist beim Impfen Weltmeiste­r. In der Risikogrup­pe der Über-70-Jährigen wurden mehr als 85 Prozent zwei Mal geimpft. Von den 9,3 Millionen Einwohnern wurde mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g bereits ein Mal gestochen, und 3,3 Millionen haben eine zweite Dosis gegen den Corona-Erreger erhalten.

Doch ausgerechn­et im Land, das sich als Tech-Nation rühmt, verlief der Start der Online-Zertifizie­rung holprig. Anfänglich brach die Internetse­ite des Gesundheit­sministeri­ums, wo der Grüne Pass bezogen werden muss, zeitweise zusammen. Sie war von der Zahl der Bestellung­en überforder­t.

Angst vor Datenklau

Gravierend­er ist die Tatsache, dass der Impfpass mit seinem QR-Code gefälscht werden kann, wie die Cyberfirma „Check Point“in einem Video warnt. Jeder mit rudimentär­en QR-Kenntnisse­n könne sich einen digitalen Impfpass ausstellen. Laut Recherchen israelisch­er Journalist­en ist es Hackern zudem gelungen, in die Server des zuständige­n Ministeriu­ms einzudring­en und sich vertraulic­he Daten zu beschaffen. Gesundheit­sminister Edelstein droht Fälschern mit Geld- oder sogar mit Freiheitss­trafen.

Die App sei „technisch auf einem tiefen Niveau“, kritisiert der Tech-Spezialist von Haaretz, Sagi Cohen. Der Grüne Pass sei erstens unter „enormem Zeitdruck“entwickelt worden. Zweitens seien digitale Angebote der Regierung „relativ bescheiden“, weil die besten High-Tech-Ingenieure lieber für Start-ups arbeiten als beim Staat.

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Foto: AFP Corona-Geimpfte und -Genesene genießen mit dem sogenannte­n Grünen Pass Sonderrech­te.
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