Apotheken kranken an der Pandemie
Mittel gegen Erkältungen bleiben im Lager – Kunden greifen häufiger zu Psychopharmaka
Die Welt befindet sich in einer Gesundheitskrise. Wer nun denkt, dass Apotheken – die doch schließlich mit Mitteln gegen Krankheiten ihr Geld verdienen – zu den großen Gewinnern der Pandemie gehören, der täuscht sich.
„Die Corona-Krise ist gar nicht gut für das Geschäft!“, ruft Cédric Degoutin aus. Er hat sechs Angestellte in der Pharmacie de la Liberté in der Hauptstadt. Bisher war niemand in Kurzarbeit, aber jetzt geht es nicht mehr weiter. „Ab nächstem Monat muss ich Kurzarbeit anmelden: Ich habe 20 Prozent meiner Kunden verloren“, erklärt Degoutin. Ein Problem ist die eigentlich ausgezeichnete Lage. Die traditionsreiche Apotheke liegt zwischen Innenstadt und Bahnhof. Auch die Zitha-Klinik ist nicht weit. Dennoch stockt das Geschäft, denn die Kunden bleiben mit dem Homeoffice zu Hause.
Kein Kindergarten, keine Läuse
Der zweite Grund für den fehlenden Umsatz: Ohne Alltag in Büros, Bussen und Bahnen stecken sich die Menschen seltener mit Erkältungen an. Ohne Schule und Créche holen sich Kinder keine Läuse mehr. Degoutin lacht. Das sei ja gut, aber eben nicht fürs Geschäft. Gibt es dafür einen Ausgleich, etwa mit den Covid-Schnelltests? Nein, sagt Degoutin. In den vergangenen sechs Wochen habe er 100 davon verkauft. Das sei nicht besonders lukrativ. Ob die Leute Medikamente jetzt eher online kaufen, weil sie Angst vor der Ansteckung haben – gerade hier in der Apotheke – wisse er nicht. Er habe keinen OnlineShop. Er verweist an die Pharmacie du Globe. Es ist die wohl größte Apotheke in Luxemburg mit einem gut gehenden Online-Shop. Marc Bray betreibt sie. Hier hat er 30 Mitarbeiter. Rund fünfzehn Prozent von ihnen befinden sich in Kurzarbeit. „Wir machen definitiv weniger Umsatz als vor der Krise“, sagt Bray. Genaue Zahlen möchte er nicht nennen. Ein wichtiger Grund für die Einbußen sind die Gesundheitsmaßnahmen. Auch Bray und sein Team verkaufen „sehr viel weniger“Mittel gegen Erkältungen, wie Nasenspray oder Hustensaft. „All die Maßnahmen: das Maske tragen, das Abstand halten, das Hände waschen, zeigen Wirkung“, sagt Bray. „Die Menschen stecken sich ganz offensichtlich wesentlich seltener an.“Die typischen Winterkäufe, wie Inhalationsbäder gegen den Schnupfen, bleiben aus. Er kann an den Einkäufen in etwa ablesen, wie sich die Kunden während der Pandemie verhalten. „Wir verkaufen zum Beispiel genauso viele Antiallergene, etwa gegen Pollenallergie. Die Leute gehen also noch raus, aber sie treffen sich seltener mit anderen. So stecken sie sich nicht mit den klassischen Infektionskrankheiten an.“Ein paar Kunden würden die Apotheke sicher auch aus Angst vor einer Ansteckung meiden, das sei aber keine nennenswerte Zahl, so der Apotheker. Das Problem ist erneut das Homeoffice. Hier am Bahnhof kommen nun weniger Pendler an. Hinzu kommen die Baustellen, die dem Geschäft schaden. Vor einigen Jahren hat die Apotheke ihren Online-Shop eröffnet. Sechs Angestellte kümmern sich darum. Der Umsatz wächst, im Lockdown sogar um 20 Prozent. So groß sei der Zugewinn inzwischen nicht mehr, sagt Bray, aber der Umsatz liege weiterhin höher als vor der Krise. Das Geschäft mit den Schnelltests sei ebenfalls kein „big Business“, so Bray. „Die meisten Leute brauchen ja einen offiziellen Test. Die Schnelltests sind also nur für jene, die besonders vorsichtig sind oder ihre Familie bei einem Besuch schützen wollen.“Ändern würde sich das Geschäft erst, wenn die Apotheken offizielle Tests durchführen dürften, die dann etwa auch für den Antritt einer Reise gültig wären.
Pillen gegen die Angst
Insgesamt gibt es in Luxemburg derzeit 98 Apotheken. Was den Verkauf von Erkältungsmitteln angeht, stellen die beiden Apotheken in der Hauptstadt keine Ausnahme dar. „Maskenpflicht, Homeoffice und Homeschooling sorgen natürlich dafür, dass Menschen gesünder sind und wir weniger von den üblichen Medikamenten verkaufen“, bestätigt auch eine Apotheke in Echternach. „Wie sich der Gesamtumsatz der Apotheken verändert hat, sehen wir erst nächstes Jahr“, sagt Danielle Becker-Bauer, Vize-Präsidentin des Syndicat des pharmaciens luxembourgeois. „Ich gehe davon aus, dass er leicht zurückgegangen ist“. Die größte Veränderung sei, dass sich die Patienten wegen der Telearbeit so stark verlagert hätten, wie in der Hauptstadt zu sehen ist. Weil die Arztpraxen zeitweise geschlossen oder im Notfallmodus operierten, sei auch die Anzahl der Rezepte radikal zurückgegangen. Und noch eine dramatische Verschiebung sei zu beobachten. Danielle Becker-Bauer sucht nach den Verkaufszahlen bei einem gängigen Antibiotikum: Hier ist der Absatz um mehr als die Hälfte gesunken. Dann tippt sie die Namen von Psychopharmaka und Antidepressiva ein. Hier hat ihre Apotheke rund ein Drittel mehr verkauft als üblich. „Man sieht ganz deutlich, dass viele in der Pandemie mit Einsamkeit und Ängsten zu kämpfen haben. Einige greifen dann zu Medikamenten“, sagt sie.