Überraschend, kontrovers und herausfordernd
„Andy Warhol Now“im Kölner Museum Ludwig
ter immer deutlicher gegen das gesellschaftlich Konventionelle positionierte. „Das Weib gab mir ein Gesicht, aber ich kann in der Nase bohren, beziehungsweise meine eigene Nase aussuchen“heißt es im Untertitel zu dem Selbstporträt mit Finger in der Nase – eine Anspielung auf die Redewendung „Der Herr gab mir mein Schicksal, aber ich kann meinen eigenen Weg gehen“.
Auch in seinen Zeichnungen, einen Raum weiter, wird diese Widerständigkeit sichtbar. Die in hervorragender handwerklicher Fertigkeit ausgeführten Zeichnungen lassen vor allem bereits Warhols frühe Auseinandersetzung mit Körperlichkeit respektive mit der (eigenen) Homosexualität erahnen. „Die homoerotischen Aspekte seines Lebens und Schaffens sind der eine Faden der Ausstellung, der andere ist seine religiöse Prägung durch die ruthenischen Kirche sowie die Auseinandersetzung mit Religiosität“, erklärt Dziewior.
In diesem Sinne lassen sich sogar jene Siebdrucke und Porträts deuten, mit denen Warhol am meisten assoziiert wird und die in der Ausstellung selbstredend nicht fehlen dürfen: Marilyn Monroe, Liz Taylor, Debbie Harry, Mick Jagger oder der Meister selbst fixieren die Besucher aus den gleichermaßen effektvoll wie expressiv vereinnahmenden Porträts. Sie wirken wie die Erinnerung oder gar Reminiszenz an die in der Ostkirche überlieferte Tradition der Ikonenmalerei – die Darstellung von Heiligen, die der kultischen Verehrung dienen. Doch die Porträts haben noch eine weite Ebene. Sie entstanden stets im gleichen Format, zudem sollten stets mehrere Bilder von einem Porträt produziert und verkauft werden. Diese serielle Kunstpraxis von Warhol machte eben auch und gerade nicht vor einem so intimen Sujet wie dem gemalten individuellen Porträt einer Persönlichkeit halt.
Einfluss der Ikonenmalerei
Die Doppelbödigkeit seiner Porträts kulminiert dann im Jahr 1972 in einer Porträtserie über den Führer des kommunistischen China, Mao Zedong. Den Personenkult um Mao, von dem im Reich der Mitte über zwei Milliarden Mal das selbe Porträtfoto in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens hing, ist Anlass für Warhols eigenes Massenprodukt des Großen Vorsitzenden. Das Porträt kopiert er immer wieder in verschiedenen Farben, gibt seinem Mao zudem noch farbige Lippen sowie Lidschatten und banalisiert auf diese Weise sein Kunstobjekt zu einem Konsumprodukt. Die künstlerische Umsetzung einer solchen Idee mag sich zwar aus der Anschauung von der Präsenz orthodoxer Ikonen speisen. Doch deren tiefe Sinn- und Bildhaftigkeit standen für Warhol womöglich nicht in Frage.
Denn sein gesamtes Leben über suchte Warhol regelmäßig Kirchen und Gottesdienste auf. Auch das wird früh in seinem Werk deutlich und zieht sich in ihnen bis zu seinem Tod durch. Auf dem wohl von der Neuen Sachlichkeit inspirierten Bild „Mädchen im Park“von 1948 erhebt sich raumgreifend die zwiebelförmige Kuppel der byzantinisch katholischen Kirche St. Chrysostom in Pittsburgh. Die Stadt, in der Andy Warhol im Jahr 1928 als dritter Sohn ruthenischer Einwanderer aus den Karpaten (heute Slowakei) mit dem Namen Andrew Warhola zur Welt gekommen ist, war Sitz des Oberbischofs dieser kleinen Kirche. Ihr Glaube kennzeichnet sich dadurch, dass sie zwar den Papst in Rom als Oberhaupt anerkennt, aber der Liturgie der byzantinischen Kirche folgt. Warhol, in dessen Elternhaus das Liedgut, insbesondere die Messgesänge der ruthenischen Kirche stets eine besondere Rolle spielten, wurde griechisch-katholisch getauft. Eine Kopie des weltberühmten Wandgemäldes vom letzten Abendmahl von Leonardo da Vinci hing in der Küche der Familie.
„Es ist etwas, das man ständig sieht. Man denkt nicht darüber nach“, sagte Warhol mit Blick auf diese Vorlage für die eigenen Bilder, die auf Leonardos Darstellung vom letzten Abendmahl zurückgehen. Zum Abschluss der
Ausstellung thront das großformatige Bild vom letzten Abendmahl („Details of the last Supper“) im letzten Raum. Diese Motivserie entstand 1986 wenige Monate vor Warhols Tod und zeigt den Moment des Beisammenseins einer eingeschworenen Gruppe. Eine geschlossene Gesellschaft? Kontrastierend dazu laufen unter dem Bild in den zu einem Rund aufgestellten Fernsehgeräten Beispiele des von Warhols etablierten TV-Formats, in dem sich mehr oder weniger prominente Personen über ihre Arbeit sowie Banalitäten des Alltags auslassen. Diese Oberflächlichkeit fasste er einmal mit dem aktuellen Satz zusammen: „In der Zukunft wird jeder für 15 Minuten berühmt sein.“Wie wäre Warhol, der als einer der ersten überhaupt die sich immer weiter ausdifferenzierenden und bis zur Oberflächlichkeit hin ausufernden Instrumente der Konsum-, Informationsund Unterhaltungsgesellschaft erkannte und, mehr noch: sich etwa mittels Film, Video, Foto, Grafik, Musik zunutze machte, mit jenem Angebot umgegangen, die Ausstellung über ihn durch einen virtuellen Rundgang via Internet zu besuchen? Ein physischer Besuch ist pandemiebedingt derzeit immer noch nicht möglich.
Immer wieder begegnen den Besuchern von Religion und religiöser Prägung inspirierte Werke. Womöglich sind es gerade diese Thematik und die künstlerische Widerspiegelung, die die mehrdimensionale Ausstellung über den selbst nahezu ikonenhaft verehrten Pop ArtKünstler überaus überraschend, kontrovers und herausfordernd macht. Das Monroe-Bild „Marilyn Round“mutet fast wie ein Amulett mit der Darstellung einer Heiligen an. In dem Siebdruck aus der 1981/82 entstandenen Serie „Crosses“setzt sich Warhol anhand des zentralen Symbols des Christentums mit der Darstellung des Kreuzes als individuelles oder serienmäßig vervielfältigtes Bild einerseits sowie dessen Bedeutung als religiöses Symbol oder schlichtes eher oberflächliches Logo andererseits auseinander. Eine Fotografie von Richard Avedon erinnert an bekannte Bildnisse christlicher Darstellungsformen, bei denen Heilige die Wunden ihrer Martyrien zeigen, ja präsentieren: Zu sehen ist auf der stark vergrößerten schwarz-weiß Fotografie Andy Warhols fast vollständig entblößter Oberkörper mit den vielen Narben als Folge des Attentats von 1968 – sein persönliches Martyrium, das er lebensgefährlich verletzt überlebte.
Das Begleitheft zur Ausstellung zeigt auf der letzten Seite ein Foto von 1987: Zu sehen ist der schwer kranke Künstler wenige Tage vor seinem Tod eingerahmt von zwei Mönchen aus dem Kloster Santa Maria della Grazie, in dem sich das Wandgemälde von Leonardo befindet. Die Ausstellung mit den „Details of the last Supper“, Warhols letzter thematischer Werkgruppe, fand damals direkt gegenüber dem Kloster statt.
Im Museum Ludwig in Köln bis zum 13. Juni, derzeit aber wegen Corona geschlossen.
Zeichnung aus dem Jahr 1947.