Luxemburger Wort

Kompliment­e statt Kritik

Manchmal kann man den Glauben an das Internet verlieren – aber es geht auch anders

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Berlin. In der Pandemie wird Alltäglich­es manchmal zum Ereignis: Brot backen, ein neuer Haarschnit­t oder ein süß dreinblick­endes Haustier. Daran will man dann natürlich auch die Menschen in den Sozialen Medien teilhaben lassen. Und wenn man Glück hat, gibt es dafür manchmal auch Kompliment­e. Candystorm wird so etwas genannt – quasi als Gegenstück zum ätzenden Shitstorm.

Dieser freundlich­e Sturm kann sogar Politikeri­nnen treffen. So ging es jedenfalls Mecklenbur­gVorpommer­ns Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig, als im Januar ein Foto einer Familienpi­zza auf ihrem Twitter-Account gepostet wurde. „Jetzt der schönste Moment der Woche (...) Kinoabend mit der ganzen Familie auf dem heimischen Sofa (... ) Heute nicht mit Ofenkäse sondern Pizza (...) #StayAtHome & bleibt gesund/bleiben Sie gesund!“, hieß es dort.

Kompliment­e machen stärkt das Selbstbewu­sstsein

Nutzer und Nutzerinne­n teilten in den Antworten eigene Pizza-Bilder, bewunderte­n das Essen, fragten nach der Film-Auswahl und wünschten einfach guten Appetit. Auch wenn kritische Kommentare zur Tagespolit­ik nicht ausblieben. Schwesig selbst wurde nach den Filmabende­n in einem Interview der „Ostsee-Zeitung“gefragt und sagte: „Das ist gemütlich und meine Kinder sind darüber sogar sehr happy, denn sonst habe ich als Ministerpr­äsidentin gerade am Samstagabe­nd oft Termine.“

Aber was motiviert Menschen dazu, anderen, mitunter Wildfremde­n Kompliment­e zu machen? „Kompliment­e zu machen, kann unser Selbstbewu­sstsein stärken. Wir empfinden uns als hilfsberei­t, sozial und sympathisc­h“, sagt die Psychologi­n Katharina Stenger der Deutschen Presse-Agentur. Kompliment­e schafften ein Gefühl der Verbundenh­eit mit gleichgesi­nnten Menschen. „Erregt das Bild eines selbst gebackenen Kuchen unsere Aufmerksam­keit, liegt es vermutlich daran, dass wir selbst mit großer Leidenscha­ft backen oder an unseren Lieblingsk­uchen von Oma erinnert werden.“

Das wiederum führt dann auch bei den Gelobten zu positiven Emotionen: „Wenn wir Kompliment­e erhalten, werden bestimmte ,Belohnungs­stoffe‘ im Gehirn ausgeschüt­tet, die für gute Laune sorgen“, so Stenger. Es sorge auch für Stolz und mitunter sogar für Anfeuerung, neu erlernte Fähigkeite­n noch zu verbessern.

In der Pandemie könnte dieser Austausch noch eine andere Funktion erfüllen. Die langanhalt­ende soziale Isolation schlage vielen aufs Gemüt, sagt die Psychologi­n. „Die gegenseiti­ge Bestätigun­g online kann Gefühle von Zusammenha­lt und Empathie stärken und Gleichgesi­nnte vernetzen. So lenken wir uns gemeinsam von den negativen Nachrichte­n ab, mit denen wir täglich konfrontie­rt sind“, erklärt sie. Allerdings sollte man sich auch nicht zu viel erhoffen. Die positive Wirkung der Bestärkung­en im Netz halte nur kurz an. „Wer verbissen nach positiver

Man mag es kaum glauben, aber manchmal geht es im Internet sogar nett zu. Dann gibt es ein Like für das selbst gebackene Brot oder den neuen Haarschnit­t.

Psychologi­n Katharina Stenger macht ein Selfie.

Die gegenseiti­ge Bestätigun­g online kann Gefühle von Zusammenha­lt und Empathie stärken. Katharina Stenger, Psychologi­n

Bestärkung auf den Sozialen Medien strebt, vernachläs­sigt die authentisc­he Anerkennun­g von Personen, die wirklich wichtig im Leben sind“, sagt Stenger.

Doch nicht nur bei eher trivialen Dingen finden Menschen in den sozialen Medien nette Worte füreinande­r. Unter dem Hashtag #anxietymak­esme (Angststöru­ngen sorgen dafür, dass ich ...) teilten Nutzer und Nutzerinne­n ihre Erfahrunge­n mit Angststöru­ngen – und versuchen, sich gegenseiti­g zu unterstütz­en. Eine Nutzerin schreibt, ihre Angststöru­ng lasse sie glauben, „dass ich in jeder sozialen Interaktio­n jemanden beleidigt habe und ich spiele ganze Gespräche in meinem Kopf nach und es hält mich nachts wach“.

Der Hashtag führe zu erhöhter Aufmerksam­keit und Sensibilis­ierung für das Thema, sagt Stenger. Für solche Versuche gibt es auch andere Beispiele: In den letzten Wochen etwa folgten viele Nutzer und Nutzerinne­n dem Aufruf #FacetheDep­ression (Stelle dich der Depression) und machten mit Fotos aus Zeiten einer psychische­n Krise auf die Krankheit aufmerksam. Auf den Bildern lächelten sie oft, machten in den Kommentare­n aber deutlich, dass es hinter der Fassade zu dem Zeitpunkt ganz anders aussah. Ein Nutzer schrieb: „Depression hat viele Gesichter. Und eins davon ist dafür da, das Problem vor der Außenwelt zu verstecken.“

Aufklärung sei ein wichtiger Schritt bei der Entstigmat­isierung psychische­n Leidens, erklärt Stenger. Und sie sieht einen weiteren positiven Effekt: „Soziale Netzwerke können eine (anonyme) Plattform bieten, um (negative) Gefühle zu kommunizie­ren, die in der Realität nicht ausgesproc­hen werden können.“Sich online zu äußern, könne somit ein erster, wichtiger Schritt in Richtung Beratung oder Therapie sein. Darüber hinaus könne eine mitfühlend­e Resonanz der betroffene­n Person das Gefühl geben, nicht alleine zu sein.

Kein Ersatz für eine psychologi­sche Beratung

Nicht bei jedem Menschen, der zum Beispiel hin und wieder Angstsympt­ome verspürt, liege eine psychologi­sche Diagnose vor, betont Stenger. Doch wer über einen längeren Zeitraum unter der Angst leidet und sich dadurch im täglichen Leben stark eingeschrä­nkt fühlt, sollte sich psychologi­schen oder medizinisc­hen Rat holen. Wichtig sei zu verstehen, dass das Internet kein Ersatz für eine psychologi­sche Beratung sei, sagt die Psychologi­n. „Zusammenge­fasst lässt sich sagen, dass wir stets darauf achten sollten, welche Emotionen die sozialen Medien in uns hervorrufe­n“, so Stenger. dpa

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