Das Sterben der alten Menschen
Die Seniorenstrukturen haben viele Tote zu beklagen – die Frage ist, ob das hätte verhindert werden können
Die Corona-Situation in den Seniorenheimen ist in den vergangenen Wochen eskaliert. Noch bevor die Bewohner durchgeimpft werden konnten, ist es in mehreren Häusern zu Infektionsherden gekommen – und zu vielen Toten. Der Druck auf die Regierung und Familienministerin Corinne Cahen (DP) steigt – auch in ihrer eigenen Partei. Im Zusammenhang mit dem Cluster im betreuten Wohnheim „Vitalhome“in Kayl forderte die dortige DP-Sektion eine Untersuchung. „Was sich in unseren Seniorenstrukturen abspielt, ist ein Skandal und darf nicht länger verheimlicht werden“, so die DP in einem Brief an den Schöffenrat.
Für die Seniorenheime ist Corinne Cahen zuständig. Anders als von Premierminister Xaver Bettel (DP) am Mittwoch dargelegt, gilt diese Zuständigkeit auch für die betreuten Wohnheime. Cahen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht offen kommuniziert und versucht zu haben, die Dinge unter dem Teppich zu halten. Sie hat sogar eine Erklärung für ihre zaghafte Kommunikationspolitik: Man wolle die Häuser nicht unnötig unter Druck setzen. Um die Häuser zu schützen, werden also Zahlen absichtlich zurückgehalten. Dabei müsste es genau umgekehrt sein: Klarheit und Transparenz schaffen, frühzeitig reagieren und dafür sorgen, dass Fakten zirkulieren statt Gerüchte.
Schnelltests bleiben ungenutzt
Monatelang mussten die Häuser mit Hilfe von Schutzmaterial, „Gestes barrières“und strengen Besuchsund Ausgangsregeln zusehen, das Virus draußen zu halten. Doch nun ist die Lage eine völlig andere. Es gibt jetzt Impfungen und Schnelltests. Diese neuen Elemente müssen maximal genutzt werden, um Vulnerable zu schützen. Doch das werden sie nicht.
Seit November sind die Häuser im Besitz von Schnelltests, um Besucher und andere Externe, die regelmäßig in die Häuser kommen, zu testen. Laut der Santé wurden 33 750 Tests an die Copas geliefert. Doch sie werden kaum eingesetzt. Warum? Weil die Häuser kein Personal haben, um die Tests durchzuführen und auch keine Unterstützung aus der nationalen
Réserve sanitaire bekommen, wie Copas-Präsident Marc Fischbach am Mittwoch auf Radio 100,7 erklärte. Für den Virologen Prof. Claude Muller ist das nicht hinnehmbar. „Wenn nicht genügend Pflegepersonal verfügbar ist, muss man eben Prioritäten in der Pflege setzen“: sie umorganisieren, nicht lebenswichtige Handlungen reduzieren. „Das ist alles machbar.“
Seit Monaten gibt es Schnelltests zum Selbermachen, doch Luxemburg
kommt nicht in die Gänge und hinkt auch mit der Bestellung hinterher. Am Mittwoch startete eine Pilotphase in den Schulen. Auch in den Altenheimen soll demnächst eine Pilotphase starten. „Viel zu spät, sagt Muller. „Die Pilotphasen hätten schon vor Monaten anlaufen müssen.“
Auch das Potenzial der Impfungen wird nicht so genutzt, wie es genutzt werden könnte. Nur 51 Prozent des Pflegepersonals ist geimpft. Es fehlt an Sensibilisierungskampagnen und Überzeugungsarbeit. Die Häuser wissen noch nicht einmal, wer vom Personal geimpft ist und wer nicht. „Wir dürfen das Personal nicht danach fragen“, erklärt Nathalie Hanck, Kommunikationsbeauftragte der Gruppe Servior, auf Nachfrage.
Muller hält das für nicht zumutbar. „Es gibt keinen Grund, nicht zu wissen, wie viele Mitarbeiter in einem Heim geimpft sind. Schließlich handelt es sich um eine lebensrettende Maßnahme – genau wie die Tests, die nicht eingesetzt werden.“Um zusätzliche Sicherheit zu bieten, müssten Personen, die in direktem Kontakt mit Vulnerablen stehen, geimpft sein „oder über einen täglichen Test den Nachweis erbringen, dass sie nicht infiziert sind“, fordert der Virologe.
Reinigungskräfte außen vor
Ein anderer Kritikpunkt: In den Heimen wurde darauf verzichtet, die Externen, die regelmäßig in die Häuser kommen, prioritär zu impfen. Ein schwerwiegender Fehler, den auch die Copas diese Woche aufwarf: „Das administrative Personal hat eine Impfeinladung erhalten, während Putzkräfte, die jeden Tag mit den Bewohnern in Kontakt sind, ausgeschlossen wurden“, heißt es in einem Presseschreiben.
Ein Teil der Heimbewohner, die an oder mit Covid sterben, wäre ohne Covid ein paar Monate später gestorben, lautet eine häufige Erklärung der Verantwortlichen, um die Dinge zu entdramatisieren. „Das mag sein“, sagt Muller, „aber das ist nicht der Punkt. Wenn das Bestmögliche getan wird, um die Menschen zu schützen, kann man das so hinnehmen. Aber an den Impfkampagnen und den Schnelltests sieht man, dass nicht alles getan wird, was möglich ist.“