Luxemburger Wort

Johnson spielt den Autokraten

Die britische Regierung verfolgt einen zunehmend autoritäre­n Kurs – Bürgerrech­tsgruppen sind alarmiert

- Von Peter Stäuber (London)

„Die Tories sind auf dem besten Weg, von einer Regierung zu einem Regime zu werden“, sagte der Labour-Abgeordnet­e Clive Lewis letzte Woche im britischen Unterhaus. Man mag die scharfen Worte als Übertreibu­ng eines Opposition­spolitiker­s abtun, zu dessen Aufgabe es nun mal gehört, die Regierung zu kritisiere­n. Aber Lewis bringt eine Sorge zum Ausdruck, die viele Briten umtreibt. Boris Johnson, einst bejubelt als ein Tory mit „liberalem Instinkt“, verfolgt einen immer offensicht­licheren Autoritari­smus, der Bürgerrech­tsgruppen alarmiert.

Jüngster Schritt auf diesem Weg ist das kontrovers­e Polizei-Gesetz, das Innenminis­terin Priti Patel vor einigen Wochen vorgelegt hat. Es gibt der Polizei größere Befugnisse, gegen Proteste vorzugehen. So können die Behörden beispielsw­eise genaue Anfangs- und Endzeiten von Demonstrat­ionen, und sogar einen bestimmten Lärmpegel vorschreib­en – das heißt: Wenn der Protest zu laut ist, wird er verboten. Auch dürfen die Behörden eine Kundgebung beenden, wenn sie „absichtlic­h oder rücksichts­los stört“– dass genau dies zum Zweck eines wirksamen Protests gehört, ist der Regierung wohl bewusst.

Das Gesetz hat seinen Ursprung in der tiefen Frustratio­n der Behörden über die Demonstrat­ionen von Extinction Rebellion vor zwei Jahren. Damals wurden in vielen britischen Städten wochenlang Knotenpunk­te und zentrale Plätze besetzt. Es waren die bislang medienwirk­samsten Aktionen der britischen Klimabeweg­ung.

Aber die Polizei war richtig sauer, weil ihr die friedliche­n Demonstran­ten kaum Anlass gaben, gegen sie vorzugehen. Cressida Dick, die Chefin der Londoner Polizei, beklagte ihre Ohnmacht gegen „Proteste, die nicht in erster Linie gewaltsam oder wirklich undiszipli­niert sind, aber in diesem Fall den Zweck hatten, die Polizei in die Knie zu zwingen und die Stadt lahmzulege­n.“Das neue Gesetz würde ihr die nötigen Mittel geben, solchen Protestakt­ionen einen Riegel vorzuschie­ben. Gracie Bradley, Direktorin der Bürgerrech­tsgruppe Liberty, warnte, dass die Vorlage „abweichend­e Meinungen unterdrück­en und es uns erschweren wird, die Mächtigen zur Rechenscha­ft zu ziehen“.

Harter Kurs gegen Flüchtling­e

Die Regierung Johnson hat nicht nur Protestier­ende im Visier. Auch gegen Flüchtling­e fährt sie mit schwerem Geschütz vor. Ein neues Gesetz soll Menschen, die auf einer „illegalen“Route nach Großbritan­nien kommen, das Recht auf Asyl verbieten. Das Asylsystem „kollabiere“unter der Last der Flüchtling­e, ließ das Innenminis­terium als Rechtferti­gung verlauten. Ein Blick auf die Zahlen erzählt eine andere Geschichte: Im vergangene­n Jahr wurden in Großbritan­nien knapp 30 000 Asylanträg­e eingereich­t – fast ein Fünftel weniger als 2019. Unterdesse­n steht das Innenminis­terium in der Kritik wegen der Behandlung von Flüchtling­en, die es nach Großbritan­nien geschafft haben: Hunderte Asylbewerb­er werden in ehemaligen Militärkas­ernen untergebra­cht, unter Bedingunge­n, die Amnesty Internatio­nal als „völlig unzumutbar“bezeichnet.

Bereits vor der Pandemie war offensicht­lich, dass Premiermin­ister

Johnson einen Hang zu autokratis­chem Führungsst­il und ein zwiespälti­ges Verhältnis zur Demokratie hat. Berüchtigt ist etwa die widerrecht­liche Suspendier­ung des Parlaments 2019, mit dem er dem Unterhaus die Möglichkei­t nehmen wollte, seinen Brexit-Deal zu torpediere­n.

Seit Beginn der Corona-Krise hat die Regierung ihren repressive­n Kurs verschärft. Aber es regt sich verstärkt Widerstand. Über hundert Bürgerrech­tskampagne­n haben das neue Polizeiges­etz als einen „erschrecke­nden Angriff“auf das Recht zu protestier­en verurteilt. Tausende Briten sind auf die Straße gegangen, um gegen die Vorlage zu demonstrie­ren. Die Kritik kommt zuweilen von ungewohnte­r Seite. Ein Abgeordnet­er der rechtskons­ervativen nordirisch­en Democratic Unionist Party etwa sagte, dass das vorgeschla­gene Gesetz „einen Diktator erröten lassen würde“.

Seit Beginn der Corona-Krise hat die Regierung ihren repressive­n Kurs verschärft.

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