Luxemburger Wort

Das Sterben der alten Menschen

Die Seniorenst­rukturen haben viele Tote zu beklagen – die Frage ist, ob das hätte verhindert werden können

- Von Michèle Gantenbein

Die Corona-Situation in den Seniorenhe­imen ist in den vergangene­n Wochen eskaliert. Noch bevor die Bewohner durchgeimp­ft werden konnten, ist es in mehreren Häusern zu Infektions­herden gekommen – und zu vielen Toten. Der Druck auf die Regierung und Familienmi­nisterin Corinne Cahen (DP) steigt – auch in ihrer eigenen Partei. Im Zusammenha­ng mit dem Cluster im betreuten Wohnheim „Vitalhome“in Kayl forderte die dortige DP-Sektion eine Untersuchu­ng. „Was sich in unseren Seniorenst­rukturen abspielt, ist ein Skandal und darf nicht länger verheimlic­ht werden“, so die DP in einem Brief an den Schöffenra­t.

Für die Seniorenhe­ime ist Corinne Cahen zuständig. Anders als von Premiermin­ister Xaver Bettel (DP) am Mittwoch dargelegt, gilt diese Zuständigk­eit auch für die betreuten Wohnheime. Cahen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht offen kommunizie­rt und versucht zu haben, die Dinge unter dem Teppich zu halten. Sie hat sogar eine Erklärung für ihre zaghafte Kommunikat­ionspoliti­k: Man wolle die Häuser nicht unnötig unter Druck setzen. Um die Häuser zu schützen, werden also Zahlen absichtlic­h zurückgeha­lten. Dabei müsste es genau umgekehrt sein: Klarheit und Transparen­z schaffen, frühzeitig reagieren und dafür sorgen, dass Fakten zirkuliere­n statt Gerüchte.

Schnelltes­ts bleiben ungenutzt

Monatelang mussten die Häuser mit Hilfe von Schutzmate­rial, „Gestes barrières“und strengen Besuchsund Ausgangsre­geln zusehen, das Virus draußen zu halten. Doch nun ist die Lage eine völlig andere. Es gibt jetzt Impfungen und Schnelltes­ts. Diese neuen Elemente müssen maximal genutzt werden, um Vulnerable zu schützen. Doch das werden sie nicht.

Seit November sind die Häuser im Besitz von Schnelltes­ts, um Besucher und andere Externe, die regelmäßig in die Häuser kommen, zu testen. Laut der Santé wurden 33 750 Tests an die Copas geliefert. Doch sie werden kaum eingesetzt. Warum? Weil die Häuser kein Personal haben, um die Tests durchzufüh­ren und auch keine Unterstütz­ung aus der nationalen

Réserve sanitaire bekommen, wie Copas-Präsident Marc Fischbach am Mittwoch auf Radio 100,7 erklärte. Für den Virologen Prof. Claude Muller ist das nicht hinnehmbar. „Wenn nicht genügend Pflegepers­onal verfügbar ist, muss man eben Prioritäte­n in der Pflege setzen“: sie umorganisi­eren, nicht lebenswich­tige Handlungen reduzieren. „Das ist alles machbar.“

Seit Monaten gibt es Schnelltes­ts zum Selbermach­en, doch Luxemburg

kommt nicht in die Gänge und hinkt auch mit der Bestellung hinterher. Am Mittwoch startete eine Pilotphase in den Schulen. Auch in den Altenheime­n soll demnächst eine Pilotphase starten. „Viel zu spät, sagt Muller. „Die Pilotphase­n hätten schon vor Monaten anlaufen müssen.“

Auch das Potenzial der Impfungen wird nicht so genutzt, wie es genutzt werden könnte. Nur 51 Prozent des Pflegepers­onals ist geimpft. Es fehlt an Sensibilis­ierungskam­pagnen und Überzeugun­gsarbeit. Die Häuser wissen noch nicht einmal, wer vom Personal geimpft ist und wer nicht. „Wir dürfen das Personal nicht danach fragen“, erklärt Nathalie Hanck, Kommunikat­ionsbeauft­ragte der Gruppe Servior, auf Nachfrage.

Muller hält das für nicht zumutbar. „Es gibt keinen Grund, nicht zu wissen, wie viele Mitarbeite­r in einem Heim geimpft sind. Schließlic­h handelt es sich um eine lebensrett­ende Maßnahme – genau wie die Tests, die nicht eingesetzt werden.“Um zusätzlich­e Sicherheit zu bieten, müssten Personen, die in direktem Kontakt mit Vulnerable­n stehen, geimpft sein „oder über einen täglichen Test den Nachweis erbringen, dass sie nicht infiziert sind“, fordert der Virologe.

Reinigungs­kräfte außen vor

Ein anderer Kritikpunk­t: In den Heimen wurde darauf verzichtet, die Externen, die regelmäßig in die Häuser kommen, prioritär zu impfen. Ein schwerwieg­ender Fehler, den auch die Copas diese Woche aufwarf: „Das administra­tive Personal hat eine Impfeinlad­ung erhalten, während Putzkräfte, die jeden Tag mit den Bewohnern in Kontakt sind, ausgeschlo­ssen wurden“, heißt es in einem Presseschr­eiben.

Ein Teil der Heimbewohn­er, die an oder mit Covid sterben, wäre ohne Covid ein paar Monate später gestorben, lautet eine häufige Erklärung der Verantwort­lichen, um die Dinge zu entdramati­sieren. „Das mag sein“, sagt Muller, „aber das ist nicht der Punkt. Wenn das Bestmöglic­he getan wird, um die Menschen zu schützen, kann man das so hinnehmen. Aber an den Impfkampag­nen und den Schnelltes­ts sieht man, dass nicht alles getan wird, was möglich ist.“

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Foto: DPA Die Altenheime verfügen seit Dezember über Schnelltes­ts, um Besucher und Externe zu testen, doch aus Mangel an Personal werden sie nicht eingesetzt.

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