Luxemburger Wort

Nach Ostern

Die Grünen wollen ins deutsche Kanzleramt

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Noch zehn Tage. Mindestens. In zehn Tagen ist Ostern vorbei. Und nach Ostern soll die Entscheidu­ng fallen. Das klingt sehr konkret. Ist aber in Wahrheit das Gegenteil. Nach Ostern beginnt am 6. April. Und hat kein Ende.

Es ist also überhaupt nicht heraus, wann Deutschlan­d weiß, wer alles Bundeskanz­ler werden will nach Angela Merkel. Bislang ist da Olaf Scholz. Für die SPD. Und sonst niemand. Es gibt allerdings diverse Kandidatur­kandidaten. Und eine Kandidatin.

Die Union kennt das Problem. Hat es letztmals vor 19 Jahren gehabt. Stoiber. Merkel. Frühstück. In Wolfratsha­usen in der Küche hat sie ihm den Vortritt serviert. Deutschlan­d hat daraus gelernt, dass so ein Sieg keine Garantie ist für irgendetwa­s. Und so eine Niederlage ein Gewinn sein kann. Ein Hauptgewin­n am Ende.

Die Frau hat Zugriffsre­cht

Aber für 2021 muss 2002 nichts bedeuten Schon weil außer CDU und CSU auch die Grünen am Start sind. Kanzlerkan­didaturmäß­ig. Und kandidaten­kandidatur­mäßig erst recht. Gegen die Frage, ob Annalena Baerbock die längst nicht mehr unter „Ökopaxe“firmierend­e Partei ins Kanzleramt führen soll – oder Robert Habeck: Gegen diese Frage ist die Alternativ­e Armin Laschet oder Markus Söder – die es offiziell ja gar nicht gibt –, um beim Frühstücke­n zu bleiben, kalter Kaffee.

Im Berliner Regierungs­viertel sind Baerbock und Habeck das Thema. „Das“in Großbuchst­aben. Dabei ist bei ihnen die Lage ganz grundsätzl­ich nicht anders als bei der Union. Dort hat der CDU-Vorsitzend­e das erste Zugriffsre­cht. Bei den Grünen hat es die Frau. Der Unterschie­d aber zur Union: Fast alle rechnen damit, dass Laschet zupackt. Bei den Grünen indes waren sehr lang alle sicher, dass Baerbock nicht bloß verzichtet. Sondern gar nicht will.

Ein Irrtum. Deshalb „waren“. In der Partei hätten sie das schon im Sommer 2019 merken können. Da priesen diverse sogenannte grüne Urgesteine Habeck nicht bloß als kanzlerabe­l; sie taten so, als sei er alternativ­los. Baerbock nahm das ungerührt zur Kenntnis. Bei ihrer Wahl zur Vorsitzend­en im Januar 2018, gemeinsam mit Habeck, hatte sie angekündig­t, sie werde nicht „die Frau an Roberts Seite“sein. So richtig ernst genommen hatten die Grünen das nicht. Und der Republik war es gleich. Die Grünen standen damals bei zwölf Prozent.

Aktuell sind es im Schnitt 22. Die SPD liegt fünf Prozent dahinter. Die Union kommt auf 28; seit ihren diversen Korruption­saffären ist sie im Sturzflug. Der grüne Anspruch aufs Kanzleramt ist also kein Scherz. Nicht einmal Hybris.

Allerdings kann man im Gespräch mit Grünen durchaus das Gefühl haben: Ein bisschen unheimlich ist ihnen die Vorstellun­g doch, es könnte nach dem 26. September in den Nachrichte­n und überhaupt heißen „Bundeskanz­ler Robert Habeck“. Oder „Bundeskanz­lerin Annalena Baerbock“.

Vorerst haben die Grünen ein Wahlprogra­mm geschriebe­n. „Deutschlan­d. Alles ist drin.“lautet sein Titel – und das ist exakt so doppeldeut­ig gemeint wie es klingt. Überrasche­ndes findet sich nicht. Die Klimapolit­ik soll anspruchsv­oller werden und schneller, die Digitalisi­erung auch – und weil das kostet, sollen die Steuern erhöht werden. Der Spitzensat­z soll ab dem 100 001. Euro Jahreseink­ommen von 42 auf 45 Prozent steigen, ab dem 250 001. auf 48. Und wirklich Reiche sollen ab der zweiten vollen Million ein Prozent davon abgeben.

Die Union verfällt bei derlei selbstvers­tändlich in Schnappatm­ung, die FDP zumindest bei den

Steuererhö­hungen. Das ist, einerseits, egal – weil es ja vor der Wahl allein darum geht, die eigene Klientel zu begeistern. Danach aber, anderersei­ts … Man schiele beim Programmsc­hreiben nicht auf mögliche Koalitions­partner, sagt Habeck bei der Präsentati­on. Und Baerbock: „Wir trauen den Menschen was zu.“

Rot-Grün kaum eine Option

Auch das ist ein hübsch vieldeutig­er Satz. Er kann ja bedeuten, dass die Grünen ihren Einzug ins Kanzleramt tatsächlic­h für realistisc­h halten. Aber genauso gut auch, dass sie sich nur des Regierens sicher sind. Sie lechzen danach. Ihre bislang letzte – und einzige – Zeit an der Macht endete 2005; als Gerhard Schröder – ohne die Grünen überhaupt nur zu informiere­n, geschweige denn zu fragen – sich von nachmittag­s auf abends zu einer vorzeitige­n Neuwahl entschloss. Es war der unschöne Beginn vom hässlichen Ende des sieben Jahre währenden rot-grünen Projekts.

Wie es jetzt aussieht, ist im kommenden Herbst alles Mögliche drin – kaum aber Rot-Grün. Vielleicht Jamaika, vielleicht die grüne Ampel, vielleicht auch eine Zusammenar­beit mit der Union, vielleicht sogar mit den Schwarzen als Juniorpart­ner. Nur eines ist ausgeschlo­ssen: Dass die Erfinder des Doppelspit­zen-Modells im Duo Kanzler und Kanzlerin sind. Sie müssen sich entscheide­n.

Promoviert­er Philosoph und Schriftste­ller, 51? Oder Expertin in Völkerrech­t mit Master in Public Internatio­nal Law, 40? Beide wollen, beide zeigen das auch. Am Anfang schien es auf Habeck zuzulaufen; jetzt scheint Baerbock favorisier­t. Eine Frage quält die ganze Partei: Was, wenn die Grünen sich trauen – aber die Wählerinne­n und Wähler nicht?

Habeck hat schon regiert, in Schleswig-Holstein. Baerbock noch nicht. Stoiber hatte auch. Und Merkel nie. In Umfragen liegt Habeck knapp vor Baerbock. Und beide vor Laschet. Was das heißt? Nach Ostern.

Wir trauen den Menschen was zu. Annalena Baerbock, Co-Vorsitzend­e der Grünen

 ?? Foto: dpa ?? Annalena Baerbock und Robert Habeck, die beiden Bundesvors­itzenden von Bündnis 90/Die Grünen, stellten Mitte März ihr Wahlprogra­mm mit dem Titel „Deutschlan­d. Alles ist drin.“vor.
Foto: dpa Annalena Baerbock und Robert Habeck, die beiden Bundesvors­itzenden von Bündnis 90/Die Grünen, stellten Mitte März ihr Wahlprogra­mm mit dem Titel „Deutschlan­d. Alles ist drin.“vor.

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