„Bis man ihn mal erwischt“
Die Opposition will den deutschen Vizekanzler Olaf Scholz im Finanzskandalfall Wirecard endlich drankriegen
Hinterher sind natürlich alle klug. Hinterher wissen alle, dass Wirecard ein einziger Schwindel gewesen ist. Milliardenschwer. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiß es. Sie hat bei Chinas Staatspräsident Xi Jinping Werbung für das Münchner Unternehmen gemacht, das als „Finanzdienstleister“firmierte. Eine Bezeichnung, die am passgenauesten ist für die persönlichen Finanzen des Vorstandsvorsitzenden (CEO) Markus Braun und des Finanzvorstands und Leiters des operativen Geschäfts (COO) Jan Marsalek. Ihnen hat Wirecard, wie es scheint, vor allem gedient.
Auch der deutsche Vizekanzler, Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) weiß es. Allerdings hätte er den Betrug viel früher erkennen müssen. Ganz sicher erkennen können. Denn seinem Ministerium sind diverse Finanzkontrollbehörden unterstellt.
Die Wirecard-Blase platzte im Juni 2020; seitdem sitzt CEO Braun in Haft und COO Marsalek ist auf der Flucht. Auch Scholz und die Kanzlerin haben Probleme. Experten nennen die Pleite den größten Finanzskandal der bundesdeutschen Geschichte. Seit Oktober 2020 beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit dem „Verhalten der Bundesregierung und ihrer Geschäftsbereichsbehörden“.
Attacken vor den Wahlen
Am Mittwochvormittag zieht die Opposition Zwischenbilanz. Die Zeit für den Ausschuss wird knapp; gerade mal noch sieben Sitzungswochen bis zur Sommerpause – und danach ist Bundestagswahl. Zusätzlich sind schon kommenden Sonntag Abstimmungen in Baden-Württemberg
und RheinlandPfalz; da passt ein bisschen Attacke auf die Regierenden gut.
Zusammengenommen zeichnen die Finanzexperten von FDP, Grünen und Linken ein desaströses Bild vor allem von der Arbeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Im Ausschuss hat sich – nur unter anderem – ergeben, dass man dort offenbar lieber mit Wirecard kooperierte als mit der Deutschen Bundesbank. Auch und gerade, als die Londoner „Financial Times“(„FT“) längst über Ungereimtheiten bei Wirecard berichtete; seit 2015 ging es immer wieder um bilanzielle Unstimmigkeiten. Die zuständige Staatsanwaltschaft in München begann zu ermitteln, allerdings nicht gegen Wirecard – sondern gegen die „FT“-Journalisten.
Schon im Februar 2016 – so ergab sich in der jüngsten Ausschusssitzung – fertigte eine Bundesbank-Mitarbeiterin eine Analyse der „FT“-Berichterstattung. In ihrem Sieben-Seiten-Papier fragte sie unter anderem, warum von Wirecard in Singapur eingereichte Berichte „nicht zu den Angaben im in Deutschland eingereichten Konzernbericht“passten. Und warum Wirecard „Millionen für strauchelnde asiatische Unternehmen“ausgebe.
Inzwischen ist die Antwort bekannt: Alles diente der Verschleierung des Betrugs, der Wirecards Geschäftsmodell war. Bekannt ist auch, dass ein Vorstand der Wirecard-Bank die Verfasserin in einer internen Mail als „die kleine Maus“schmähte. Und dass sich die Bafin bis zur Wirecard-Pleite nicht für die Analyse interessierte – sondern trotz Warnungen der Bundesbank lieber Entscheidungen traf, die Wirecard in die Hände spielten.
Weitere Affäre kocht hoch
Aber erst als auch noch bekannt wurde, dass Bafin-Mitarbeiter mit Wirecard-Aktien spekuliert hatten – musste im Januar Präsident Felix Hufeld zurücktreten. Seitdem ist der Skandal Olaf Scholz ganz nahe gerückt.
Der Opposition gibt das die Chance, eine für den Vizekanzler unangenehme Kontinuität zu skizzieren: Vor Wirecard war die CumEx-Affäre – in der der Hamburger Bankier Christian Olearius den damals Hamburg regierenden Scholz hinstellt wie seinen Beihelfer zum Steuerbetrug. Und gerade eben kocht die Greensill-Affäre hoch, bei der etwa 50 deutsche Kommunen bis zu einer halben Milliarde Euro verlieren könnten – und wieder steht die Bafin im Fokus.
Ob Scholz Wirecard „politischen Schutz“gewährte – oder gar nicht eingreifen konnte, wie er behauptet: Ende April muss er dazu im Ausschuss aussagen – einen Tag vor der Kanzlerin. „Den ganzen Tag und die Nacht“will die Opposition Scholz einvernehmen – denn, so Florian Toncar, Obmann der FDP: „Das wird ein Schleichen um die Hecken und um den Busch, bis man ihn mal erwischt.“