„Den Kindern eine Stimme geben“
Pascale Engel de Abreu und ihre Forscherkollegen studieren das Wohlbefinden in der Corona-Krise
„Manchmal unterschätzen wir die Kinder“, so Pascale Engel de Abreu. Die Kinderpsychologin hat zusammen mit ihren Forscherkollegen das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie untersucht. In der Covid-Kids-Studie, die zwischen Mai und Juli 2020 von der Universität Luxemburg durchgeführt wurde, haben sie versucht, Problemfelder zu identifizieren und Hilfestellungen zu finden. Eine Nachfolgestudie ist abhängig von der finanziellen Unterstützung.
Pascale Engel de Abreu, warum hat die Universität Luxemburg eine Studie über das Wohlbefinden bei Kinder und Jugendlichen durchgeführt?
Wir müssen Kindern eine Stimme geben. Das ist ein Grundrecht. In dieser Studie haben wir die Kinder selbst gefragt, nicht die Eltern oder das Schulpersonal. Es wird viel über Kinder geredet, aber in diesem Fall konnten sie sich selbst äußern. Es war ein Fragebogen für Kinder – auch wenn die Ausarbeitung dieses Fragebogens nicht einfach war. Er musste verständlich sein, sodass auch jüngere Kinder ihn gut verstehen konnten.
Bei der Studie wurde festgestellt, dass ein Drittel der Befragten, Angst hat, selbst zu erkranken oder dass eine Person im Umfeld krank wird. Wie überrascht waren Sie von diesem Resultat?
Dieses Ergebnis hatten wir uns so nicht erwartet. Es ist aber auch so, dass Angst nicht unbedingt nur etwas Schlechtes ist. Es ist normal, dass Kinder Angst haben.
Pascale Engel de Abreu ist Mitglied des dreiköpfigen Leitungsteams der Studie.
Aber die Angst darf nicht krank machen. Darum ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu verrichten. Schlecht ist, wenn man das Thema nicht anspricht. Wenn man darüber redet, muss es aber altersgerecht passieren – was sicherlich nicht einfach ist. Eltern müssen sich auch immer bewusst sein, dass Kinder sehr viel mitkriegen von den Diskussionen zu Hause oder in den Medien. Manchmal unterschätzen wir Kinder. Kinder sollen aber nicht in Watte gepackt werden und das Corona-Thema soll nicht vor ihnen versteckt werden.
Das Wohlbefinden ist zurückgegangen: von 96 Prozent vor der Pandemie auf 67 Prozent während der Krise. Hat dieses Resultat Ihre Erwartungen bestätigt?
Ja, das ist der Fall. Das ist aber nicht unbedingt ausschlaggebend. Wir wollten vor allem verschiedene Faktoren identifizieren, die mit dem Wohlbefinden zusammenhängen. Und daraus kann man sogenannte Interventionen, Hilfestellungen, herausfiltern.
Was ist für Sie das positivste Resultat aus dieser Studie?
Es ist die Art und Weise, wie die Erwachsenen den Kindern zuhören. Hier gibt es einen Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. Die Kinder sind zufriedener, wenn ihnen zugehört wird. Das ist auch eine schöne Botschaft für die Eltern und auch für das Schulpersonal und die Erzieher. Zuhören ist nicht einfach, aber jeder kann es. Und die sozialen Unterschiede spielen keine Rolle: Du brauchst nicht das neueste iPhone, um zuzuhören. Das Zuhören beinhaltet auch, dass die Kinder in Entscheidungen miteingebunden werden. Sie sollen das Gefühl haben, ihr Leben – zu einem Teil auf jeden Fall – unter Kontrolle zu haben.
Viele Eltern arbeiten im Homeoffice. Inwiefern beeinflusst dies das Wohlbefinden der Kinder?
Der Tagesablauf vieler Eltern ist anders während der Pandemie und sie haben viel Stress. Oft bekommen die Kinder zu hören: „Nein, nicht jetzt, nachher.“Es ist in Ordnung, den Kindern Grenzen aufzuzeigen. Sie müssen dies verstehen. Oft wird dann aber verpasst, diese Zeit nachzuholen. Manchmal lohnt es sich, alle digitalen Geräte auszuschalten und – zum Beispiel – ein Buch zu lesen.
Wird es eine Nachfolgestudie geben?
Das Wohlbefinden ist ein wichtiges Thema und bleibt weiterhin aktuell. Idealerweise müsste eine weitere Studie durchgeführt werden. Alle involvierten Personen haben einen Aufruf gemacht, dass wir weiterforschen wollen. Wir benötigen aber Forschungsgelder, die momentan noch nicht da sind. Es wird viel über den medizinischen und wirtschaftlichen Impakt der Forschung in der Corona-Krise geredet. Aber auch die Forschung mit Kindern ist wichtig und darf nicht vergessen werden. Wenn der Wille vorhanden ist, würden wir gerne weiter daran arbeiten. Aber ohne finanzielle Unterstützung ist diese Arbeit begrenzt.
Kinder sollen aber nicht in Watte gepackt werden und das Thema soll nicht vor ihnen versteckt werden.