Luxemburger Wort

H&M ist gecancelt

Der Modekonzer­n will keine Wolle aus chinesisch­er Zwangsarbe­it und erlebt die Konsequenz­en

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Zwischen den Jeansjacke­n und bunten Jogginghos­en herrscht gähnende Leere: Nur eine Handvoll Pärchen haben sich an diesem Donnerstag­abend in die H&M-Filiale im beliebten Pekinger Shopping-Viertel Sanlitun verirrt. Ob heute weniger los ist als sonst? Dem Kassierer mit der durchsicht­igen Hornbrille ist das Unbehagen ins Gesicht geschriebe­n: „Ich habe keine Ahnung“, sagt er und lächelt verlegen.

H&M einfach gelöscht

Im Internet findet man eine deutlicher­e Antwort. Denn online wurde die schwedisch­e Modemarke innerhalb weniger als 24 Stunden regelrecht vernichtet. Auf den Online-Stores von „Taobao“und „Tmall“lassen sich keine H&MProdukte mehr kaufen. Auch die über 550 Filialen im Land können auf den Karten-Apps chinesisch­er Smartphone­s schlicht nicht mehr gefunden werden. Sämtliche digitalen Spuren sind praktisch gelöscht: Es ist, als ob H&M in China niemals existiert hätte.

Was ist passiert? Am Mittwoch kramte die parteiinte­rne Kommunisti­sche Jugendliga eine alte Stellungna­hme von H&M aus dem vergangene­n Jahr hervor, in der sich das Unternehme­n „zutiefst besorgt“über Medienberi­chte zeigt, die „Vorwürfe von Zwangsarbe­it“in Xinjiang beinhalten. Daher, so heißt es weiter, habe man sich entschiede­n keine Baumwolle mehr aus jener Region zu beziehen.

Chinas Staatsfern­sehen kritisiert­e, dass H&M nicht gleichzeit­ig die Hand beißen könne, die es füttert. Reporterin Bai Yunyi von der nationalis­tischen „Global Times“schreibt auf ihrem Twitter-Account, dass sich internatio­nale Marken künftig wohl immer öfter zwischen dem chinesisch­en und dem westlichen Markt entscheide­n müssen: „Grausam, aber sehr wahrschein­lich wird es so kommen.“

Erboste Internetnu­tzer posten en masse auf sozialen Medien. „Ich unterstütz­e Baumwolle aus Xinjiang. H&M, verpisst euch!“, lautet ein Kommentar auf dem chinesisch­en Kurznachri­chtendiens­t Weibo mit mehr als 50 000 Likes. Ein anderer Nutzer meint zynisch: Auch in Chinas Banknoten wird Wolle aus Xinjiang verwendet. Wenn H&M also diese boykottier­en will, dann sollten sie mit dem Verzicht auf chinesisch­e Geldschein­e beginnen.

Regelmäßig flext Chinas Regierung seine wirtschaft­lichen Muskeln gegen aufmüpfige Staaten. Jüngst trafen die Restriktio­nen australisc­he Winzer und Rindfleisc­h-Produzente­n, nachdem Premier Scott Morrison im letzten Frühjahr eine Untersuchu­ng zu Pekings Verschleie­rung des Virusausbr­uchs forderte. Dieses Mal jedoch sind es keine offizielle­n Sanktionen, die China verhängt. Doch um eine Graswurzel­bewegung chinesisch­er Konsumente­n handelt es sich keineswegs, sondern vielmehr um eine staatlich orchestrie­rte Kampagne. Sie erfolgt jüngst wenige Tage, nachdem die EU vier chinesisch­e Parteikade­r aufgrund von Menschenre­chtsverbre­chen in Xinjiang sanktionie­rt hatte – und Peking mit deutlich schärferen Gegensankt­ionen antwortete.

„Aufgrund der zunehmende­n Politisier­ung sehen sich immer mehr europäisch­e Unternehme­n zwischen Baum und Borke gefangen“, sagt Jörg Wuttke, Leiter der europäisch­en Handelskam­mer in Peking. Einerseits fordert die heimische Öffentlich­keit, dass Firmen ihrer gesellscha­ftlichen Verantwort­ung nachkommen. Auf der anderen Seite können „saubere Lieferkett­en“in China zu einer Gegenreakt­ion führen.

Oftmals reicht dafür nur ein falsches Wort oder ein „sensibler Tweet“. Dass jedoch eine Firma in China regelrecht vom Markt gedrängt wird, nur weil sie sich gegen potenziell­e Zwangsarbe­it ausspricht, ist beängstige­nd.

Viele Chinesen, das hört man in persönlich­en Gesprächen immer wieder, glauben nicht den Berichten westlicher Medien über die Menschenre­chtsverbre­chen in Xinjiang, wo hunderttau­sende Uiguren in Lagersyste­men interniert werden. Sie halten es schlicht nicht für möglich, dass ihr Staat, zu dem sie mehrheitli­ch ein pragmatisc­hes bis positives Verhältnis hegen, zu solchen Gräueltate­n fähig wäre. Doch gleichzeit­ig haben die wenigsten Chinesen wirkliches Interesse, nachzufors­chen und kritische Fragen zu stellen – nicht zuletzt, weil sie es in einer zunehmend totalitäre­n Gesellscha­ft internalis­iert haben, sensible Themen zu vermeiden.

Wie ihr, so auch wir

Die Regierung dürfte sich mit ihrem jüngsten Propaganda-„Spin“jedoch deutlich verkalkuli­ert haben. Auf die Völkermord-Anschuldig­ungen internatio­naler Forscher reagiert die Staatsführ­ung mittlerwei­le nur mehr mit einem Schulterzu­cken – und verweist auf den Holocaust in Nazi-Deutschlan­d und den kanadische­n Genozid seiner Ureinwohne­r. Die unbeabsich­tigte, aber sehr wohl unterschwe­llige Botschaft lautet: Wenn andere Länder Menschenre­chtsverbre­chen begangen haben, dann steht uns das auch zu.

Wer tiefere Einblicke in Chinas diplomatis­cher Strategie bekommen möchte, sollte den Worten von Ruan Zongze lauschen. Der Vize-Präsident des „China Institute of Internatio­nal Studies“gibt im Ballsaal des Pekinger „Novotel“einen Vortrag über die Stellung seines Heimatland­es in der internatio­nalen Staatengem­einschaft. Ruan strotzt nur so vor Selbstbewu­sstsein, genau wie seine Staatsführ­ung: „Die Realität ist, die USA sind nicht mehr die einzige Weltmacht. Wir sollten eine neue internatio­nale Ordnung aufbauen, die auf gegenseiti­gem Respekt basiert“. Jener Respekt, das ist unmissvers­tändlich, beinhaltet auch, dass China „keine Einmischun­gen in innere Angelegenh­eiten toleriert“– von Xinjiang über Hongkong bis hin zur „Vereinigun­g“mit Taiwan.

Wie Polit-Experte Ruan die gegenseiti­gen Repression­en zwischen der EU und China wahrnimmt? „Die Sanktionen der EU basieren nur auf Lügen“, erklärt er. Die Replik Pekings bezeichnet er hingegen als reine Selbstvert­eidigung. Wenn wegen des Konflikts das geplante Investitio­nsabkommen zwischen den zwei Handelspar­tnern nicht zustande kommen sollte, dann wäre das eine „vertane Chance“– für die Europäisch­e Union, natürlich.

Die wenigsten Chinesen haben ein wirkliches Interesse daran, nachzufors­chen und kritische Fragen zu stellen.

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Foto: AFP Fotos sind nicht erwünscht: Polizeikrä­fte versuchen Aufnahmen von H&M-Filialen – wie hier in Peking – zu verhindern.

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