Der große Mangel
Engpass bei Mikrochips macht auch Autozulieferern aus Luxemburg zu schaffen – dabei sollte 2021 alles besser werden
Die Autoindustrie hat ein schweres Jahr mit zum Teil schweren Umsatzeinbrüchen hinter sich. Nun, mit einer, wenn auch langsam anlaufendenden, weltweiten Impfkampagne und der Hoffnung auf einen Boom durch die angestaute Nachfrage, sollten die Verluste im Laufe von 2021 zumindest teilweise wieder aufgeholt werden.
Aber schon zeichnet sich die nächste Herausforderung für die Autohersteller und ihre Zulieferer ab: Bereits seit Ende vergangen Jahres macht sich eine Verknappung des Angebots an Halbleitern und Mikrochips bemerkbar. Gerade bei den Autobauern wird das schnell problematisch. „In modernen Fahrzeugen werden alle möglichen Funktionalitäten über elektronische Steuergeräte (englisch: electronic control unit– ECU) reguliert – von der Klimaanlage bis zum Motor. In einem normalen Auto sind etwa 20 solcher ECUs verbaut. Für jede dieser Elektro-Komponenten benötigen Sie Mikrochips“, erklärt Anthony Auert, der Cluster Manager für den Bereich Automobility bei der Innovationsagentur Luxinnovation. Der Bedarf nach Mikrochips sei im Automobilsektor seit einigen Jahren deutlich gestiegen, da immer mehr Funktionen elektronisch gesteuert werden, so der Branchenexperte. „Der Bedarf nach Rechenkapazität wird sich in den kommenden Jahren mit der Zunahme der Elektromobilität und dem Aufkommen autonomer Fahrzeuge noch verstärken“, sagt er.
Gedrosselte Produktion
Kein Wunder also, dass die Branche vom Ausbleiben der Mikrochip-Lieferungen hart getroffen wird. Renault meldete vor Kurzem, dass der Automobilhersteller infolge des Mangels an Elektrobauteilen in diesem Jahr wohl etwa 100 000 Fahrzeuge weniger bauen wird als ursprünglich geplant. Schon im Dezember musste VW die Produktion der Modelle Golf und Tiguan mehrfach unterbrechen. Laut der Marktforschungsfirma IHS Markit werden im Jahr 2021 infolge des Engpasses voraussichtlich etwa eine Million Fahrzeuge weniger gebaut.
Auch die Luxemburger Automobilindustrie ist von dem Mangel betroffen. „Ein Großteil unserer Produkte wird als komplettes Sensorsystem mit der zugehörigen Elektronik ausgeliefert. Ein maßgeblicher Bestandteil davon sind Mikroprozessoren und Halbleiter“, erklärt Stephan Grengs, der für das Management der Lieferkette beim Sensorhersteller IEE aus Bissen verantwortlich ist. „Nach dem doch sehr schwierigen Jahr 2020 haben wir 2021 sehr optimistisch begonnen. Doch leider spüren auch wir schon massiv die Engpässe bei den Halbleitern“, sagt er. „Unsere Produktion steht zwar noch nicht, ist aber deswegen bereits in verschiedenen Bereichen gedrosselt. Wenn sich die Situation nicht bessert, werden wir in der Tat in naher Zukunft Probleme bekommen, Bestellungen abarbeiten zu können.“Das Problem macht sich selbst bei Herstellern bemerkbar, die nicht selbst Mikrochips verbauen, sondern andere Bauteile aus der Elektronikbranche beziehen. Cebi aus Steinsel, ein Hersteller von Temperatursonden, beispielsweise bestellt Leiterplatten bei Zulieferern. „Da die gesamte Supply Chain unter Druck ist, müssen auch wir bereits die Komponenten deutlich früher bestellen und längere Lieferzeiten einplanen. Langfristig werden sich dadurch wohl auch die Preise erhöhen“, sagt Raymond Mohrbach, Vorstandsmitglied bei Cebi.
Neben der Automobilbranche trifft der Engpass jeden Sektor, der Elektronikkomponenten verbaut. „Nach dem Stand von heute kann ich nachts noch ruhig schlafen, aber das könnte sich ändern. Wir spüren den Mangel mehr und mehr“, sagt Cedric Lorant, der Geschäftsführer von Emtronix, einem Zulieferer für die Luft- und Raumfahrtindustrie aus Sassenheim. „Wir nutzen recht spezifische Mikrochips, sodass uns die Auswirkungen noch nicht so unmittelbar betreffen, aber bei einigen Komponenten wirkt sich der Engpass bereits aus.“Bei Konsumenten dürfte der Mangel sich spätestens dann bemerkbar machen, wenn die heiß ersehnte neue Generation der Spielekonsole Playstation nicht ausgeliefert werden kann. In der aktuellen Situation möchte der Hersteller Sony nicht einmal garantieren, dass es bis zum Weihnachtsgeschäft genügend Geräte für jeden Interessenten gibt.
Nur eine Handvoll Lieferanten
Die Gründe für die Verknappung sind dabei vielfältig. Zum einen ist die weltweite Nachfrage nach Mikrochips mit dem Beginn der pandemiebedingten Lockdowns explodiert. Firmen, die ihre Mitarbeiter ins Homeoffice schickten, hatten plötzlich einen enormen Bedarf an digitalen Arbeitsmitteln. So verkaufte der Computerhersteller HP im letzten Quartal 2020 im Jahresvergleich etwa ein Drittel mehr Laptops. Insgesamt stieg der Verkauf von PCs im letzten Jahr laut der Datenfirma Canalys um rund elf Prozent. Hinzu kam, dass durch die Zunahme von Videokonferenzen im Homeoffice oder das „Bingewatchen“auf Netflix gegen die Langweile der Isolation in der Pandemie, der Bedarf nach zusätzlichen Servern
in Rechenzentren durch die Decke schoss. Schließlich dürfte auch der Hype um Kryptowährungen und der damit verbundene Mehrbedarf an Rechenkapazitäten einen Beitrag geleistet haben. Denn für alle diese Anwendungen sind Mikrochips die zentralen Komponenten. Der zweite Grund für den Engpass liegt darin, dass nur eine Handvoll von Herstellern wie TSMC aus Taiwan oder Samsung aus Südkorea den weltweiten Markt unter sich aufteilen. Etwa 80 Prozent der Produktionskapazitäten konzentrieren sich in Asien. Die fein austarierten globalen Lieferketten wurden zum einen durch die Sanktionen der US-Regierung gegen chinesische Unternehmen durcheinander gebracht. Zum anderen durch die Produktionsausfälle in asiatischen Werken im Frühling 2020 und die zunächst zurückhaltenden Bestellungen der Abnehmer im weiteren Verlauf der Krise. Die Herstellungsprozesse für die Chips sind hochkomplex, die Produktion kann daher nur mit einigem Vorlauf hochgefahren werden.
Für die Autohersteller wirkt sich dabei negativ aus, dass sie seit Jahren auf geringe Lagerhaltung und flexible „Just-in-Time“-Lieferketten setzen. Jetzt, wo der Nachschub ausbleibt, stehen vielerorts die Produktionsbänder still. Hinzu kommt, dass sie gegenüber den Chipherstellern in einer schlechteren Verhandlungsposition sind als bei sonstigen Lieferanten. Anders als bei Zulieferern für Bremsen oder Airbags sind die Autofirmen nicht die einzigen und nicht einmal die wichtigsten Kunden. So nehmen die Fahrzeughersteller gerade mal zehn Prozent der weltweit verbauten Mikrochips ab.
Aktuell arbeiten die Chiphersteller daran, ihre Produktionskapazitäten auszuweiten und die Rückstände aufzuholen. „Normalerweise sollte die Verknappung des Angebots an Mikrochips also ein zeitlich begrenztes Problem sein. Aber ich rechne schon damit, dass der Großteil der Autoindustrie bis Ende 2021 mit Schwierigkeiten konfrontiert sein wird“, sagt Auert.
Wenn sich die Situation nicht bald bessert, werden wir Probleme bekommen. Stephan Grengs, IEE