Japans langes Leiden
Am 11. März 2011 kommt es zur Nuklear-Havarie in Fukushima
Bilder, wie sie sonst nur in Hollywood-Apokalypsen zu sehen sind: Nach dem gigantischen 9,0-Beben vor zehn Jahren vor Japans zentralöstlicher Küste brechen bis zu 38 Meter hohe Tsunami-Wellen über die Küste herein. Japanische Fernsehsender zeigen live, wie gewaltige Wassermassen ganze Küstenstriche schlucken und Autos mit schwemmen, als seien es Spielzeuge. Häuser, ja ganze Wohngebiete knicken unter dem Druck der Wassermassen ein. Als sich die Fluten nach dem Großen Beben von Tohoku zurückziehen, sind weite Gebiete eines 670 Kilometer langen Küstenstrichs zerstört.
Überhitzte Reaktoren
Das Erdbeben und der Tsunami vom 11. März 2011 sollten 15 900 Menschen töten. Laut offiziellen Angaben bleiben 2 529 Menschen weiterhin vermisst. 200 000 waren mit einem Schlag obdachlos geworden – davon rund 40 000 im Gebiet der Präfektur Fukushima, wo an der Küste ein gleichnamiges Kernkraftwerk mit sechs Reaktoren steht.
Rund 40 Minuten nach dem Hauptbeben zerstört der Tsunami dort gleich die Kühlsysteme der Anlagen. Die zehn Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Reaktorblöcke 1 bis 4 werden bis zu fünf Meter hoch überschwemmt, die drei Meter höher erbauten Blöcke 5 und 6 bis zu einem Meter. Die schweren Überschwemmungen setzen die Generatoren außer Betrieb – mit der Ausnahme von einem, der weiterhin die Sicherheitssysteme für die Reaktoren 5 und 6 versorgt.
In den Reaktoren 1, 2 und 3 arbeiten dampf- und batteriebetriebene
Sicherheitssysteme noch für mehrere Stunden. Schließlich versagen auch diese Systeme, die Reaktoren überhitzen. Innerhalb von drei Tagen kommt es zu Kernschmelzen in den drei Meilern. Dabei explodieren auch Teile der Gebäude. Unbeschadet übersteht Reaktorblock 4 die Katastrophe. Der ist seit November 2010 wegen einer großen Revision außer Betrieb.
Aufwendige Dekontaminierung
Nachlässiger Tsunami-Schutz, eine nicht eingebunkerte Notstromversorgung und die mit der Industrie verfilzte Atomaufsicht haben zur Reaktorkatastrophe in Fukushima geführt. Dies ausgerechnet im perfektionistischen Japan. Seit dem Unglück ist das Gebiet strahlenverseucht und unbewohnbar. Eine rote Sperrzone erstreckt sich über einen 20-Kilometer-Radius nordwestlich der radioaktiv verseuchten Anlage. Die hügelige, von kleinen Dörfern und zahlreichen Bauernhöfen durchsetzte Landschaft ist größtenteils der Natur überlassenes Sperrgebiet. Häuser, Läden, Schulen zerfallen. Bäume, Gras und Pflanzen überwachsen Straßen. Zurückgeblieben sind einzig Tiere, die wild im Gebiet leben.
Hochbetrieb herrscht dagegen beim Atomkraftwerk Fukushima
Daiichi. Eine aufwendige Dekontaminierungsoperation versucht die Anlagen zu versiegeln. Dazu gehört noch immer eine Technologie entwickelt, die es noch gar nicht gibt – so gigantisch ist die Herausforderung, die geschätzt 900 Tonnen geschmolzenen Brennstoffreste zu entsorgen. Die Arbeit wird weitgehend von Robotern ausgeführt, die den Anforderungen noch immer nicht gewachsen sind. Die Gesamtkosten für die komplette Stilllegung werden auf 75 Milliarden Dollar veranschlagt. Und steigen unaufhörlich. Frühestens 2051, so sagt der mit der Sicherung und Räumung beauftragte ehemalige Kraftwerkbetreiber Tepco, sollen die Atomanlagen von Fukushima Daiichi keine Gefahr mehr darstellen.
Alles ist „hochradioaktiv“
„Es ist wahrscheinlich, dass der Terminplan nicht eingehalten wird“, sagt Tetsuro Tsutsui, Mitglied von Japans Bürgerkommission für Kernenergie, einer Gruppe aus Akademikern und Nuklearexperten. „Geschmolzene Trümmer haben sich mit zerbrochenen Gebäudeteilen und Betonmaterial vermischt, was es für Roboter schwierig macht, die Trümmer zu beseitigen.“Alles sei „hochradioaktiv“, so Tsutsui.
Im Februar gab Tepco die behandelte Menge an verseuchtem Wasser mit 1 246 960 Kubikmetern an – das sind umgerechnet 499 gefüllte Olympische Schwimmbecken. Denn Wasser wird laufend zur Kühlung der zerstörten Reaktoren gebraucht. Gespeichert wird das Kühlwasser in 1 061 Tanks vor Ort, wobei Millionen Liter auch ins Erdreich versickern. Die Gesamtkapazität der derzeitigen Speichermenge liegt bei 1 370 000 Kubikmetern.
Tsunami-Wellen treffen auf Häuser in Natori: Japan, eine der reichsten Nationen der Welt, mit modernsten Warnsystemen ausgestattet, muss in den Märztagen 2011 eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte schreiben.
Im Sommer 2022 soll die maximale Kapazität erreicht sein. Es gibt dann auch schlicht keinen Platz mehr, um neue Tanks zu errichten.
Zudem bleiben viele Fragen ungeklärt. Auf Tepcos Webseite zu den Räumungsarbeiten heißt es:
„Es muss geprüft werden, wie das gesamte Gelände im Laufe der Arbeiten genutzt werden kann, um die für die Stilllegung erforderlichen Einrichtungen unter Berücksichtigung der Platzbeschränkungen am Standort zu errichten.“Platz wird auch für die Lagerung von abgebrannten Brennelementen und Brennelementtrümmern benötigt. Zudem bleibt die Frage des Endlagers ungeklärt. Noch keine Gemeinde in Japan hat sich dafür bereit erklärt.
Kein fundamentales Umdenken
Von Japans 39 Atomreaktoren sind derzeit bloß noch vier in Betrieb. Dies, weil seit Fukushima strengere Sicherheitsvorschriften gelten. Doch trotz des schlimmsten Atomunglücks seit Tschernobyl im Jahr