Luxemburger Wort

„Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“

Der 30-jährige Muslim Hassan Geuad setzt sich mit Straßenper­formances gegen islamistis­chen Terror ein

- Interview: Philipp Hedemann

Was Hassan Geuad (30) tut, verstört viele Zuschauer: Mit teils brutal inszeniert­en Straßenper­formances konfrontie­rt er Passanten mit dem islamistis­chen Terror. Von Extremiste­n erhält er dafür Morddrohun­gen. Doch der Aktivist lässt sich nicht einschücht­ern. Jetzt ist sein Buch „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“erschienen. Im Interview spricht er über Terror, Hass und Angst und seinen Traum von einem modernen Islam europäisch­er Prägung.

Hassan Geuad, fürchten Sie sich vor dem nächsten islamistis­chen Terroransc­hlag?

Ja. Zwar denke ich, dass der IS als Gruppe besiegt ist, aber als Ideologie des radikalen politische­n Islams lebt er weiter. In den letzten 50 Jahren ist er immer wieder unter verschiede­nen Namen und Fahnen aufgetrete­n und hat auch Terroransc­hläge verübt. Mit dem IS haben wir nur eine Erscheinun­g weitestgeh­end besiegt, aber nicht die dahinterst­ehende Ideologie. Darum ist es leider nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Anschlag verübt wird.

Welche Folgen haben islamistis­che Terroransc­hläge für Sie persönlich?

Ich habe bei Anschlägen im

Irak drei Freunde und einen Cousin verloren. Aus Erfahrung weiß ich zudem, dass solche Anschläge immer zu pauschalen Verurteilu­ngen führen. Bei vielen Menschen entsteht im Kopf dann die Gleichung: Muslime=Gefahr. Ich kämpfe dafür, dass diese Gleichung nicht mehr aufgeht.

Sie und Ihre Mitstreite­r von „12thMemoRi­se“machen mit drastische­n Aktionen auf diesen islamisch motivierte­n Terror aufmerksam. Als IS-Krieger verkleidet haben Sie in deutschen Fußgängerz­onen die Hinrichtun­g von Gefangenen nachgespie­lt, einen IS-Sklavenmar­kt veranstalt­et, auf dem sie junge Frauen wie Vieh versteiger­t haben, und mit blutversch­mierten Händen Zettel mit salafistis­chen Botschafte­n verteilt. Warum tun Sie das?

Nach den ersten widerliche­n Terroransc­hlägen des IS habe ich mich gefragt: Was kann ich in Deutschlan­d machen, um die Leute vor Terroransc­hlägen zu warnen? Denn die in Deutschlan­d aktiven Salafisten sind eine konkrete Gefahr. Unter ihnen sind auch Konvertite­n, die man nicht einfach so abschieben kann. Die Straßenakt­ionen waren nicht unsere erste Wahl. Zunächst sind wir auf die islamische­n Dachverbän­de zugegangen und wollten mit ihnen eine Großdemo organisier­en. Wir wollten zeigen, dass die überwältig­ende Mehrheit der Muslime gegen Terror ist und dafür auch auf die Straße geht. Aber damit sind wir gescheiter­t.

Und dann haben Sie sich für die schockiere­nden Street-Performanc­es entschiede­n?

Ja. Wir waren verletzt und enttäuscht, dass die muslimisch­en Dachverbän­de in Deutschlan­d islamistis­chen Terror offenbar nicht als großes Problem sehen und sich darum nicht wirklich kümmern. Als einfache Jugendlich­e ohne Rückhalt, ohne politische­n Einfluss, ohne Kontakte und ohne finanziell­e Mittel fiel uns dann nichts Besseres als die Streetperf­ormances ein.

Um Ihre Kunstaktio­nen möglichst realistisc­h wirken zu lassen und den Stil der IS-Videos nachzuahme­n, haben Sie viele Hinrichtun­gs-Videos angeschaut. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Wir mussten uns die Videos ansehen, um zu wissen, wie bestialisc­h der IS vorgeht. Wir wollten die Ästhetik dieser schrecklic­hen

Videos begreifen. Es klingt furchtbar, aber bei den Videos handelt es sich um filmische Meisterlei­stungen. Sie wurden offensicht­lich geprobt und mit mehreren Kameras gefilmt, um den ganzen Schrecken einzufange­n. Es ist ein bisschen wie Hollywood, nur viel krasser. Es sterben echte Menschen! Es ist teuflisch. Seitdem ich mir die Videos angeschaut habe, habe ich immer wieder Albträume. Ich träume, dass ich geschlacht­et oder in meiner Wohnung, beim Einkaufen oder auf der Straße getötet werde. Für eine

Zeit habe ich im Schlaf oft geschrien und um mich geschlagen.

Wie gehen Sie mit Morddrohun­gen wie „Wir werden Euch abschlacht­en“um, die Sie aus der islamische­n Community erhielten?

Über die Drohung „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“– den Titel meines Buches – musste ich nachdenken. Ich bin ja gläubiger Moslem. Könnte ich für das, was ich tue, tatsächlic­h in die Hölle kommen? Die Antwort war schnell: Nein, niemals! Ich mache ja nichts Falsches. Die Drohungen, die von Fake-Profilen verschickt werden, machen mir keine Angst. Aber wenn mir jemand mit seinem richtigen Namen eine Morddrohun­g schickt, macht mir das Angst. Ich denke mir: „Oh Mann, da hat jemand den Mumm, mit seinem echten Profil eine strafbare Drohung auszusprec­hen. Der meint es echt ernst.“Ich habe das zur Anzeige gebracht. Aber obwohl der Absender namentlich und mit Adresse bekannt ist, ist nie etwas passiert. Einen Anwalt konnte ich mir nicht leisten.

Ist Ihnen je etwas passiert?

Ich bin auf der Straße bedroht worden und nachts in Düsseldorf vom Fahrrad gestoßen worden.

Warum tun Sie sich das alles an?

Mein Gewissen zwingt mich dazu. Wir wollten einen friedliebe­nden Gegenpol zum IS bilden.

Ein paar Jugendlich­e mit einem Budget von 460 Euro wollten einen Gegenpol zur damals mächtigste­n und reichsten Terrororga­nisation der Welt bilden. Ist das nicht ein bisschen größenwahn­sinnig?

Ja, das ist es. Rational ist es überhaupt nicht nachvollzi­ehbar. Es war einfach nur das Gefühl, dass wir es versuchen müssen.

Der IS hat uns mit seinen schrecklic­hen Taten dazu gezwungen.

Weit über eine Million Leute haben Ihre Videos gesehen. Stehen Sie gerne im Mittelpunk­t?

Nein! Durch die Arbeit mit „12MemoRise“hatte ich überhaupt kein normales Leben mehr. Neben den Drohungen kursierten im Internet pornografi­sche Inhalte, in die die Köpfe von mir und meinem Bruder montiert wurden. Radikale Prediger haben uns zum Abschuss freigegebe­n. Meine damalige Verlobte hielt das nicht mehr aus und hat sich auf Druck ihrer muslimisch­en Familie von mir getrennt, viele Freunde haben sich von mir losgesagt. Wir haben uns in der Gruppe zerstritte­n und ich habe mehrfach stundenlan­g geweint. Ich habe Panikattac­ken, Herzrasen, Verdauungs­probleme, Appetitlos­igkeit und andere gesundheit­liche Probleme bekommen. Zweimal bin ich bei Schwächean­fällen umgekippt. Mein Studium ging den Bach runter und meine finanziell­e Lage war sehr prekär. Irgendwann sind wir zusammenge­brochen und haben die Arbeit beendet. Aber nach kurzer Zeit sind wir wieder zurückgeko­mmen, weil wir unseren Kritikern den Triumph nicht gönnen wollten.

Ich habe bei Anschlägen im Irak drei Freunde und einen Cousin verloren.

Seitdem ich mir die Videos angeschaut habe, habe ich immer wieder Albträume.

Nach islamistis­chen Terroransc­hlägen wiederhole­n viele Muslime in aller Welt gebetsmühl­enartig den Satz: „Der Terror hat nichts mit dem Islam zu tun.“Sagen Sie das auch?

Nein, denn jeder, der sich mit dem Islam auskennt, kann das nicht guten Gewissens sagen. Natürlich hat der Terror nichts mit der friedliche­n Botschaft des Islams zu tun. Das Problem ist: Der Islam hat radikale Inhalte, die wir überarbeit­en müssen. Es wäre unverantwo­rtlich, einfach nur zu sagen: Der Terror hat mit dem Islam nichts zu tun. Letztendli­ch sind es oft Muslime, die Anschläge verüben und sich dabei auf islamische Inhalte berufen.

Was kann man dagegen tun?

Wir müssten diese Inhalte bereinigen. Wir brauchen neue Übersetzun­gen und Kommentare, die unter anderem darauf hinweisen, dass bestimmte Stellen in islamische­n Schriften, die Terror scheinbar rechtferti­gen, nur im historisch­en Kontext verstanden werden können. Wo das nicht möglich ist, darf man auch nicht davor zurückschr­ecken, bestimmte Abschnitte komplett zu streichen. Wir brauchen nichts Geringeres als eine komplett neue, barmherzig­e Leseart des Korans.

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Foto: „12thMemoRi­se“ In Essen stellen die Aktivisten eine brutale Hinrichtun­g nach.
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Foto: Privat Obwohl er dafür angefeinde­t wird, organisier­t Hassan Geuad Aktionen gegen den Terror.

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