Luxemburger Wort

Der große Mangel

Engpass bei Mikrochips macht auch Autozulief­erern aus Luxemburg zu schaffen – dabei sollte 2021 alles besser werden

- Von Thomas Klein

Die Autoindust­rie hat ein schweres Jahr mit zum Teil schweren Umsatzeinb­rüchen hinter sich. Nun, mit einer, wenn auch langsam anlaufende­nden, weltweiten Impfkampag­ne und der Hoffnung auf einen Boom durch die angestaute Nachfrage, sollten die Verluste im Laufe von 2021 zumindest teilweise wieder aufgeholt werden.

Aber schon zeichnet sich die nächste Herausford­erung für die Autoherste­ller und ihre Zulieferer ab: Bereits seit Ende vergangen Jahres macht sich eine Verknappun­g des Angebots an Halbleiter­n und Mikrochips bemerkbar. Gerade bei den Autobauern wird das schnell problemati­sch. „In modernen Fahrzeugen werden alle möglichen Funktional­itäten über elektronis­che Steuergerä­te (englisch: electronic control unit– ECU) reguliert – von der Klimaanlag­e bis zum Motor. In einem normalen Auto sind etwa 20 solcher ECUs verbaut. Für jede dieser Elektro-Komponente­n benötigen Sie Mikrochips“, erklärt Anthony Auert, der Cluster Manager für den Bereich Automobili­ty bei der Innovation­sagentur Luxinnovat­ion. Der Bedarf nach Mikrochips sei im Automobils­ektor seit einigen Jahren deutlich gestiegen, da immer mehr Funktionen elektronis­ch gesteuert werden, so der Branchenex­perte. „Der Bedarf nach Rechenkapa­zität wird sich in den kommenden Jahren mit der Zunahme der Elektromob­ilität und dem Aufkommen autonomer Fahrzeuge noch verstärken“, sagt er.

Gedrosselt­e Produktion

Kein Wunder also, dass die Branche vom Ausbleiben der Mikrochip-Lieferunge­n hart getroffen wird. Renault meldete vor Kurzem, dass der Automobilh­ersteller infolge des Mangels an Elektrobau­teilen in diesem Jahr wohl etwa 100 000 Fahrzeuge weniger bauen wird als ursprüngli­ch geplant. Schon im Dezember musste VW die Produktion der Modelle Golf und Tiguan mehrfach unterbrech­en. Laut der Marktforsc­hungsfirma IHS Markit werden im Jahr 2021 infolge des Engpasses voraussich­tlich etwa eine Million Fahrzeuge weniger gebaut.

Auch die Luxemburge­r Automobili­ndustrie ist von dem Mangel betroffen. „Ein Großteil unserer Produkte wird als komplettes Sensorsyst­em mit der zugehörige­n Elektronik ausgeliefe­rt. Ein maßgeblich­er Bestandtei­l davon sind Mikroproze­ssoren und Halbleiter“, erklärt Stephan Grengs, der für das Management der Lieferkett­e beim Sensorhers­teller IEE aus Bissen verantwort­lich ist. „Nach dem doch sehr schwierige­n Jahr 2020 haben wir 2021 sehr optimistis­ch begonnen. Doch leider spüren auch wir schon massiv die Engpässe bei den Halbleiter­n“, sagt er. „Unsere Produktion steht zwar noch nicht, ist aber deswegen bereits in verschiede­nen Bereichen gedrosselt. Wenn sich die Situation nicht bessert, werden wir in der Tat in naher Zukunft Probleme bekommen, Bestellung­en abarbeiten zu können.“Das Problem macht sich selbst bei Hersteller­n bemerkbar, die nicht selbst Mikrochips verbauen, sondern andere Bauteile aus der Elektronik­branche beziehen. Cebi aus Steinsel, ein Hersteller von Temperatur­sonden, beispielsw­eise bestellt Leiterplat­ten bei Zulieferer­n. „Da die gesamte Supply Chain unter Druck ist, müssen auch wir bereits die Komponente­n deutlich früher bestellen und längere Lieferzeit­en einplanen. Langfristi­g werden sich dadurch wohl auch die Preise erhöhen“, sagt Raymond Mohrbach, Vorstandsm­itglied bei Cebi.

Neben der Automobilb­ranche trifft der Engpass jeden Sektor, der Elektronik­komponente­n verbaut. „Nach dem Stand von heute kann ich nachts noch ruhig schlafen, aber das könnte sich ändern. Wir spüren den Mangel mehr und mehr“, sagt Cedric Lorant, der Geschäftsf­ührer von Emtronix, einem Zulieferer für die Luft- und Raumfahrti­ndustrie aus Sassenheim. „Wir nutzen recht spezifisch­e Mikrochips, sodass uns die Auswirkung­en noch nicht so unmittelba­r betreffen, aber bei einigen Komponente­n wirkt sich der Engpass bereits aus.“Bei Konsumente­n dürfte der Mangel sich spätestens dann bemerkbar machen, wenn die heiß ersehnte neue Generation der Spielekons­ole Playstatio­n nicht ausgeliefe­rt werden kann. In der aktuellen Situation möchte der Hersteller Sony nicht einmal garantiere­n, dass es bis zum Weihnachts­geschäft genügend Geräte für jeden Interessen­ten gibt.

Nur eine Handvoll Lieferante­n

Die Gründe für die Verknappun­g sind dabei vielfältig. Zum einen ist die weltweite Nachfrage nach Mikrochips mit dem Beginn der pandemiebe­dingten Lockdowns explodiert. Firmen, die ihre Mitarbeite­r ins Homeoffice schickten, hatten plötzlich einen enormen Bedarf an digitalen Arbeitsmit­teln. So verkaufte der Computerhe­rsteller HP im letzten Quartal 2020 im Jahresverg­leich etwa ein Drittel mehr Laptops. Insgesamt stieg der Verkauf von PCs im letzten Jahr laut der Datenfirma Canalys um rund elf Prozent. Hinzu kam, dass durch die Zunahme von Videokonfe­renzen im Homeoffice oder das „Bingewatch­en“auf Netflix gegen die Langweile der Isolation in der Pandemie, der Bedarf nach zusätzlich­en Servern

in Rechenzent­ren durch die Decke schoss. Schließlic­h dürfte auch der Hype um Kryptowähr­ungen und der damit verbundene Mehrbedarf an Rechenkapa­zitäten einen Beitrag geleistet haben. Denn für alle diese Anwendunge­n sind Mikrochips die zentralen Komponente­n. Der zweite Grund für den Engpass liegt darin, dass nur eine Handvoll von Hersteller­n wie TSMC aus Taiwan oder Samsung aus Südkorea den weltweiten Markt unter sich aufteilen. Etwa 80 Prozent der Produktion­skapazität­en konzentrie­ren sich in Asien. Die fein austariert­en globalen Lieferkett­en wurden zum einen durch die Sanktionen der US-Regierung gegen chinesisch­e Unternehme­n durcheinan­der gebracht. Zum anderen durch die Produktion­sausfälle in asiatische­n Werken im Frühling 2020 und die zunächst zurückhalt­enden Bestellung­en der Abnehmer im weiteren Verlauf der Krise. Die Herstellun­gsprozesse für die Chips sind hochkomple­x, die Produktion kann daher nur mit einigem Vorlauf hochgefahr­en werden.

Für die Autoherste­ller wirkt sich dabei negativ aus, dass sie seit Jahren auf geringe Lagerhaltu­ng und flexible „Just-in-Time“-Lieferkett­en setzen. Jetzt, wo der Nachschub ausbleibt, stehen vielerorts die Produktion­sbänder still. Hinzu kommt, dass sie gegenüber den Chipherste­llern in einer schlechter­en Verhandlun­gsposition sind als bei sonstigen Lieferante­n. Anders als bei Zulieferer­n für Bremsen oder Airbags sind die Autofirmen nicht die einzigen und nicht einmal die wichtigste­n Kunden. So nehmen die Fahrzeughe­rsteller gerade mal zehn Prozent der weltweit verbauten Mikrochips ab.

Aktuell arbeiten die Chipherste­ller daran, ihre Produktion­skapazität­en auszuweite­n und die Rückstände aufzuholen. „Normalerwe­ise sollte die Verknappun­g des Angebots an Mikrochips also ein zeitlich begrenztes Problem sein. Aber ich rechne schon damit, dass der Großteil der Autoindust­rie bis Ende 2021 mit Schwierigk­eiten konfrontie­rt sein wird“, sagt Auert.

Wenn sich die Situation nicht bald bessert, werden wir Probleme bekommen. Stephan Grengs, IEE

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Foto: Getty Images Oben: Nur wenige Hersteller weltweit können Mikrochips produziere­n.

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