„Wir werden den Kampf weiterführen“
CNFL-Präsidentin Annie Nickels-Theis über den langen Weg zur Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern
Heute vor 110 Jahren, am 8. März 1911, wurde der erste Weltfrauentag begangen, seit 1921 findet er jährlich statt. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“spricht Annie Nickels Theis, die Präsidentin des Conseil national des femmes du Luxembourg (CNFL), über bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bei der Bezahlung, die Debatte rund um den Vaterbegriff sowie eine CSV-Spitzenkandidatin bei den Chamberwahlen 2023.
Annie Nickels-Theis, warum braucht es im Jahr 2021 eigentlich noch einen Weltfrauentag?
Eigentlich dürfte es nicht mehr sein, dass man ihn braucht, aber als CNFL sehen wir, dass es in vielen Bereichen noch keine Gleichberechtigung zwischen
Frau und Mann gibt. Dabei kämpfen wir schon seit Jahren für eine Gleichberechtigung auf allen Gebieten, sei es in der Politik oder in den Unternehmen. Aber es ist noch immer keine Selbstverständlichkeit.
Ist es nicht etwas frustrierend, dass der Kampf um Gleichberechtigung nie zu enden scheint?
Der Kampf hat sich im Lauf der Jahre verändert. Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele Dinge erreicht. Es ist nicht frustrierend, dass wir noch nicht da angekommen sind, wo viele es sich wünschen würden. Es hat sich schon viel getan, aber wir werden den Kampf in allen Bereichen weiterführen.
In welchem Bereich gibt es in Luxemburg den größten Nachholbedarf?
Hauptsächlich in den Verwaltungsräten größerer Unternehmen sind Frauen noch immer benachteiligt. Dabei sind sie genauso gut ausgebildet wie ihre männlichen Kollegen. Vielleicht kommt man an einer Quote nicht vorbei. In der Politik kämpfen wir seit Jahren dafür, dass sowohl kommunale als auch nationale Gremien paritätisch besetzt sind. Die Natur hat zwei Geschlechter geschaffen, die sich gegenseitig ergänzen sollten. Es ist auch nicht gut, wenn ausschließlich Frauen die Entscheidungen treffen. Es braucht einen Ausgleich.
Sind Frauen vielleicht nicht deswegen weniger häufig in Verwaltungsräten vertreten, weil sie eher geisteswissenschaftliche Studien absolvieren und die Abschlüsse in der Privatwirtschaft nicht so gefragt sind?
Ich glaube, viele Betriebe sind noch in einer männlichen Denkweise verhaftet, weil sie von Männern geleitet werden. Es gibt wahrscheinlich mehr Männer mit der benötigten Qualifikation, aber es gibt mittlerweile auch viele Frauen, die Naturwissenschaften studieren. Eine Quote könnte wie in der Politik zu einem Automatismus bei der Einstellung von Frauen führen.
Bei welchem Prozentsatz sollte eine Quote ansetzen?
Annie Nickels-Theis (48) betont, dass der CNFL Organisationen ganz unterschiedlicher politischer Couleur vereint. Auch wenn sie teils unterschiedliche Positionen vertreten, würden sie trotzdem an einem Strang ziehen.
Ich poche nicht auf Quoten, es wäre wünschenswert, wenn es ohne ginge. Im Idealfall wird man wegen seiner Qualifikation eingestellt.
Der heutige Frauenstreik steht im Zeichen der Arbeit. Zu den Forderungen gehören ein höherer Mindestlohn und kürzere Arbeitszeiten, ist das angesichts der aktuell angespannten Wirtschaftslage nicht etwas utopisch?
Wir konnten die Forderungen im Rahmen des Frauenstreiks in unserem Verwaltungsrat nicht im Detail analysieren. Für uns als CNFL ist klar, dass eine Frau, die dieselbe Arbeit wie ein Mann macht, auch denselben Lohn erhalten sollte. Im Moment ist es aber schwierig, generell höhere Löhne einzufordern.
Eine andere Forderung ist die nach mehr Notunterkünften für Personen in prekären Situationen. Wie ist die aktuelle Situation?
Die Wohnungsnot in Luxemburg ist enorm. Wir verwalten in Esch/Alzette das Foyer du Sud für Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, und sehen, dass die Warteliste unglaublich lang ist. Eigentlich sollten die Frauen dort nur eine gewisse Zeit bleiben, aber vor allem für alleinstehende Frauen mit Kindern ist es unglaublich schwer, eine Wohnung zu finden. Dieses Problem betrifft aber auch Männer.
Rund um das Gesetz zur künstlichen Befruchtung kam es zu einer ideologischen Diskussion über den Begriff „Papp“. War das nicht eine Scheindebatte, die vom eigentlichen Thema wegführt? Mitunter wurde so getan, als ob der Vater abgeschafft werden sollte.
Es wurde sicherlich falsch aufgenommen, was auch an der Funktionsweise der sozialen Medien liegt, wo oft schnell reagiert wird, ohne die Hintergründe zu kennen. Als CNFL wollen wir den Vater jedenfalls nicht abschaffen. Wir setzen uns für die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und gegen die Gewalt gegen Frauen ein.
Hat Luxemburg eigentlich aktuell eine Großherzogin, oder eine Gattin des Großherzogs?
(lacht) Für mich ist es noch immer Großherzogin Maria Teresa, wie es jetzt im Text vorgeschrieben ist, weiß ich nicht, ich habe mir die Frage nie gestellt. Sie müsste nun ihr Organigramm haben, das andere Aufgaben als für den Großherzog vorsieht.
Ende 2019 gab es im CNFL Diskussionen über den Ausschluss der Fédération nationale des femmes luxembourgeoises (FNFL). Deren Präsidentin Astrid Lulling kündigte juristische Schritte gegen die Entscheidung an. Wie ist der Stand der Dinge?
Es ist ihr gutes Recht, juristische Schritte einzuleiten. Die Sache
liegt derzeit bei den Anwälten. Wenn Sie ein Fußballverein sind und ein Mitglied möchte lieber Handball spielen, dann sollte es, wenn die Statuten es vorsehen, auch möglich sein, dass der Vorstand des Vereins das Mitglied ausschließt. Die FNFL wollte oder konnte sich nicht an die Regeln des CNFL halten und deswegen hat die Mehrheit der Mitglieder ihnen die Mitgliedschaft entzogen. Nun muss juristisch geklärt werden, ob ein Verein gezwungen werden kann, ein Mitglied aufzunehmen.
Das klingt ziemlich nebulös, was war denn nun der konkrete Grund für den Ausschluss?
Aus unserem Verwaltungsrat sollten keine Interna nach außen getragen werden und daran wollte sich die FNFL nicht halten. Auf den genauen Inhalt des ominösen Treffens bei der Großherzogin möchte ich nicht eingehen, eher beiße ich mir die Zunge ab. Wir bedauern was passiert ist, wollen aber jetzt nach vorne sehen.
Ein anderes Mitglied des CNFL ist das CID Fraen an Gender. Hier scheint man wenig Spaß bei Witzen zu verstehen, sobald sie auch nur teilweise auf Kosten von Frauen gehen. Auf der Facebookseite des CID kommt es dann zu teils ziemlich aggressiven Kommentaren, die geduldet werden.
Endet die Satirefreiheit bei den Frauen?
(Pause) Ich weiß es nicht. Eine gewisse Satire muss erlaubt sein. Auf verschiedenen Plattformen haben die Leute überhaupt kein Verständnis für Satire, die sie betrifft. Man muss auch feststellen, dass diese Leute oft über wenig Bewusstsein für andere Problematiken verfügen. Satire muss zwar erlaubt sein, aber es muss auch Grenzen geben.
Für mich ist es noch immer Großherzogin Maria Teresa.
Als christlichsoziale Frauen werden wir 2023 eine weibliche Spitzenkandidatur unterstützen.
Ihre Partei, die CSV, hat mit Martine Hansen eine Fraktionschefin. Ist 2023 die Zeit reif für die erste weibliche Spitzenkandidatur?
Als christlich-soziale Frauen haben wir bereits vor den letzten Nationalwahlen dafür plädiert, dass Martine Hansen Spitzenkandidatin werden sollte. Das wäre ein starkes Zeichen gewesen, aber unser Wunsch wurde nicht erhört. Zumindest war Frau Hansen Spitzenkandidatin im Bezirk Norden. Für 2023 werden wir eine weibliche Spitzenkandidatur unterstützen, wenn wir eine geeignete Kandidatin haben.