Am Anfang waren die Länder
Als Bundesrepublik wurde Deutschland 1949 gegründet. Die „Länder“als deren föderative Glieder entstanden aber bereits einige Jahre zuvor. Sie waren eine Schöpfung der alliierten Militärregierungen im besiegten Deutschen Reich. Das Grundgesetz gewährt ihne
Die deutschen Bundesländer machen seit einem Jahr so viel von sich reden wie kaum jemals zuvor. Divergierende Corona-Maßnahmen und der Streit darüber, ob eine solche Vielstimmigkeit der Regeln und der Meinungen sinnvoll ist, prägen die öffentliche Diskussion bei Luxemburgs großem Nachbarn. Rechtens ist diese Politik auf jeden Fall. Denn die 16 „Länder“– so ihre offizielle Bezeichnung – sind keine bloßen Provinzen oder Départements, auch keine „Regionen“, wie sie in manchen Ländern eine gewisse Autonomie vom Zentralstaat genießen. Sie bilden „teilsouveräne“Gliedstaaten und sind in ihrer heutigen Gestalt sogar älter als die 1949 gegründete Bundesrepublik. Die Ursprünge dieses Föderalismus-Prinzips in Deutschland reichen gar bis ins Mittelalter zurück (siehe Kasten „Tradition der Kleinstaaterei“).
Mit dieser langen Tradition war 1945 aber erst einmal Schluss. Nach der militärischen Kapitulation des „Dritten Reiches“am 8. Mai 1945 übernahmen die vier Hauptalliierten – die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, die „oberste Regierungsgewalt in Deutschland (…) einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden“, wie es die Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 festhielt. Damit sollte die Wiederherstellung einer staatlichen Ordnung gewährleistet werden. Festgehalten wurde in der Deklaration aber auch, dass dieser massive Eingriff in die staatliche Souveränität nicht eine Annektierung Deutschlands bewirken würde.
Deutschland im Jahre Null
Das Gebiet des Deutschen Reiches in seinen Grenzen von 1937 wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die östliche Zone wurde der Sowjetunion zugesprochen, Großbritannien erhielt das nordwestliche Gebiet, während die amerikanische Armee die südwestliche Zone (sowie zusätzlich Bremen) besetzte und Frankreich das westliche Gebiet. In jeder Zone oblag es der jeweiligen Militärregierung, in eigener Verantwortung die politische und wirtschaftliche Entwicklung zu bestimmen. Gemeinsam bildeten die vier Militärgouverneure – die militärischen Oberbefehlshaber der vier Besatzungsmächte – den Alliierten Kontrollrat mit Sitz in Berlin. Er sollte alle Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen regeln. Bei diesen Entscheidungen war Einstimmigkeit gefordert. Berlin selbst erhielt eine Viermächte-Verwaltung durch eine Alliierte Kommandantur, wobei die Stadt in vier Sektoren geteilt wurde.
Die Lage, die sich den alliierten Militärregierungen präsentierte, konnte nicht desolater sein. Das Land war verwüstet, die Zentren der großen Städte durch die schweren Bombenangriffe meist völlig zerstört, ebenso die größeren Bahnhöfe und Brücken. Die Industrieproduktion
war völlig zum Erliegen gekommen. Unzählige Menschen hatten keine Bleibe mehr. Vielerorts fehlte es an Wasser, Gas und elektrischem Strom. Lebensmittel waren extrem rar. Hunger und Mangel an den wichtigsten Gütern bestimmten damals den Alltag der Menschen in Deutschland.
Da es auch keine örtlichen Verwaltungen mehr gab, setzten die Alliierten bald nach ihrem Einmarsch wieder deutsche Bürgermeister und Landräte ein, die unter der Kontrolle der Besatzungsarmee die anstehenden Aufgaben wahrnehmen sollten. Oft wurde dabei auf Politiker zurückgegriffen, die vor 1933 in der Weimarer Republik ein Amt bekleidet hatten. So etwa Konrad Adenauer, der bereits im Mai 1945 von den Amerikanern als Kölner Oberbürgermeister eingesetzt wurde – ein Amt, aus dem die Nationalsozialisten ihn 1933 entfernt hatten. Allerdings wurden die kurzfristig ernannten Amtsinhaber oft ebenso schnell wieder abgesetzt. Das passierte auch Adenauer nach nur fünf Monaten, angeblich wegen unterlassener Pflichterfüllung.
Am 17. Juli 1945 begann in Schloss Cecilienhof bei Potsdam eine Konferenz der Siegermächte, auf der diese ihre politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen gegenüber Deutschland festlegten. Die USA waren durch Präsident Harry S. Truman vertreten, die Sowjetunion durch Partei- und Regierungschef Josef Stalin. Britischer Vertreter war zunächst Premierminister Winston Churchill, nach dem Wahlsieg der Labourpartei Clement Attlee. Frankreich nahm an der Konferenz nicht teil.
Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 fußte im Wesentlichen auf den Vereinbarungen der Kriegskonferenzen von Teheran und Jalta. Es sah die völlige Abrüstung Deutschlands einschließlich der Demontage seiner Rüstungsindustrie vor. Der Nationalsozialismus sollte vernichtet, das politische Leben in Deutschland demokratisiert werden. Ein weiteres Ziel war die Zentralisierung von Verwaltung und Wirtschaft. „Es ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben,
sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen“, hieß es in der Einleitung des Abkommens, das auch Fragen wie Reparationen, die Bestrafung der Kriegsverbrecher und die zukünftige deutsche Ostgrenze anschnitt.
Allerdings herrschte unter den Siegermächten keine Einigkeit darüber, wie diese hehren Absichten umgesetzt werden sollten. Mit dem Hinweis, das Abkommen nicht mitunterzeichnet zu haben, lehnte Frankreich im Alliierten Kontrollrat die Einrichtung von deutschen Zentralverwaltungen ab – eine Position, die das französische Sicherheitsdenken widerspiegelt. Paris war nicht daran interessiert, dass erneut ein starkes, zentral geführtes Deutschland entstehen könnte, so wie es zum „Erzfeind“Frankreichs seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 geworden war.
Die Koordinationsrolle des Alliierten Kontrollrats, wie ihn die Absichtserklärung vom 5. Juni 1945 vorgesehen hatte, kam in der Praxis kaum zum Tragen. Nicht nur wurde der Graben zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion immer größer, zum Teil ausgelöst durch die hartnäckigen sowjetischen Reparationsforderungen. Auch in der Zusammenarbeit zwischen amerikanischer, britischer und französischer Militärregierung hakte es bisweilen. Darunter litt die dringend nötige wirtschaftliche Einheit, obwohl man sich im Potsdamer Abkommen einig darüber war, dass Deutschland während der Besatzungszeit „als eine wirtschaftliche Einheit“zu betrachten sei. Einer zentralen Wirtschaftspolitik widersprach Frankreich, das ein von Deutschland abgetrenntes, französisches Rheinland, die Schaffung einer internationalen Behörde zur Verwaltung des Ruhrgebiets sowie die Zustimmung zur Annektierung des Saargebiets forderte.
In den drei Westzonen entwickelte sich die Besatzungspolitik in sehr unterschiedlicher Weise.1 In der amerikanischen Zone, die zunächst General Dwight D. Eisenhower als Oberbefehlshaber unterstand, war General Lucius D. Clay (zunächst als Stellvertreter und von 1947 bis 1949 selbst Militärgouverneur und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa) die treibende Kraft in Richtung einer großzügigeren Haltung. Dabei hatte noch im April 1945 der US-amerikanische Generalstab (Joint Chiefs of Staff) in der Direktive JCS 1067 festgehalten, dass Deutschland „nicht zum Zweck seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat (besetzt wird)“. Die Besetzung müsse „gerecht, aber fest und unnahbar sein“. In dieser Anordnung schimmerte noch der Einfluss des „Morgenthau-Plans“durch. Im August 1944 hatte der damalige US-Finanzminister Henry Morgenthau einen Entwurf für eine radikale Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat für die Zeit nach dem absehbaren Sieg der Alliierten vorgelegt, ein Plan, der dann allerdings nicht weiterverfolgt wurde.
Die Realität setzte rasch andere Maßstäbe, unter anderem bei der Besetzung politischer Ämter. Schon am 28. Mai 1945 wurde Fritz Schäfer, der 1933 von den Nationalsozialisten als bayerischer Finanzminister abgesetzt worden war, zum Ministerpräsidenten einer vorläufigen bayerischen Landesregierung ernannt. Am 19. September 1945 errichtete die amerikanische Militärregierung in ihrer Besatzungszone offiziell die „Staaten“Großhessen, Württemberg-Baden und Bayern, Anfang 1947 auch den Stadtstaat Bremen. Deren Ministerpräsidenten waren allein der Besatzungsmacht verantwortlich, da es noch keine demokratisch gewählten Parlamente gab. Neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau legte die amerikanische Militärregierung besonderen Wert auf Entnazifizierungsmaßnahmen. Dies führte unter anderem dazu, dass Schäfer schon nach wenigen Monaten entlassen wurde, da er nach Ansicht der
Amerikaner in dieser Frage nicht rigoros genug gehandelt hätte.
Dennoch wurde den Länderregierungen der amerikanischen Zone bereits im September 1945, in einer Proklamation des Oberbefehlshabers, „unter Vorbehalt der übergeordneten Macht der Militärregierungen volle gesetzgebende, richterliche und vollziehende Gewalt“übertragen. Einen Monat später wurde der Länderrat mit Sitz in Stuttgart gebildet. Er sollte koordinierende Aufgaben für die Länder der amerikanischen Zone übernehmen, so im Hinblick auf die Gesetzgebung, die Wirtschaftsentwicklung und die überregionalen Verkehrsverbindungen.
Diese Zusammenarbeit war bitter nötig und funktionierte zunächst dennoch nur innerhalb der einzelnen Besatzungszonen. Den Amerikanern ging es vor allem um den stufenweisen Wiederaufbau deutscher Verwaltungen, von der untersten lokalen bis zur Länderebene. Ähnlich verhielten sie sich, beim Wiederaufbau der Parteienlandschaft.
Dieser Neuaufbau erfolgte in der britischen und der französischen Zone zunächst zögerlich, was auch daran lag, dass in diesen hochindustrialisierten Regionen Deutschlands mit Großstädten wie Köln oder Hamburg die Kriegszerstörungen verheerende Ausmaße hatten und die dringendsten Probleme bildeten. Zudem waren die Militärregierungen unter Leitung von Feldmarschall Bernard L. Montgomery (Großbritannien) und General Pierre Koenig (Frankreich) anders als die Amerikaner mit einer großen Verschiedenheit ehemaliger Kleinstaaten und preußischer Provinzen konfrontiert. Unter anderem ging es ihnen darum, eine erneute Dominanz Preußens zu vermeiden. Durch territorialen Neuschnitt entstanden in der britischen Zone Länder, die es in dieser Form vorher nicht gegeben hatte: Nordrhein-Westfalen (Juli 1946) Schleswig-Holstein (August 1946) und Niedersachsen (November 1946). Nur Hamburg ließen die Briten in seinen alten Grenzen als Stadtstaat bestehen.
Ging es den Briten wie den Amerikanern darum, ihr Besatzungsgebiet als Einheit zu betrachten, verfolgte die französische Militärregierung andere Ziele. Die französische Zone war die kleinste der vier und bestand aus zwei getrennten Teilen. Aus dem nördlichen Teil wurde im August 1946 das Land RheinlandPfalz gebildet, im südlichen Teil die Länder Württemberg-Hohenzollern und Baden.2 Im Oktober 1946 trennte Frankreich das Saargebiet von seiner Besatzungszone ab und gliederte es in seinen Wirtschaftsraum ein, konnte seine Forderung nach einer politischen Annexion dieses „Saarprotektorats“aber nicht durchsetzen. Vom wirtschaftlichen Interesse am Kohlerevier der Saar abgesehen, war Frankreich – aus den bereits erwähnten Gründen – darum bemüht, die Eigenständigkeit der verschiedenen Länder in seiner Besatzungszone zu fördern. Politik und Verwaltung war es untersagt, offizielle Kontakte untereinander und erst recht zu den Ländern der anderen Zonen aufzunehmen.
Rückkehr zur Selbstverwaltung
Weg zurück zur Demokratie
Ohne Zustimmung der Militärbehörden konnte kein Bürgermeister, kein Landrat und auch kein Ministerpräsident arbeiten. Sie waren ausführende Organe der Besatzungsmacht, ohne jede demokratische Legitimation, da es zunächst noch keine Wahlen für Gemeinde-, Stadt-, Kreisräte und Landesparlamente gab. An gutem Willen fehlte es allerdings nicht: In unterschiedlichem Maße wollten alle Alliierten den Deutschen demokratische Regierungsmethoden beibringen.
Die ersten Wahlen auf Gemeindeebene fanden in der amerikanischen Zone bereits im Januar 1946 statt. Erstmals seit 1933 konnten die Deutschen sich wieder am demokratischen Prozess beteiligen.