Wut auf die Londoner Polizei
Der Mord an einer jungen Britin hat große Betroffenheit ausgelöst und eine Diskussion über die Sicherheit von Frauen angestoßen
Am Wochenende ging ein Bild durch die britischen Medien: Eine junge Frau liegt am Boden, die Hände auf dem Rücken, zwei männliche Polizisten in gelben Warnjacken knien über ihr und halten sie nieder. Die Frau hatte sich an einer friedlichen Mahnwache im Londoner Park Clapham Common beteiligt, zusammen mit über Tausend anderen Menschen. Es war ein Gedenkanlass für Sarah E., deren Mord das Land erschüttert hat. Dass die Londoner Metropolitan Police die unbewilligte Mahnwache am Samstagabend gewaltsam auflöste und mehrere Frauen verhaftete, hat durch die Parteien für Unverständnis und Empörung gesorgt – nicht zuletzt aufgrund eines entscheidenden Details: Der Hauptverdächtige im Mordfall ist selbst ein Mitglied der Metropolitan Police.
Sarah E., eine 33-jährige Marketing-Fachfrau, verschwand am 3.
März, nachdem sie das Haus einer Freundin im Stadtteil Clapham verlassen hatte und auf dem Weg nach Hause war. Vergangene Woche wurde ihre Leiche in einem Wald in der Grafschaft Kent gefunden. Der Fall hat eine Debatte über die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum angestoßen.
Alltägliche Einschränkungen
Letzte Woche berichteten Britinnen in den sozialen Medien und im Fernsehen über die alltäglichen Einschränkungen, die sie sich selbst auferlegen müssen, um sich sicher zu fühlen: Schlüssel immer zwischen den Fingern halten; Freunde benachrichtigen, sobald man sicher nach Hause gekommen ist; weite Umwege nehmen, um verlassene Straßen zu vermeiden, und so weiter.
„Die meisten Männer sind sich nicht ausreichend bewusst, wie stark die Angst vor Gewalt das Leben von Frauen bestimmt“, schrieb die Journalistin Rachel Hagan auf der Plattform „Open Democracy“. In einer Umfrage von 2019 gaben 80 Prozent der Britinnen an, im öffentlichen Raum sexuell belästigt worden zu sein. Durch solche Belästigungen „markieren Männer den öffentlichen Raum als ihr eigenes Territorium“, schreibt die Autorin Rachel Hewitt im „Guardian“. Es gehe nicht allein um das individuelle Verhalten von Männern, stattdessen sollte die Einschüchterung
von Frauen als ein systemisches Problem behandelt werden.
Die Diskussion dreht sich auch um die Rolle der Polizei. Dass der Hauptverdächtige, Wayne C., ein Mitglied der Londoner Polizei ist, hat die Öffentlichkeit schockiert. Die Chefin der Metropolitan Police, Cressida Dick, sagte vergangene Woche, sie sei „völlig bestürzt“über die Nachricht der Verhaftung des verdächtigen Polizisten.
Umso unverständlicher erschien der Entscheid der Polizei, die Mahnwache am Samstag gewaltsam aufzulösen. Männliche Polizisten, die sich schubsend ihren Weg durch die Menschenmenge bahnen, über die niedergelegten Blumensträuße trampeln und dann mehrere Frauen grob wegzerren und ihnen Handschellen anlegen – diese Bilder haben Entrüstung ausgelöst. Die konservative Abgeordnete Caroline Nokes twitterte, dass die Polizei die Lage „völlig falsch eingeschätzt“ habe. Labour-Chef Keir Starmer bezeichnete die Reaktion der Polizei als „zutiefst verstörend“.
Kritik an der Polizei
Die Polizei rechtfertigt ihr Vorgehen damit, dass die Protestierenden gegen das Verbot von öffentlichen Versammlungen während der Pandemie verstoßen habe. Cressida Dick, die Chefin der Metropolitan Police, nahm ihre Beamten in Schutz und verwies auf die „schwierigen Entscheide“, die sie täglich zu fällen hätten. Aber Politiker in allen Parteien verwiesen darauf, dass die Polizei schon mehrfach Ausnahmen gemacht habe und in dieser Situation viel mehr Fingerspitzengefühl hätte zeigen müssen. Viele forderten den Rücktritt von Dick, darunter etwa der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey. Die Polizeichefin wies diese Forderungen zurück, die Vorfälle vom Samstag hätten sie „noch entschlossener gemacht“, die Londoner Polizei anzuführen.
Die meisten Männer sind sich nicht ausreichend bewusst, wie stark die Angst vor Gewalt das Leben von Frauen bestimmt. Journalistin Rachel Hagan