Luxemburger Wort

Keine Immunität für Puigdemont

Das Europäisch­e Parlament erlaubt die Strafverfo­lgung des ehemaligen katalanisc­hen Regionalpr­äsidenten

- Von Martin Dahms (Madrid)

An einem Sonntagmit­tag vor dreieinhal­b Jahren, dem 29. Oktober 2017, machte sich der damalige Regionalpr­äsident Katalonien­s, Carles Puigdemont, auf den Weg nach Brüssel, um sich einem möglichen Strafverfa­hren der spanischen Justiz zu entziehen. Seitdem ist er nicht wieder nach Spanien zurückgeke­hrt. Er lebt in einem Einfamilie­nhaus im Brüsseler Vorort Waterloo und versucht aus der Ferne, seinen Beitrag zur Loslösung Katalonien­s von Spanien zu leisten, während ihm die spanische Justiz weiter mit einem Europäisch­en Haftbefehl auf den Fersen ist. Am Dienstag ist das Auslieferu­ngsverfahr­en gegen Puigdemont einen kleinen Schritt vorangekom­men.

Um seinen Verfolgern das Leben zu erschweren, hatte sich Puigdemont vor zwei Jahren als Spitzenkan­didat eines separatist­ischen Wahlbündni­sses für die Wahlen zum Europäisch­en Parlament aufstellen lassen und das Mandat auch gewonnen. Nach einigem juristisch­en Hin und Her konnte er seinen Sitz im Dezember 2019 einnehmen und genoss seitdem parlamenta­rische Immunität. Die haben ihm seine Parlaments­kollegen nun entzogen, mit klarer, wenn auch nicht großartige­r Mehrheit: mit 400 gegen 248 Stimmen bei 45 Enthaltung­en.

Mit Puigdemont verloren auch zwei seiner Mitstreite­r, die ehemaligen Regionalmi­nister Antoni Comín und Clara Ponsatí, den Schutz vor Strafverfo­lgung. Das Ende der Immunität bedeutet nicht, dass Puigdemont nun in Handschell­en aus dem Parlaments­gebäude oder aus seinem Wohnhaus in Waterloo abgeführt wird.

Belgische Justiz entscheide­t nun

Da ist noch die belgische Justiz vor. Die hat über den Europäisch­en Haftbefehl zu entscheide­n, wobei sie sich den katalanisc­hen Separatist­en gegenüber bisher eher wohlgesinn­t gezeigt hat. Es gibt noch einen vierten Katalanen in Belgien, den Spanien gerne wieder in Empfang nehmen würde, den ehemaligen Kulturmini­ster Lluís Puig, der aber kein Europaabge­ordneter ist und dessen Auslieferu­ngsverfahr­en

deswegen schon zu einem vorläufige­n Ende gekommen ist: nämlich dem, dass er nicht nach Spanien abgeschobe­n werden soll. Das schmerzt die spanische Justiz und auch die Regierung, weil sie mit dieser Entscheidu­ng den spanischen Rechtsstaa­t in Frage gestellt sieht.

Gesucht werden die vier ehemaligen Regionalpo­litiker wegen ihrer maßgeblich­en Beteiligun­g an der Organisati­on des illegalen katalanisc­hen Unabhängig­keitsrefer­endums am 1. Oktober 2017, womit sie sich nach Ansicht der Strafverfo­lger der „sedición“(Aufruhr) und der Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder schuldig gemacht haben. Etliche ihrer ehemaligen Kabinettsk­ollegen sind deswegen bereits von Spaniens Oberstem Gerichtsho­f im Herbst 2019 zu Haftstrafe­n bis zu 13 Jahren verurteilt worden.

Spanien irritiert über Belgien

Das belgische Gericht, das über die mögliche Auslieferu­ng von Lluís Puig entschied, begründete deren Ablehnung damit, dass der Oberste Gerichtsho­f in Madrid, der die Auslieferu­ng beantragt hatte, dafür gar nicht zuständig sei, sondern bestenfall­s ein katalanisc­hes Gericht. So viel Einmischun­g in ihr Rechtssyst­em stieß den Spaniern sauer auf. Nun soll der EU-Gerichtsho­f darüber entscheide­n, wie weit überhaupt der Handlungsu­nd Interpreta­tionsspiel­raum nationaler Gerichte im Falle eines Europäisch­en Haftbefehl­s reicht. Das Verfahren wird sich voraussich­tlich noch lange hinziehen.

Nebenbei hat die Abstimmung über Puigdemont­s Immunität im Europaparl­ament erneut den kritischen Zustand der regierende­n spanischen Linkskoali­tion offengeleg­t: Die Sozialiste­n stimmten für die Aufhebung der Immunität, die linkspopul­istische Unidas Podemos dagegen.

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Foto: AFP Carles Puigdemont (links) mit Unterstütz­ern vor dem Europäisch­en Parlament in Brüssel.

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