Johnson spielt den Autokraten
Die britische Regierung verfolgt einen zunehmend autoritären Kurs – Bürgerrechtsgruppen sind alarmiert
„Die Tories sind auf dem besten Weg, von einer Regierung zu einem Regime zu werden“, sagte der Labour-Abgeordnete Clive Lewis letzte Woche im britischen Unterhaus. Man mag die scharfen Worte als Übertreibung eines Oppositionspolitikers abtun, zu dessen Aufgabe es nun mal gehört, die Regierung zu kritisieren. Aber Lewis bringt eine Sorge zum Ausdruck, die viele Briten umtreibt. Boris Johnson, einst bejubelt als ein Tory mit „liberalem Instinkt“, verfolgt einen immer offensichtlicheren Autoritarismus, der Bürgerrechtsgruppen alarmiert.
Jüngster Schritt auf diesem Weg ist das kontroverse Polizei-Gesetz, das Innenministerin Priti Patel vor einigen Wochen vorgelegt hat. Es gibt der Polizei größere Befugnisse, gegen Proteste vorzugehen. So können die Behörden beispielsweise genaue Anfangs- und Endzeiten von Demonstrationen, und sogar einen bestimmten Lärmpegel vorschreiben – das heißt: Wenn der Protest zu laut ist, wird er verboten. Auch dürfen die Behörden eine Kundgebung beenden, wenn sie „absichtlich oder rücksichtslos stört“– dass genau dies zum Zweck eines wirksamen Protests gehört, ist der Regierung wohl bewusst.
Das Gesetz hat seinen Ursprung in der tiefen Frustration der Behörden über die Demonstrationen von Extinction Rebellion vor zwei Jahren. Damals wurden in vielen britischen Städten wochenlang Knotenpunkte und zentrale Plätze besetzt. Es waren die bislang medienwirksamsten Aktionen der britischen Klimabewegung.
Aber die Polizei war richtig sauer, weil ihr die friedlichen Demonstranten kaum Anlass gaben, gegen sie vorzugehen. Cressida Dick, die Chefin der Londoner Polizei, beklagte ihre Ohnmacht gegen „Proteste, die nicht in erster Linie gewaltsam oder wirklich undiszipliniert sind, aber in diesem Fall den Zweck hatten, die Polizei in die Knie zu zwingen und die Stadt lahmzulegen.“Das neue Gesetz würde ihr die nötigen Mittel geben, solchen Protestaktionen einen Riegel vorzuschieben. Gracie Bradley, Direktorin der Bürgerrechtsgruppe Liberty, warnte, dass die Vorlage „abweichende Meinungen unterdrücken und es uns erschweren wird, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen“.
Harter Kurs gegen Flüchtlinge
Die Regierung Johnson hat nicht nur Protestierende im Visier. Auch gegen Flüchtlinge fährt sie mit schwerem Geschütz vor. Ein neues Gesetz soll Menschen, die auf einer „illegalen“Route nach Großbritannien kommen, das Recht auf Asyl verbieten. Das Asylsystem „kollabiere“unter der Last der Flüchtlinge, ließ das Innenministerium als Rechtfertigung verlauten. Ein Blick auf die Zahlen erzählt eine andere Geschichte: Im vergangenen Jahr wurden in Großbritannien knapp 30 000 Asylanträge eingereicht – fast ein Fünftel weniger als 2019. Unterdessen steht das Innenministerium in der Kritik wegen der Behandlung von Flüchtlingen, die es nach Großbritannien geschafft haben: Hunderte Asylbewerber werden in ehemaligen Militärkasernen untergebracht, unter Bedingungen, die Amnesty International als „völlig unzumutbar“bezeichnet.
Bereits vor der Pandemie war offensichtlich, dass Premierminister
Johnson einen Hang zu autokratischem Führungsstil und ein zwiespältiges Verhältnis zur Demokratie hat. Berüchtigt ist etwa die widerrechtliche Suspendierung des Parlaments 2019, mit dem er dem Unterhaus die Möglichkeit nehmen wollte, seinen Brexit-Deal zu torpedieren.
Seit Beginn der Corona-Krise hat die Regierung ihren repressiven Kurs verschärft. Aber es regt sich verstärkt Widerstand. Über hundert Bürgerrechtskampagnen haben das neue Polizeigesetz als einen „erschreckenden Angriff“auf das Recht zu protestieren verurteilt. Tausende Briten sind auf die Straße gegangen, um gegen die Vorlage zu demonstrieren. Die Kritik kommt zuweilen von ungewohnter Seite. Ein Abgeordneter der rechtskonservativen nordirischen Democratic Unionist Party etwa sagte, dass das vorgeschlagene Gesetz „einen Diktator erröten lassen würde“.
Seit Beginn der Corona-Krise hat die Regierung ihren repressiven Kurs verschärft.