Die starken Waffen des schwachen Geschlechts
Ob USA, Israel oder Australien: In Geheimdiensten übernehmen Frauen Spitzenpositionen. Denn sie sind beim Beschaffen vertraulicher und geheimer Informationen besser als Männer.
Ein trüber Nachmittag im Oktober 1983. Im Konferenzraum der Luxemburger „Villa Louvigny“beendet Programmdirektor Helmut Thoma die Sprecherkonferenz der deutschen Hörfunkmacher. Routine. Als die Kollegen schon zur Tür streben, sagt Thoma nebenbei: „Übrigens, im Jänner machen wir auch Fernsehen!“Eine Aussage, die das Fernsehen über Jahrzehnte verändern sollte, vor allem die öffentlich-rechtlichen Programme.
Für das Team der „Fröhlichen Wellen“war das eigene Fernsehen die logische Fortsetzung ihrer Radioarbeit, die mit den unterschiedlichen Ensembles 1957 begann und auf die sie Jahrzehnte gewartet hatten. „Mit dem Radio und dem späteren Fernsehen importierten die Luxemburger bisher unerkannte Marktlogiken und Marktstrategien in das bundesdeutsche Mediensystem“, kolportiert die Medienwissenschaftlerin Katja Berg in ihrem Buch „Grenzenlose Unterhaltung – Radio Luxemburg in der Bundesrepublik 1957 – 1980“. Es ist ihre Doktorarbeit. Auf über vierhundert Seiten gelingt der Autorin nicht nur ein Blick hinter die Kulissen der „Villa Louvigny“, wo sich das Deutsche Programm niedergelassen hatte.
Idyllisch im Stadtpark des Großherzogtums gelang den Machern um Frank Elstner die Erschaffung eines publizistischen Kleinods. Keiner der etwa zwanzig Damen und Herren war über Dreißig, es gab nur Redakteure für die Nachrichten, drei Sekretärinnen, und wenn die Moderatoren telefonieren wollten, mussten sie das Gespräch bei Franz in der Zentrale anmelden.
Dafür erwartete der Programmdirektor ein paar Talente: Kreativität, ein unverwechselbares Timbre und einen intelligenten Witz. Geboten wurde ihnen eine fröhliche Umgebung, eine relativ entspannte Direktionsetage und ein erträgliches Gehalt. Um dieses aufzubessern durften die Radiomacher auch schon mal Angebote im Fernsehen annehmen, Helga Guitton bei der NDR-Schaubude, Frank E. bei der ARD („Spiel ohne Grenzen“) und der Verfasser dieser Zeilen als Showmaster der „Starparade“im ZDF.
Für das Großherzogtum war das Deutsche Programm so etwas wie eine „Goldene Kuh“. In ihrer Doktorarbeit nimmt die Autorin das frühe Radio Luxemburg zum Anlass, die einzigartige Erfolgsgeschichte des Senders zu recherchieren. Er begann als einziges Privatradio in deutscher Sprache und steht nun mit zahlreichen Dependancen an der Spitze internationaler Medienunternehmen.
Bergs Buch ist eine umfangreiche Arbeit über die politischen Zusammenhänge der CLT innerhalb des Landes, der Pioniere des Deutschen Programms und das Fernsehen, das in einer Vorstadt-Garage begann und die Fernsehlandschaft total veränderte: eine kopernikanische Wende.
Als Generaldirektor Gust Graas bei Bundeskanzler Helmut Schmidt um die Überlassung deutscher Frequenzen bat, war die Antwort: „Nur über meine Leiche“. Erst Helmut Kohl witterte Morgenluft. Er sah die Luxemburger als unpolitische Weggenossen, die ihn und seine Projekte in Ruhe lassen würden. Es gab einen RTL-Vorvertrag mit dem Verlagshaus Springer, der schließlich scheiterte, weil der Medienboss
Axel nicht zum verabredeten Termin erschien. Er war beim Zahnarzt.
Kurz entschlossen klopfte der verärgerte Graas bei Bertelsmann an. Doch die Herren sahen das Fernsehen als eine Konkurrenz zu ihrem Buchclub. Zufällig flog Gust Graas wenig später mit der Concorde nach New York. Als Sitznachbarn hatte er den BertelsmannEigentümer Reinhard Mohn. Zwei Stunden im Flugzeug brachten die Entscheidung.
Bertelsmann ist inzwischen Alleinbesitzer des einst luxemburgischen Fernsehens. Seinen Buchclub hat RTL längst wirtschaftlich um Längen überholt. Starthilfe für den ökonomischen Aufschwung gaben jedoch die „vier fröhlichen Wellen“, die sogar im damaligen Ostblock zu empfangen waren. Grenzsoldaten der DDRVolksarmee hörten zum ersten Mal die Songs der „Beatles“über die Kurzwelle, die deutsche Auswanderer mit ein paar Störgeräuschen sogar in Australien empfangen konnten. Dass es doch irgendwann einmal Schluss war, technische Probleme einen einwandfreien Empfang verhinderten, beliebte Mikrofon-Strategen von der Fahne gingen und es Zeit war für etwas Neues, das beschreibt Katja Berg in diesem perfekt recherchierten Buch mit unzähligen Fußnoten und Hinweisen auf weiterführende Literatur. Selten kommt eine wissenschaftliche Arbeit so locker daher.
Eine „Goldene Kuh“
Katja Berg: „Grenzenlose Unterhaltung. Radio Luxemburg in der Bundesrepublik 1957 – 1980“, Wallstein-Verlag, 489 Seiten, 46 Euro