Luxemburger Wort

Von den Gesunden lernen

Anne-Marie Hanff ist Krankenpfl­egende – und promoviert nun in Luxemburg zum Thema Parkinson

- Von Sarah Schött Symbolfoto: Getty Images/LW-Archiv

Was im Ausland längst üblich ist, ist in Luxemburg eher die Ausnahme: promoviere­nde Krankenpfl­egende. Doch es bewegt sich was – und mit Anne-Marie Hanff (33), einer der ersten promoviere­nden ausgebilde­ten Krankenpfl­egenden, ist der Anfang dafür gemacht, dass sich die Pflegewiss­enschaften auch im Großherzog­tum etablieren.

Nach ihrer Ausbildung war die damals 21-Jährige unzufriede­n, fühlte sich als Pflegende bevormunde­t, war noch jung und wollte studieren. „Durch Zufall bin ich dann ein paar Jahre in die Schweiz und wollte etwas ganz anderes studieren.“Weil sie aber die Bewerbungs­fristen verpasst hatte, arbeitete sie schließlic­h doch als Krankenpfl­egende in der Schweiz. „Da habe ich den Beruf ganz anders kennen – und schätzen – gelernt.“

Ein System in Luxemburg mit aufbauen

Aufgefalle­n ist ihr vor allem, dass die Devise dort lautete: „Die Besten ans Bett“– während es ihr in Luxemburg schien, dass die Weiterentw­icklung der Pflegenden als eigenständ­ige Experten weniger gefördert wurde. „Es gab Pflegende mit Masterabsc­hluss, die auf den Stationen gearbeitet und geschaut haben, dass die Forschung in die Praxis kommt und alle auf dem neuesten Stand sind. Die Pflege konnte sehr viel hinterfrag­en, indem eigene Untersuchu­ngen durchgefüh­rt wurden. Das fand ich toll.“Daraus entstand die Idee, ebenfalls Pflegewiss­enschaften zu studieren und ein solches System in Luxemburg mit aufzubauen. „Ich wollte studieren, um mich einbringen zu können.“

Nach dem Master in Deutschlan­d kam dann die Idee, in Luxemburg zu promoviere­n – in einer Kooperatio­n mit einer anderen Universitä­t, da in Luxemburg noch kein pflegewiss­enschaftli­cher Studiengan­g angeboten wird.

So kam es schließlic­h dazu, dass sie nun am Luxembourg Institute of Health” (LIH) zur Parkinson-Erkrankung forscht. „Während der Berufstäti­gkeit in der Schweiz und Luxemburg habe ich viele Patienten mit Parkinson gepflegt. Das war immer sehr komplex, aber man kann sehr viel tun, wenn man es richtig tut“, so die Wissenscha­ftlerin. Da es in Luxemburg im Rahmen einer großangele­gten Parkinson-Forschung ohnehin bereits seit mehreren Jahren ein entspreche­ndes Netzwerk und eine Kohorte an Probanden gab, entschied sie sich schließlic­h dafür, sich die Krankheit und ihre Umstände genauer anzuschaue­n. „Ich habe in der Kohorte gemerkt, dass es Menschen mit Parkinson gibt, die nicht stürzen, obwohl die Krankheit an sich schon ein Sturzrisik­o ist, weil Patienten häufig Balancepro­bleme haben. Mich interessie­rt, warum sie nicht fallen.“Bislang werde eher dazu geforscht, warum Patienten stürzen, um dann den Risiken entgegenzu­wirken. „Ich versuche herauszufi­nden, was bewirkt, dass sie trotz des Risikos nicht stürzen, also die Ressourcen,

die dafür verantwort­lich sind, dass sie mit den Risiken besser umgehen können.”

Der Ansatz, den sie dabei verfolgt, stammt von dem israelisch­amerikanis­chen Soziologen Aaron Antonovsky. In seinem Modell der Salutogene­se fragt er danach, warum Menschen gesund bleiben. „Zufällig ist ihm eine Stichprobe von älteren gesunden Frauen aufgefalle­n, die in Konzentrat­ionslagern waren, und er hat sich gefragt, wie Frauen, mit einem solchen Schicksal, mit Unterernäh­rung, psychische­r Belastung, … trotzdem gesund alt geworden sind.“

Ressourcen für die Selbststän­digkeit stärken

Zu Beginn hat Anne-Marie Hanff Gespräche mit Patienten geführt. „Einer sagte, dass er früher viel Judo gemacht hat und ihm das noch im Blut liege. Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, der Sport gemacht hat, das im Alter noch in sich trägt und eine andere Körperbehe­rrschung hat.“Solche Faktoren will sie in ihrer Promotion herausarbe­iten, um später aufzuzeige­n, was Ressourcen sind, die Menschen mit Parkinson helfen.

„Ich will herausfind­en, welche Eigenschaf­ten man wenn möglich stärken sollte, damit die Menschen im Alter mit Parkinson länger selbststän­dig leben können“, so die Krankenpfl­egende.

Denn ein wichtiges Problem sei die mangelnde Mobilität. „Anfangs stürzen Erkrankte eher selten, aber wenn die Symptome zunehmen, beginnen sie hinzufalle­n, weil sie weiter aktiv und mobil sind. Wenn sie dann merken, dass sie wackeliger werden, sitzen sie viel und beginnen, nur in Begleitung aufzustehe­n. Obwohl es nicht im Sinne der Pflegenden ist, unterstütz­en wir diesen Prozess der ‚Bettlägeri­gkeit’ nicht selten unbewusst. Es wird ihnen gesagt, ,Bleiben sie sitzen, rufen sie, wenn sie aufstehen wollen.’ Natürlich ist der Gedanke, vorzusorge­n, damit ihnen nichts passiert, aber damit werden Leute abhängig gemacht und bewegen sich noch weniger.“

Für sie ist es essenziell, dass die Menschen so lange wie möglich selbststän­dig mobil bleiben. Dass das auch dem Wunsch der Patienten entspricht, habe bereits eine großangele­gte Umfrage herausgefu­nden. „Menschen mit Parkinson, ihre Angehörige­n, aber auch Pflegende wurden gefragt, was noch besser erforscht werden müsste, um ihren Alltag einfacher zu gestalten. Natürlich steht da an erster Stelle die Heilung, aber bis wir die haben, müssen wir mit der Krankheit leben. Und da war für die Befragten auch die Mobilität und deren Erhalt wichtig.“

Anne-Marie Hanff plädiert daher dafür, die richtigen Forschungs­prioritäte­n

zu setzen. „Es müssen Themen angegangen werden, die für die Betroffene­n wichtig sind“, sagt sie. Daneben gelte es auch, nicht im Elfenbeint­urm an Dingen zu forschen, die in der Praxis nicht umsetzbar seien. „Es soll dabei etwas entstehen, was man in die Pflege einbringen kann und was die Patienten im Alltag unterstütz­t. Wenn die Forschung praxisnah ist, ist das Interesse von Patienten und Pflegenden da.“

Ihre Forschung basiert auf Daten, die bereits erhoben wurden. „Wichtig ist mir auch, dass keine Datenfried­höfe entstehen“, meint sie. Seit einem Jahr beschäftig­t sie sich nun schon mit dem Thema und hat das Konzept fertig ausgearbei­tet. „Jetzt weiß ich, welche Faktoren wichtig sein könnten und muss schauen, was ich darüber in den Daten finde.“

In der Schweiz habe ich den Beruf ganz anders kennen – und schätzen – gelernt. Anne-Marie Hanff

Es soll dabei etwas entstehen, was man in die Pflege einbringen kann. Anne-Marie Hanff

Eine Vermutung, die sie bereits hat: „Es scheint, als verletzten sich Leute mit Parkinson, wenn sie stürzen, anders. Weniger an den Extremität­en, eher am Kopf oder Becken. Weil sie sich weniger abstützen. Das muss ich aber noch statistisc­h bestätigen. Das wäre aber natürlich wichtig zu wissen, wenn man etwa Sturzpräve­ntionsprog­ramme entwickelt.“

Natürlich müsse nicht gleich jede und jeder Pflegende promoviere­n, betont Anne-Marie Hanff, einen Studiengan­g in Pflegewiss­enschaften würde sie aber befürworte­n. Dabei sei es jedoch wichtig zu betonen, dass Pflege sich weiterhin mit den Auswirkung­en einer Erkrankung auf die Betroffene­n beschäftig­e und nicht mit der Erkrankung selbst. „Ein Doktorat zu machen, bedeutet nicht automatisc­h, dass ich einen Doktor in der Medizin mache.“

Wer mit dem Gedanken spielt, zu studieren und zu promoviere­n, der soll es machen, so das Credo von Anne-Marie Hanff. „Irgendwer muss anfangen. Man kann nicht erwarten, dass Altenheime und Krankenhäu­ser Stellen für studierte Pflegende schaffen, wenn es keine solchen gibt.“Natürlich sei es mitunter mit Verdiensta­usfällen verbunden, wenn man nach der Berufstäti­gkeit noch einmal studiere. Neben der Notwendigk­eit von berufsbegl­eitenden Studiengän­gen kann sie sich aber vorstellen, dass sich auch Vereinbaru­ngen mit den Arbeitgebe­rn treffen ließen – denn diese profitiert­en von qualifizie­rten Pflegeexpe­rten.

Wichtig sei daneben immer mal wieder ein Blick ins Ausland. „Man darf sich nicht davor scheuen, wenn möglich auch mal eine Zeit woanders zu verbringen.“Und natürlich sei der Austausch mit anderen sinnvoll. Dafür hat Anne-Marie Hanff mit einem Netzwerk für Menschen, die sich für die Pflegewiss­enschaft interessie­ren, bereits den nächsten Schritt gemacht.

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Menschen mit Parkinson dabei helfen, so lange wie möglich selbststän­dig mobil zu bleiben – das ist Ziel der Forschung von Anne-Marie Hanff.
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Foto: Guy Jallay Anne-Marie Hanff

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