Luxemburger Wort

„Wir sind durchaus verbittert“

Zoran Zaev, Ministerpr­äsident Nordmazedo­niens, über den langen und steinigen Weg in Richtung Europäisch­e Union

- Interview: Diego Velazquez

Nordmazedo­niens Premier Zoran Zaev weiß, was schwierige politische Entscheidu­ngen sind: 2018 leitete er die Umbenennun­g seines Landes von „Republik Mazedonien“in „Republik Nordmazedo­nien“ein. Ziel war es, Griechenla­nds Veto, das den Namen für eine Provinz beanspruch­t, gegen Skopjes EUAnnäheru­ng aus dem Weg zu räumen. Doch auf diesen historisch­en Schritt folgten noch mehr Hinderniss­e. Zaev, der heute Premier Xavier Bettel in Luxemburg besucht, erklärt, warum es sich dennoch lohnt, nicht aufzugeben.

Zoran Zaev, wie fühlt es sich an, ein Politiker zu sein, der den Namen eines Landes änderte?

Politiker müssen Entscheidu­ngen treffen, die positive Folgen für das Leben ihrer Bürger und der künftigen Generation­en haben. Und das ist tatsächlic­h nicht immer einfach. Und wir haben in der Tat neulich einige kühne Entscheidu­ngen getroffen, weil wir dachten, dies wäre der richtige Weg. Bei der Namensände­rung ging es etwa darum, gute Nachbarsch­aftsbezieh­ungen mit Griechenla­nd aufzubauen, was eine Vorbedingu­ng war, um NATOMitgli­ed zu werden und die EUBeitritt­sgespräche zu starten. Und mittlerwei­le sind wir auch schon NATO-Mitglied, aber wir warten immer noch vor den Türen der EU. Dabei haben wir europäisch­e Manieren und Werte klar bewiesen: Wir haben durch Dialog und Diplomatie einen Konflikt, der Jahrzehnte andauerte, gelöst. Nun sind wir die Republik Nordmazedo­nien und wir sind befreundet mit der griechisch­en Republik. Das war vor Kurzem noch undenkbar.

Eben: Die Namensände­rung im Jahr 2018 beruhte aber auf dem Verspreche­n, Beitrittsg­espräche mit der EU zu beginnen. Nun sind wir 2021 und diese Gespräche haben immer noch nicht begonnen. Fühlen Sie sich von den EU-Partnern verraten?

Wir waren das erste Land der Region, das ein Assoziieru­ngsabkomme­n mit der EU unterschri­eben hat. Das war schon 2001. 2005 wurden wir dann Beitrittsk­andidat. Es gab bislang neun positive Berichte der EU-Kommission, um Beitrittsg­espräche mit uns zu beginnen ... Bei aller Liebe: Geht es um die Erfüllung von Vorbedingu­ngen, sind wir ein Musterschü­ler. Wir haben alles gemacht, was es zu machen gab. Deswegen sind wir durchaus verbittert, jetzt noch immer vor den Türen der EU warten zu müssen. Wahrschein­lich werden wir in fünf, sechs oder zehn Jahren endlich Mitglied werden – wenn wir vollkommen bereit dafür sind. Aber dafür müssen wir erst einmal mit den Beitrittsv­erhandlung­en beginnen. Dass es noch nicht dazu kam, vermittelt mir und der gesamten mazedonisc­hen Bevölkerun­g leider ein ungutes Gefühl. Besonders, weil es keine geopolitis­che Alternativ­e für uns gibt. Ich wünsche mir, dass die EU-Partner unsere enormen Anstrengun­gen mehr zur Kenntnis nehmen und auch belohnen. Deswegen erwarte ich mir den Beginn der Gespräche noch 2021.

Schaffen Sie es bei diesen Rückschläg­en noch, die pro-europäisch­e Stimmung in Skopje am Leben zu halten?

Wahrschein­lich ist der Glaube an die europäisch­en Werte noch stark genug. Dabei geht es nicht unbedingt nur um die Mitgliedsc­haft, sondern um das, was die EU ausmacht: der gemeinsame Markt, die Zusammenar­beit zwischen Nachbarn und die kulturelle Diversität. Als Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron Ende 2019 entschied, die EU-Beitrittsm­ethode müsse erst einmal reformiert werden, bevor Beitrittsv­erhandlung­en mit einem neuen Land beginnen können, waren wir durchaus enttäuscht. Wir waren nämlich davon ausgegange­n, sofort damit zu beginnen. Deswegen haben wir daraufhin Neuwahlen angekündig­t, um unsere Landsleute zu fragen, ob sie sich nach wie vor nach der EU sehnen. Und das Resultat der Wahlen zeigte, dass die mazedonisc­hen Bürger noch immer daran glauben – auch nach 16 Jahren des Wartens.

überhaupt noch Appetit auf eine EU-Erweiterun­g?

In unserem bestimmten Fall gibt es eine sehr große Mehrheit dafür: 26 EU-Staaten sind derzeit für den Start der EU-Beitrittsg­espräche mit uns. Ich bin auch überzeugt, dass die Erweiterun­g weiterhin ein Teil der politische­n Agenda der EU bleiben wird, weil wir als Westbalkan von der EU umgeben sind. Es ist auch kaum im Interesse der EU, uns im Regen stehen zu lassen, da andere Mächte gerne auf die Balkan-Region lauern – etwa China und Russland. Aber wie auch immer: Unser Platz ist in der EU – trotz aller Enttäuschu­ngen. Stellen Sie sich vor, über 85 Prozent der Bevölkerun­g

sind derzeit für den EU-Beitritt, trotz der jüngsten Rückschläg­e. In der Zwischenze­it versuchen wir Nordmazedo­nien mit jedem Tag europäisch­er zu machen – mit oder ohne Beitrittsg­espräche. Wir haben neulich große Fortschrit­te in den Bereichen Transparen­z der Verwaltung, Kampf gegen die Korruption und Unabhängig­keit der Justiz gemacht.

Was Covid-Impfungen angeht, hat die EU Skopje erneut im Stich gelassen ... Sie waren gezwungen, sich mit Vakzinen aus Serbien und China zu versorgen. Schafft das noch mehr Frust gegenüber Brüssel?

Ich wäre unehrlich, wenn ich nicht zugeben würde, dass die EU uns auch bei der Beschaffun­g von Corona-Impfstoffe­n enttäuscht hat. Allerdings wurde uns erklärt, dass es für die Union derzeit unmöglich sei, Impfstoffe zu teilen. Und dazu muss auch gesagt werden, dass die EU uns im vergangene­n Jahr sehr viel durch billige Kredite in Milliarden­höhe geholfen hat. Aber ja: Wir konnten mit der serbischen Solidaritä­t rechnen. Und wir haben nun auch Impfdosen aus China und Russland bestellt.

Nun sind wir die Republik Nordmazedo­nien und wir sind mit Griechenla­nd befreundet. Das war vor Kurzem noch undenkbar.

 ?? Foto: RNM ?? Der Sozialdemo­krat Zoran Zaev (46) gilt als einer der wenigen resoluten Reformer auf dem Westbalkan.
Foto: RNM Der Sozialdemo­krat Zoran Zaev (46) gilt als einer der wenigen resoluten Reformer auf dem Westbalkan.

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