Luxemburger Wort

Stimmungsf­ragen

Deutschlan­ds Superwahlj­ahr beginnt – Berlin schaut in den Südwesten

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Karikatur: Florin Balaban

Susanne Eisenmann hat es nicht leicht. Wer nach ihr in Deutschlan­d bei Google sucht, findet sie gerade noch so auf Anhieb. Nummer zehn – hinter neun mehr oder weniger prominente­n anderen Susannen. Vorneweg die Tagesschau­Sprecherin Daubner und die frischestg­ewählte Bundesvors­itzende der Linken, Hennig-Wellsow. Indes: Das digitale ist auch ein realistisc­hes Ergebnis. Zumindest in der Wirklichke­it des Berliner Regierungs­viertels.

Zwar: Niemand fragt hier „Susanne Wer?“Aber das liegt nicht etwa an besonderer Bekannthei­t – sondern an fast demonstrat­ivem Desinteres­se. Dabei ruhen auf Eisenmann Hoffnungen. Keine kleinen. Die 56 Jahre alte Christdemo­kratin mit Doktortite­l in Philosophi­e soll ihrer Partei am Sonntag in einer Woche das Ländle zurückhole­n, politisch. Sie will Baden-Württember­g den Grünen entreißen.

Ignorante Gleichgült­igkeit

Stuttgart und Berlin trennen fast 650 Kilometer, Stuttgart und Mainz immerhin noch gut 200. Dort, am Rhein, heißt der Hoffnungst­räger der CDU Christian Baldauf. 53, Jurist. Auch er will – und soll – der CDU am 14. März ein Bundesland zurückhole­n, von der SPD: Rheinland-Pfalz. In der Hauptstadt ist Baldauf noch unbekannte­r als Eisenmann.

Man kann diese Gleichgült­igkeit für ignorant halten. Nein, man muss. Denn die beiden Abstimmung­en – mit denen das sogenannte deutsche Superwahlj­ahr beginnt – sind außer für die Länder im Südwesten auch von großer Bedeutung für die ganze Republik. Vielleicht nicht gleich zählbar. Ganz sicher aber für das, was auch Politologe­n gern Stimmung nennen.

Im Herbst nämlich steht ein politische­r Wechsel an, wie ihn Deutschlan­d seit dann 16 Jahren nicht mehr erlebt hat. Es wird einen neuen Kanzler bekommen. Vielleicht auch eine Kanzlerin – das ist nicht heraus. Bislang steht ja nur Olaf Scholz (SPD) als Bewerber fest. Die Union wird wohl entweder Armin Laschet (CDU) oder Markus Söder (CSU) ins Rennen schicken. Die Grünen entscheide­n bei der Spitzenkan­didatur zwischen ihren beiden Vorsitzend­en Robert Habeck und Annalena Baerbock. Zum allererste­n Mal werden auch sie sich um den Einzug ins Kanzleramt bewerben.

Niemand in Berlin rechnet damit, dass die nun anstehende­n Landtagswa­hlen die Republik auch nur annähernd so verändern könnten wie jene am 22. Mai 2005. Da eroberte die CDU nach fast 40 Jahren SPD-Herrschaft NordrheinW­estfalen. Was in etwa so ist, als ob die CSU aus der Münchner Staatskanz­lei hinausflög­e. Das Debakel

von NRW war der Beweis, dass der SPD-Heroe Herbert Wehner nicht übertriebe­n hatte, als er das Ruhrgebiet die „Herzkammer“seiner Partei genannt hatte. Seit dieser Niederlage hat sich die SPD im Bund von 34,2 Prozent bei der vorgezogen­en Bundestags­wahl – die Parteichef Franz Münteferin­g und Bundeskanz­ler Gerhard Schröder vor lauter Schreck umgehend anberaumte­n – auf stabile 16 Prozent herunterge­wirtschaft­et. Halbiert wäre noch untertrieb­en.

Was heißt das für den Fall, dass die Genossinne­n und Genossen nun Rheinland-Pfalz verlören? Die Umfragen sehen die CDU ganz knapp in Front. Ein, zwei Prozent. Das ist, einerseits, sowieso innerhalb der Fehlertole­ranz. Und zum anderen lag die SPD vor fünf Jahren noch viel weiter zurück.

Exakt: Malu Dreyer, die Ministerpr­äsidentin, hinter Julia Klöckner, der Herausford­erin. Mehr als zehn Prozent drei Monate vor dem Entscheid. Am Ende gewannen Dreyer und die SPD mit 4,4 Prozent Vorsprung. Auch weil Klöckner sich im letzten Moment von Angela Merkels Flüchtling­spolitik abgesetzt hatte.

SPD-Heroe Herbert Wehner hatte nicht übertriebe­n, als er das Ruhrgebiet die „Herzkammer“seiner Partei genannt hatte.

„Nah bei de Leut“

Aktuell holt Dreyer wieder auf. Und im Willy-Brandt-Haus hofft man, 2016 werde sich schon wiederhole­n. Dreyer ist fürs Wahlpublik­um ja das Ideal einer sozialdemo­kratischen Regierungs­chefin im dritten Jahrtausen­d: Zugewandt, „nah bei de Leut“, wie ihr Vorgänger Kurt Beck gern gesagt hat – aber auch führungsst­ark. Und wo es Not tut knallhart. Hätte sie es jemals gewollt: Sie wäre Parteichef­in. Und Kanzlerkan­didatin selbstvers­tändlich auch. Würde ausgerechn­et Dreyer abgewählt: Das Signal für die Bundes-SPD wäre verheerend.

So sehr wie die Sozialdemo­kraten fürchten sich die Grünen vor dem Misserfolg nicht. Das hat damit zu tun, dass Baden-Württember­gs Winfried Kretschman­n zwar ihr erster und einziger Regierungs­chef ist – aber keinesfall­s die Inkarnatio­n des Ideal-Grünen. Kretschman­n macht seit je sein eigenes Ding – ähnlich wie Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer; nur nicht ganz so sehr zum Zorn der Partei. Aktuell führen die Grünen mit drei, vier, sieben Prozent vor der CDU. Und selbst die CDU-Anhänger wollen lieber von Kretschman­n weiterregi­ert werden als künftig von Eisenmann. Aber selbst wenn am Ende alles doch ganz anders ausginge: Für die Grünen im Bund wäre das nicht halb so katastroph­al wie für die SPD ein Dreyer-Aus.

Und die CDU? Nähme Erfolg dankbar hin. Verkraftet es aber auch, falls alles bleibt wie es ist. Im Adenauer-Haus hat man ganz andere Probleme. Die K-Frage dräut. Laschet? Oder doch lieber Söder? Und Friedrich Merz drängt zurück in den Bundestag. Die wirklich harten Zeiten – sie kommen erst noch.

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