„Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“
Der 30-jährige Muslim Hassan Geuad setzt sich mit Straßenperformances gegen islamistischen Terror ein
Was Hassan Geuad (30) tut, verstört viele Zuschauer: Mit teils brutal inszenierten Straßenperformances konfrontiert er Passanten mit dem islamistischen Terror. Von Extremisten erhält er dafür Morddrohungen. Doch der Aktivist lässt sich nicht einschüchtern. Jetzt ist sein Buch „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“erschienen. Im Interview spricht er über Terror, Hass und Angst und seinen Traum von einem modernen Islam europäischer Prägung.
Hassan Geuad, fürchten Sie sich vor dem nächsten islamistischen Terroranschlag?
Ja. Zwar denke ich, dass der IS als Gruppe besiegt ist, aber als Ideologie des radikalen politischen Islams lebt er weiter. In den letzten 50 Jahren ist er immer wieder unter verschiedenen Namen und Fahnen aufgetreten und hat auch Terroranschläge verübt. Mit dem IS haben wir nur eine Erscheinung weitestgehend besiegt, aber nicht die dahinterstehende Ideologie. Darum ist es leider nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Anschlag verübt wird.
Welche Folgen haben islamistische Terroranschläge für Sie persönlich?
Ich habe bei Anschlägen im
Irak drei Freunde und einen Cousin verloren. Aus Erfahrung weiß ich zudem, dass solche Anschläge immer zu pauschalen Verurteilungen führen. Bei vielen Menschen entsteht im Kopf dann die Gleichung: Muslime=Gefahr. Ich kämpfe dafür, dass diese Gleichung nicht mehr aufgeht.
Sie und Ihre Mitstreiter von „12thMemoRise“machen mit drastischen Aktionen auf diesen islamisch motivierten Terror aufmerksam. Als IS-Krieger verkleidet haben Sie in deutschen Fußgängerzonen die Hinrichtung von Gefangenen nachgespielt, einen IS-Sklavenmarkt veranstaltet, auf dem sie junge Frauen wie Vieh versteigert haben, und mit blutverschmierten Händen Zettel mit salafistischen Botschaften verteilt. Warum tun Sie das?
Nach den ersten widerlichen Terroranschlägen des IS habe ich mich gefragt: Was kann ich in Deutschland machen, um die Leute vor Terroranschlägen zu warnen? Denn die in Deutschland aktiven Salafisten sind eine konkrete Gefahr. Unter ihnen sind auch Konvertiten, die man nicht einfach so abschieben kann. Die Straßenaktionen waren nicht unsere erste Wahl. Zunächst sind wir auf die islamischen Dachverbände zugegangen und wollten mit ihnen eine Großdemo organisieren. Wir wollten zeigen, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime gegen Terror ist und dafür auch auf die Straße geht. Aber damit sind wir gescheitert.
Und dann haben Sie sich für die schockierenden Street-Performances entschieden?
Ja. Wir waren verletzt und enttäuscht, dass die muslimischen Dachverbände in Deutschland islamistischen Terror offenbar nicht als großes Problem sehen und sich darum nicht wirklich kümmern. Als einfache Jugendliche ohne Rückhalt, ohne politischen Einfluss, ohne Kontakte und ohne finanzielle Mittel fiel uns dann nichts Besseres als die Streetperformances ein.
Um Ihre Kunstaktionen möglichst realistisch wirken zu lassen und den Stil der IS-Videos nachzuahmen, haben Sie viele Hinrichtungs-Videos angeschaut. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Wir mussten uns die Videos ansehen, um zu wissen, wie bestialisch der IS vorgeht. Wir wollten die Ästhetik dieser schrecklichen
Videos begreifen. Es klingt furchtbar, aber bei den Videos handelt es sich um filmische Meisterleistungen. Sie wurden offensichtlich geprobt und mit mehreren Kameras gefilmt, um den ganzen Schrecken einzufangen. Es ist ein bisschen wie Hollywood, nur viel krasser. Es sterben echte Menschen! Es ist teuflisch. Seitdem ich mir die Videos angeschaut habe, habe ich immer wieder Albträume. Ich träume, dass ich geschlachtet oder in meiner Wohnung, beim Einkaufen oder auf der Straße getötet werde. Für eine
Zeit habe ich im Schlaf oft geschrien und um mich geschlagen.
Wie gehen Sie mit Morddrohungen wie „Wir werden Euch abschlachten“um, die Sie aus der islamischen Community erhielten?
Über die Drohung „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“– den Titel meines Buches – musste ich nachdenken. Ich bin ja gläubiger Moslem. Könnte ich für das, was ich tue, tatsächlich in die Hölle kommen? Die Antwort war schnell: Nein, niemals! Ich mache ja nichts Falsches. Die Drohungen, die von Fake-Profilen verschickt werden, machen mir keine Angst. Aber wenn mir jemand mit seinem richtigen Namen eine Morddrohung schickt, macht mir das Angst. Ich denke mir: „Oh Mann, da hat jemand den Mumm, mit seinem echten Profil eine strafbare Drohung auszusprechen. Der meint es echt ernst.“Ich habe das zur Anzeige gebracht. Aber obwohl der Absender namentlich und mit Adresse bekannt ist, ist nie etwas passiert. Einen Anwalt konnte ich mir nicht leisten.
Ist Ihnen je etwas passiert?
Ich bin auf der Straße bedroht worden und nachts in Düsseldorf vom Fahrrad gestoßen worden.
Warum tun Sie sich das alles an?
Mein Gewissen zwingt mich dazu. Wir wollten einen friedliebenden Gegenpol zum IS bilden.
Ein paar Jugendliche mit einem Budget von 460 Euro wollten einen Gegenpol zur damals mächtigsten und reichsten Terrororganisation der Welt bilden. Ist das nicht ein bisschen größenwahnsinnig?
Ja, das ist es. Rational ist es überhaupt nicht nachvollziehbar. Es war einfach nur das Gefühl, dass wir es versuchen müssen.
Der IS hat uns mit seinen schrecklichen Taten dazu gezwungen.
Weit über eine Million Leute haben Ihre Videos gesehen. Stehen Sie gerne im Mittelpunkt?
Nein! Durch die Arbeit mit „12MemoRise“hatte ich überhaupt kein normales Leben mehr. Neben den Drohungen kursierten im Internet pornografische Inhalte, in die die Köpfe von mir und meinem Bruder montiert wurden. Radikale Prediger haben uns zum Abschuss freigegeben. Meine damalige Verlobte hielt das nicht mehr aus und hat sich auf Druck ihrer muslimischen Familie von mir getrennt, viele Freunde haben sich von mir losgesagt. Wir haben uns in der Gruppe zerstritten und ich habe mehrfach stundenlang geweint. Ich habe Panikattacken, Herzrasen, Verdauungsprobleme, Appetitlosigkeit und andere gesundheitliche Probleme bekommen. Zweimal bin ich bei Schwächeanfällen umgekippt. Mein Studium ging den Bach runter und meine finanzielle Lage war sehr prekär. Irgendwann sind wir zusammengebrochen und haben die Arbeit beendet. Aber nach kurzer Zeit sind wir wieder zurückgekommen, weil wir unseren Kritikern den Triumph nicht gönnen wollten.
Ich habe bei Anschlägen im Irak drei Freunde und einen Cousin verloren.
Seitdem ich mir die Videos angeschaut habe, habe ich immer wieder Albträume.
Nach islamistischen Terroranschlägen wiederholen viele Muslime in aller Welt gebetsmühlenartig den Satz: „Der Terror hat nichts mit dem Islam zu tun.“Sagen Sie das auch?
Nein, denn jeder, der sich mit dem Islam auskennt, kann das nicht guten Gewissens sagen. Natürlich hat der Terror nichts mit der friedlichen Botschaft des Islams zu tun. Das Problem ist: Der Islam hat radikale Inhalte, die wir überarbeiten müssen. Es wäre unverantwortlich, einfach nur zu sagen: Der Terror hat mit dem Islam nichts zu tun. Letztendlich sind es oft Muslime, die Anschläge verüben und sich dabei auf islamische Inhalte berufen.
Was kann man dagegen tun?
Wir müssten diese Inhalte bereinigen. Wir brauchen neue Übersetzungen und Kommentare, die unter anderem darauf hinweisen, dass bestimmte Stellen in islamischen Schriften, die Terror scheinbar rechtfertigen, nur im historischen Kontext verstanden werden können. Wo das nicht möglich ist, darf man auch nicht davor zurückschrecken, bestimmte Abschnitte komplett zu streichen. Wir brauchen nichts Geringeres als eine komplett neue, barmherzige Leseart des Korans.