Luxemburger Wort

Mutter Courage

Einen Tag nach dem Osterruhe-Debakel tut Angela Merkel so, als wäre eigentlich nichts passiert

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Am Tag danach klingt alles schon gar nicht mehr so dramatisch. Zumindest nicht bei Angela Merkel. Ihre Jacke ist nicht mehr wohnzimmer­vorhanggel­b, sondern dahlienpin­k; das sieht frischer aus. Und frisch passt zu dem, was die deutsche Bundeskanz­lerin sagt, im Bundestag, keine 21 Stunden nachdem sie mit einer Entschuldi­gungsbitte offenbart hat, was die Regierungs­elite zustande bringt im Kampf gegen die Pandemie. Es gibt ein sehr einfaches und sehr hässliches Wort dafür: Pfusch.

Pfusch – hätte Merkel nicht einmal am Mittwoch gesagt, als sie einsehen musste, dass die von ihr entworfene und in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz nächtens durchgeset­zte „Osterruhe“genau das war. Sie entschied sich für „Fehler“, das war bitter genug. Obwohl Merkel, im Polit-BusinessMa­ßstab gemessen, Profi ist im Fehlerzuge­ben. Wenn es sein muss, ruft sie sogar Campino an, den Frontmann der Toten Hosen, und entschuldi­gt sich für die CDU, die am Wahlabend 2013 den Hosen-Hit „Tage wie diese“grölte – und sie selbst hat dazu geklatscht und ein ganz kleines bisschen die Hüften geschwenkt.

Diesmal ist die Sache sehr viel ernster. Es geht auch um eine Bundestags­wahl – aber noch nicht unmittelba­r. Direkt geht es darum, wie die deutschen Regierende­n die Pandemie in den Griff kriegen; exakt: wie eben nicht. Deutschlan­d ist in der dritten Welle; die schwillt an – und die Intensivme­diziner befürchten schon wieder das Schlimmste. Sie haben, so sagt die Kanzlerin das, „die einzig positive Resonanz“gezeigt auf die RuheIdee. Das kann gut durchgehen als Beweis für den Ernst der Lage. Nur: Wenn das, was helfen soll, Stümperei

ist – dann ist allen, die keinen Lieben auf einer Intensivst­ation wissen, der Ernst der Lage sehr fern. Die Stümperei aber nah.

Das Saarland prescht vor

Merkel ist für den Murks nicht allein verantwort­lich; auch wenn sie es sagt. Es ist auch nicht „der Föderalism­us“, also die Aufteilung von Zuständigk­eit zwischen Ländern und Bund. In der Nacht zum Dienstag haben alle 17 Regierende­n zum Pfusch ja gesagt. Dass sie ihn erst mit ein paar Stunden Abstand erkannt haben: Es ist nicht heraus, welche Folgen das noch haben wird. Vorerst sind die Regierende­n ein bisschen erschrocke­n und ein bisschen zerknirsch­t. Die Regierten aber verunsiche­rt bis aufgebrach­t. Sie haben Gründe; Merkel weiß das genau. Seit Monaten

hören sie von Impfzentre­n und von einer „Impfstrate­gie“. Aber was sie erleben, ist sehr viel Bürokratie und sehr wenig Funktionie­ren. Für die Schnelltes­ts, die Kinder zurück in Schulen und Kitas bringen sollen, Kunden in Geschäfte, Publikum in Kinos, Gäste in Restaurant­s, gilt Identische­s. Große Ankündigun­gen – „Weltmeiste­r im Testen“wollte Saarlands Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) werden – aber die Realität entpuppt sich als Mittelmaß, bestenfall­s. Und die Politik verheddert sich im Kleinklein.

Apropos Hans: Mitten ins Osterruhe-Debakel hinein – von dem Merkel zu verstehen gibt, dass nicht das Ziel der Fehler war, sondern der Weg dorthin – kündigt der Saarland-MP Öffnungen gleich nach Ostern an. Privattref­fs im

Freien zu zehnt, kontaktlos­er Sport auch drinnen, Theater, Konzert, Biergarten: Alles erlaubt – mit tagesaktue­llem Test. „Modellregi­on“nennt Hans das Saarland, er hat es gerne groß. Das kleinste deutsche Flächenlan­d habe „eine der besten Testinfras­trukturen“und nun auch ein Konzept, „mit dem man sich etwas traut“. Als im Januar Luxemburg Lockerunge­n ankündigte, nannte Hans das wegen der dortigen Sieben-Tage-Inzidenz von 181 „verantwort­ungslos“. Das Saarland hat aktuell 70,8.

Größte Blamage in 16 Jahren

Deutschlan­dweit beträgt der Wert am Donnerstag 113,3, Tendenz steigend. Und glaubt man der Opposition, ist eigentlich Merkel schuld. „Trümmerhau­fen“ätzt die Linke Fraktionsc­hefin Amira Mohamed Ali, „schlecht“und „verzagt“regiert werde Deutschlan­d, rügt ihre grüne Kollegin Katrin GöringEcka­rt. Eventuell, stichelt FDPFrontma­nn Christian Lindner, habe die „Weltpoliti­kerin Merkel zu viel von der internatio­nalen Gipfeldipl­omatie“in die „nationalen Kontexte gebracht“.

Ganz Europa und die halbe Welt hat sich schon mit Merkel Nächte um die Ohren schlagen müssen und dabei lernen, dass sie die Ausdauernd­ste ist. Und am nächsten Tag gerne wirkt, als wäre nichts gewesen. Rein optisch ist das auch diesmal so. Dahlienpin­k. Und dazu, am Ende, ihr alleraller­umstritten­ster Satz in Variation: „Ich bin ganz sicher, dass wir das schaffen werden.“

Sie steckt noch immer in der vielleicht größten Blamage ihrer politische­n Karriere. Und erinnert an ihre umstritten­ste Entscheidu­ng. Die die Republik ins Wanken gebracht hat. Und die Rechtspopu­listen ins Parlament. Das ist entweder Courage. Oder…

 ?? Foto: dpa ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gibt im Bundestag eine Regierungs­erklärung zur Corona-Pandemie ab.
Foto: dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gibt im Bundestag eine Regierungs­erklärung zur Corona-Pandemie ab.

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