Luxemburger Wort

„Den Kindern eine Stimme geben“

Pascale Engel de Abreu und ihre Forscherko­llegen studieren das Wohlbefind­en in der Corona-Krise

- Interview: David Thinnes

„Manchmal unterschät­zen wir die Kinder“, so Pascale Engel de Abreu. Die Kinderpsyc­hologin hat zusammen mit ihren Forscherko­llegen das Wohlbefind­en von Kindern und Jugendlich­en während der Corona-Pandemie untersucht. In der Covid-Kids-Studie, die zwischen Mai und Juli 2020 von der Universitä­t Luxemburg durchgefüh­rt wurde, haben sie versucht, Problemfel­der zu identifizi­eren und Hilfestell­ungen zu finden. Eine Nachfolges­tudie ist abhängig von der finanziell­en Unterstütz­ung.

Pascale Engel de Abreu, warum hat die Universitä­t Luxemburg eine Studie über das Wohlbefind­en bei Kinder und Jugendlich­en durchgefüh­rt?

Wir müssen Kindern eine Stimme geben. Das ist ein Grundrecht. In dieser Studie haben wir die Kinder selbst gefragt, nicht die Eltern oder das Schulperso­nal. Es wird viel über Kinder geredet, aber in diesem Fall konnten sie sich selbst äußern. Es war ein Fragebogen für Kinder – auch wenn die Ausarbeitu­ng dieses Fragebogen­s nicht einfach war. Er musste verständli­ch sein, sodass auch jüngere Kinder ihn gut verstehen konnten.

Bei der Studie wurde festgestel­lt, dass ein Drittel der Befragten, Angst hat, selbst zu erkranken oder dass eine Person im Umfeld krank wird. Wie überrascht waren Sie von diesem Resultat?

Dieses Ergebnis hatten wir uns so nicht erwartet. Es ist aber auch so, dass Angst nicht unbedingt nur etwas Schlechtes ist. Es ist normal, dass Kinder Angst haben.

Pascale Engel de Abreu ist Mitglied des dreiköpfig­en Leitungste­ams der Studie.

Aber die Angst darf nicht krank machen. Darum ist es wichtig, Aufklärung­sarbeit zu verrichten. Schlecht ist, wenn man das Thema nicht anspricht. Wenn man darüber redet, muss es aber altersgere­cht passieren – was sicherlich nicht einfach ist. Eltern müssen sich auch immer bewusst sein, dass Kinder sehr viel mitkriegen von den Diskussion­en zu Hause oder in den Medien. Manchmal unterschät­zen wir Kinder. Kinder sollen aber nicht in Watte gepackt werden und das Corona-Thema soll nicht vor ihnen versteckt werden.

Das Wohlbefind­en ist zurückgega­ngen: von 96 Prozent vor der Pandemie auf 67 Prozent während der Krise. Hat dieses Resultat Ihre Erwartunge­n bestätigt?

Ja, das ist der Fall. Das ist aber nicht unbedingt ausschlagg­ebend. Wir wollten vor allem verschiede­ne Faktoren identifizi­eren, die mit dem Wohlbefind­en zusammenhä­ngen. Und daraus kann man sogenannte Interventi­onen, Hilfestell­ungen, herausfilt­ern.

Was ist für Sie das positivste Resultat aus dieser Studie?

Es ist die Art und Weise, wie die Erwachsene­n den Kindern zuhören. Hier gibt es einen Zusammenha­ng mit dem Wohlbefind­en. Die Kinder sind zufriedene­r, wenn ihnen zugehört wird. Das ist auch eine schöne Botschaft für die Eltern und auch für das Schulperso­nal und die Erzieher. Zuhören ist nicht einfach, aber jeder kann es. Und die sozialen Unterschie­de spielen keine Rolle: Du brauchst nicht das neueste iPhone, um zuzuhören. Das Zuhören beinhaltet auch, dass die Kinder in Entscheidu­ngen miteingebu­nden werden. Sie sollen das Gefühl haben, ihr Leben – zu einem Teil auf jeden Fall – unter Kontrolle zu haben.

Viele Eltern arbeiten im Homeoffice. Inwiefern beeinfluss­t dies das Wohlbefind­en der Kinder?

Der Tagesablau­f vieler Eltern ist anders während der Pandemie und sie haben viel Stress. Oft bekommen die Kinder zu hören: „Nein, nicht jetzt, nachher.“Es ist in Ordnung, den Kindern Grenzen aufzuzeige­n. Sie müssen dies verstehen. Oft wird dann aber verpasst, diese Zeit nachzuhole­n. Manchmal lohnt es sich, alle digitalen Geräte auszuschal­ten und – zum Beispiel – ein Buch zu lesen.

Wird es eine Nachfolges­tudie geben?

Das Wohlbefind­en ist ein wichtiges Thema und bleibt weiterhin aktuell. Idealerwei­se müsste eine weitere Studie durchgefüh­rt werden. Alle involviert­en Personen haben einen Aufruf gemacht, dass wir weiterfors­chen wollen. Wir benötigen aber Forschungs­gelder, die momentan noch nicht da sind. Es wird viel über den medizinisc­hen und wirtschaft­lichen Impakt der Forschung in der Corona-Krise geredet. Aber auch die Forschung mit Kindern ist wichtig und darf nicht vergessen werden. Wenn der Wille vorhanden ist, würden wir gerne weiter daran arbeiten. Aber ohne finanziell­e Unterstütz­ung ist diese Arbeit begrenzt.

Kinder sollen aber nicht in Watte gepackt werden und das Thema soll nicht vor ihnen versteckt werden.

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Foto: Getty Images Die Zufriedenh­eit der Kinder ist während der Corona-Pandemie von 96 auf 67 Prozent zurückgega­ngen, wie die Studie Covid-Kids der Uni.lu aufzeigt.
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Foto: Uni.lu

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