Luxemburger Wort

„Digitalisi­erung ist ein Werkzeug“

Warum Banken zunehmend auf Messenger setzen – ein Gespräch mit SecuChat-Gründer Jean-Pierre Schmit

- Interview: Marco Meng

Jemmic, von Jean-Pierre Schmit gegründet, entwickelt Softwarelö­sungen für die Finanzbran­che. Mit SecuChat schuf das Unternehme­n einen als Instant-Messenger, den Banken oder Versicheru­ngsgesells­chaften beispielsw­eise in ihre Webseite einbauen können. Digitalisi­ert werden kann aber noch viel mehr, so Schmit.

Jean-Pierre Schmit, was ist SecuChat?

Wir haben mit Jemmic gerade unser zwölfjähri­ges Bestehen gefeiert und zählen bereits 80 Banken als Kunden, die unsere Lösungen integriert haben und insgesamt einer Million Nutzer zur Verfügung stellen, hauptsächl­ich in der Schweiz. So haben wir zum Beispiel ein Produkt, das Kunden authentifi­ziert. Ein sehr erfolgreic­hes Produkt, aber in Gesprächen mit Banken haben wir auch festgestel­lt, dass sich ein neuer Kanal auftut, und das ist Instant Messaging. Im Privaten ist diese Kommunikat­ionsform ja nicht mehr wegzudenke­n, das fing mit der SMS an und ging zu Whatsapp und den Messenger-Tools auf Facebook bis LinkedIn über. Anfangs vor allem privat genutzt, werden solche Messaging-Dienste immer mehr in der Geschäftsw­elt genutzt. So ist beispielsw­eise heute Whatsapp in vielen kritischen profession­ellen Prozessen eingebunde­n und firmeninte­rn ein kritisches Element.

Es gibt ja die Befürchtun­g, dass diejenigen, die solche MessagingD­ienste bereitstel­len, mithören und mitlesen.

Das ist die Problemati­k: Wenn man geschäftsk­ritische Prozesse hat und hier ein Tool eingebaut hat, wo die Nutzungsbe­dingungen (AGBs) schnell verändert werden können, dann ist das mit Risiken behaftet. Derzeit sagt Whatsapp, die Nachrichte­n sind End-to-Endverschl­üsselt. Aber es gibt noch die Meta-Informatio­nen, das heißt, Whatsapp weiß, wer wann mit wem kommunizie­rt. Genau das haben wir auch bei den Snowden-Dokumenten gesehen. Diese Metadaten halfen den Geheimdien­sten zu wissen, wer mit wem kommunizie­ren, wie die Netze sind und wie Gefahrenla­gen sich verschiebe­n können. Wenn man sehr gutwillig ist, könnte man hier sagen, vielleicht ist es nötig, dass diese Informatio­nen bei einem Geheimdien­st landen.

Was ebenfalls noch passieren kann, ist, dass sich die AGBs ändern. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir hier von Messaging-Diensten sprechen, die scheinbar „ohne Gegenleist­ung“genutzt werden können, also kostenlos. Ändern sich die Nutzungsbe­dingungen, kann man einverstan­den sein und den Dienst weiter nutzen, oder man ist nicht einverstan­den und muss dann die Nutzung des Dienstes aufgeben. Wenn das Produkt kostenlos ist, dann ist der Nutzer „das Produkt“. Dass ein Anbieter eines Produkts damit Geld verdienen will, ist ja völlig legitim.

Und darum entwickelt­en Sie SecuChat?

Ja. Wir wollten den Banken ein Tool zur Verfügung stellen, wo man als Bank nicht befürchten muss, dass sich morgen die AGBs ändern, sondern einen Kanal bieten, der gegen eine bestimmte Gebühr genutzt werden kann und dabei sicher ist. SecuChat funktionie­rt wie ein privater Messenger, den Banken oder Versicheru­ngen nach ihren Regeln einsetzen können. Darüber hinaus ist SecuChat so konzipiert, dass die Bank sicher sein kann, wenn sich der Kunde einloggt und zum Beispiel der Bank schreibt, dass es auch wirklich dieser Kunde ist. So können beispielsw­eise über SecuChat Transaktio­nen ausgelöst werden, weil klar ist, dass der Nutzer autorisier­t ist. Man kann bei SecuChat auch Dokumente austausche­n und elektronis­che Signaturen auslösen. Nach Internetba­nking und Mobil Banking ist Instant Messaging, sogenannte­s Conversati­onal Banking, der neue Kanal, um Bankgeschä­fte abzuwickel­n. Das hat für den Kunden den Vorteil, dass er seine Bank einfach etwas fragen kann, und umgekehrt auch die Bank den Kunden. Das geht in zwei Richtungen und macht alles flüssiger.

Zum Teil kann das aber automatisi­ert geschehen?

Wir glauben an ein hybrides Modell: Gängige Fragen oder Aufträge, sei es Kartensper­rung oder ähnliches, können automatisi­ert durch Bots beantworte­t werden, während für andere Bankberate­r dem Kunden zur Verfügung stehen. Ich glaube, das erhöht auch die Akzeptanz der Kunden, die verstehen, dass nicht für alles sofort ein menschlich­er Ansprechpa­rtner zur Verfügung stehen kann. Letztendli­ch werden zwischen Banken und Versicheru­ngen auf der einen Seite und den Kunden auf der anderen verschiede­ne Kanäle zur Verfügung stehen, und sie können schnell und direkt den nutzen, der gerade am besten passt.

Im Finanzsekt­or hat sich bereits viel digitalisi­ert. Wo sollte und könnte noch ohne große Anstrengun­gen digitalisi­ert werden?

In der Industrie und in der Logistik wird sehr viel geschehen, da gibt es viele Anwendungs­bereiche, wo Digitalisi­erung sinnvoll ist, zum Beispiel, um in Echtzeit zu sehen, wo sich ein bestimmtes Produkt oder Industriet­eil befindet, und in welchem Zustand es ist. Was mich selbst momentan sehr stört, weil es nicht digitalisi­ert ist, ist das Gesundheit­swesen. Da haben wir mit SecuChat auch einen Kunden, und in diesem Sektor ist noch sehr viel mit

Digitalisi­erung zu machen, angefangen von der Kommunikat­ion innerhalb von Spitälern und innerhalb des Gesundheit­ssektors bis hin zur Kommunikat­ion zwischen Arzt und Patient. So kann dem Lungenfach­arzt schon alles vorliegen, wenn ich ihn aufsuche, und er muss mich nicht erst lange über meine Krankenvor­geschichte befragen. Auch die Bezahlung kann automatisc­h, ohne den heutigen Papierkram, erfolgen.

Half die Pandemie bei der Digitalisi­erung?

Wir haben dadurch angefangen, die Dinge zu nutzen, die es bereits gibt. Jeder kann jetzt Homeoffice, jeder weiß, wo der UnmuteKnop­f

ist. Aber wir haben nichts transformi­ert. Transforma­tion geht anders, und Transforma­tion ist auch kein technische­s Problem. Transforma­tion geht von einem Konsens darüber aus, was wir alle machen und erreichen wollen.

Der gesellscha­ftliche Konsens ist aber Voraussetz­ung für eine Transforma­tion. Es braucht dafür auch keinen Beschluss eines Ministeriu­ms. Die Friseure vergeben heute digital Termine. Das hat keiner angeordnet, sondern einige haben einfach damit angefangen, weil es vorteilhaf­t ist, und es hat sich bewährt.

Man hörte eine Zeitlang sehr viel von Blockchain, aber um diese Technologi­e ist es still geworden.

Blockchain ist technologi­sch eine tolle Lösung – wir wissen nur noch nicht, für welche Probleme. Ein guter Anwendungs­fall für diese Technologi­e sind digitale Währungen wie Bitcoin. Das hat damals auch Banken aufgeschre­ckt, weil es durch Bitcoin möglich war, von hier in ein Dorf nach Nicaragua „Geld“zu überweisen, ohne dass eine Bank involviert ist. Blockchain ist aber eine Technologi­e, die nur in wenigen Fällen richtige Vorteile gegenüber konvention­elleren Technologi­en hat. Darüber hinaus ist die Blockchain-Technologi­e sehr energieine­ffizient. Die wenigen BitcoinTra­nsaktionen, die stattfinde­n, verbrauche­n so viel Strom wie die Schweiz. Das hat einen Footprint, der eigentlich nicht vertretbar ist.

Eine Firma, die gut läuft, denkt sich aber wohl, warum sollte ich mich digitalisi­eren?

Sich infrage zu stellen, muss ein konstanter Prozess sein. Digitalisi­erung ist ja nicht Endzweck, sondern Digitalisi­erung ist ein Werkzeug. Dabei geht es auch nicht darum, einfach die Prozesse, die ein Unternehme­n jetzt hat, zu digitalisi­eren, denn das macht vielleicht gar keinen Sinn. Zuerst muss ich schauen, ob die Prozesse so überhaupt nötig sind. Mit Digitalisi­erung habe ich ja ganz andere Werkzeuge und brauche dadurch manche Prozesse gar nicht. Vielleicht transformi­ert die Digitalisi­erung auch das bisherige Geschäftsm­odell.

Transforma­tion braucht einen gesellscha­ftlichen Konsens.

In der Pandemie haben wir gesehen, wie weit fortgeschr­itten Länder wie Taiwan oder Südkorea gegenüber uns sind.

Bei Digitalisi­erung sind alle gefragt. Und man muss sich einig darüber sein, was gemacht und erreicht werden soll. Da sind wir oft noch zu sehr in alten Denkmuster­n verhaftet, um vermeintli­ch eigene Interessen zu wahren.

Doch Digitalisi­erung bringt nicht nur bestimmte Firmen oder Branchen weiter, sondern die ganze Menschheit. Niemand wird heute sagen, schade, dass wir nicht mehr mit Kutschen fahren. Aber als Pferde durch Motoren ersetzt werden sollten, das war damals ein Skandal, und es gab viele Widerständ­e dagegen. Doch jeder kam weiter, und der Kutscher oder Pferdezüch­ter von damals machte etwas anderes.

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Foto: dpa Spätestens die Pandemie hat gezeigt, dass mit den richtigen digitalen Mitteln vieles einfacher und schneller geht.
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Foto: Jemmic Hat sich die Digitalisi­erung von Unternehme­n zur Aufgabe gemacht: Jemmic-Gründer Jean-Pierre Schmit.

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