Luxemburger Wort

Bertemes' Märchen

Gemeinsam mit Freundin Vera Hoffmann startet der Mittelstre­ckenläufer bei der Hallen-EM

- Von Jan Morawski

Es ist der bemerkensw­erteste Moment des Wettkampft­ages: Mehrere Minuten nach dem Ende des letzten Rennens beim CMCMMeetin­g bricht es aus Bob Bertemes heraus. Mit lauten Freudensch­reien dreht der Mittelstre­ckenläufer eine Ehrenrunde durch die Coque in Kirchberg. Dass keine Zuschauer auf den Tribünen sitzen, ist dem 26-Jährigen egal.

Dabei war der Grund für den ausgelasse­nen Jubel bei dem Hallenmeet­ing Mitte Februar nicht nur, dass sich Bertemes zum ersten Mal in seiner Karriere für eine Europameis­terschaft qualifizie­rt hat. „Ich habe mich so gefreut, weil ich nicht wusste, wo ich stehe“, verrät er. „Ich habe einen Trainerwec­hsel hinter mir, wir hatten neue Reize gesetzt und ich hatte auch Zweifel.“

Im Rennen über 1 500 m lief Bertemes mit persönlich­er Bestleistu­ng in 3'43''89 als Neunter über die Ziellinie. Der Sieger des Rennens, Landsmann Charel Grethen, knackte in 3'38''65 sogar den Landesreko­rd. Bei der Hallen-EM in Torun (PL) werden die beiden heute (ab 20.20 Uhr) gemeinsam im Vorlauf an den Start gehen.

„Es ist ein Vorteil für mich, dass ich ein bisschen unter dem Radar fliege“, erklärt Bertemes. „Die Augen sind auf Charel gerichtet, der noch mal ein gutes Stück schneller ist als ich. Ich profitiere davon, dass es von außen keine Erwartungs­haltung an mich gibt. Der einzige Druck kam von mir selbst.“Dabei verlief das Rennen in der Coque eigentlich gar nicht nach Plan.

Mentales Desaster

„Ich habe mich zwar gut gefühlt, aber das Rennen war für meine Verhältnis­se schon schnell“, sagt Bertemes. Es entstand eine Lücke vor Bertemes und der Spitzengru­ppe, die der Luxemburge­r vorerst nicht schließen konnte. „Als ich die 1 000-m-Durchgangs­zeit von 2'31'' gehört habe, habe ich gemerkt, dass ich auf Bestzeitku­rs bin. Das hat mir vor allem für die letzte Runde Flügel verliehen“, erzählt er. Am Ende lief Bertemes nur etwa acht Zehntelsek­unden hinter dem Australier Sam Blake ins Ziel.

Doch das sportliche Märchen hat ein weiteres Kapitel, das ebenfalls an jenem Samstag in Kirchberg geschriebe­n wurde. Denn Bertemes' Lebensgefä­hrtin Vera Hoffmann qualifizie­rte sich auch für die EM – und stand ihrem Freund während der bangen Minuten nach dem Zieleinlau­f zur Seite. „Ich habe Veras Blick gesucht, aber auch sie wusste nicht, ob es gereicht hat“, verrät der Läufer. Als die Zeit schließlic­h offiziell war, brach es aus Bertemes heraus. „Da hat sich ein Kindheitst­raum erfüllt.“

Dabei waren die Zweifel vor dem Startschus­s in der Coque nicht zu unterschät­zen. Eine Woche vor dem Rennen musste Bertemes in Metz ein 3 000-m-Rennen abbrechen, obwohl er sich zuvor im Training akribisch darauf vorbereite­t hatte. „Das war ein mentales Desaster“, bringt er es auf den Punkt. Sein neuer belgischer Coach, dessen Namen Bertemes noch nicht verraten will, habe ihm dann aber sehr geholfen.

Gemeinsam durch Höhen und Tiefen: Vera Hoffmann und Bob Bertemes.

In Polen wird diese Hilfe fehlen. Zur luxemburgi­schen Delegation zählen neben Grethen, Hoffmann und Bertemes nur noch Namensvett­er Bob Bertemes (Kugelstoße­n), dessen Trainer Khalid Alqawati sowie Teamleiter Arnaud Starck vom Verband FLA.

„Ich bin froh, dass Vera dabei ist“, sagt Bertemes. „Es ist wichtig, jemanden zu haben, der Höhen und Tiefen teilen kann.“Dabei kann die 24-Jährige sogar auf mehr EM-Erfahrung zurückgrei­fen. Bei der Ausgabe 2019 in Glasgow (SCO) war sie bereits über 1 500 m am Start.

Dass der Vorlauf heute Abend eine ganz neue sportliche Herausford­erung wird, dessen ist sich Bertemes bewusst. „Das wird super schwer. Von den Zeiten her

Ich habe Veras Blick gesucht, aber auch sie wusste nicht, ob es gereicht hat. Bob Bertemes

bin ich deutlich im hinteren Teil zu finden.“Der Norweger Jakob Ingebrigts­en beispielsw­eise, Hallen-Europameis­ter von 2018, hat eine Saisonbest­zeit von 3'31''80. „Eine Teilnahme am Endlauf ist quasi unmöglich“, gibt Bertemes zu. „Ich werde mein Bestes geben und versuchen, möglichst viele Erfahrunge­n mitzunehme­n.“

Gegen eine Spur Zusatznerv­osität wird sich der 26-Jährige allerdings nicht wehren können – vor allem, weil wegen der CoronaVors­chriften eine normale Wettkampfv­orbereitun­g kaum möglich sein wird. „Eigentlich bin ich vor solchen Rennen kein nervliches Wrack“, sagt er. „Aber ich glaube schon, dass ich aufgeregte­r sein werde als sonst. Schließlic­h wird es mein bisher größter Wettkampf.“

 ??  ?? Freudensch­reie in der Coque: Als Bob Bertemes seine neue Bestzeit erfährt, lässt er seinen Emotionen freien Lauf.
Freudensch­reie in der Coque: Als Bob Bertemes seine neue Bestzeit erfährt, lässt er seinen Emotionen freien Lauf.
 ?? Fotos: Christian Kemp ??
Fotos: Christian Kemp

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg