Die Reportage
Die graugrünen Blicke unter Alinas rotblonden Haarfransen sind sehr lebendig. „Ja, das ist eine Nebenwirkung“, erklärt sie die Blässe ihres Gesichts. „Aber dass die Haut heller wird, soll medizinisch ein gutes Zeichen sein.“
Im Frühjahr 2020 entdeckte Alina unter der Achsel eine erbsengroße Verdickung, im Juni ging sie wieder ins Krebszentrum, das Geschwulst wurde entfernt. Diesmal lautete die Diagnose: Hautkrebs im vierten Stadium.
Ärzten mangelt es an Kompetenz Man sieht Alina Golovko, 33, nicht an, dass sie um ihr Leben kämpft. Sie ist eine von knapp 140 000 ukrainischen Krebs-Diagnosen jährlich, laut dem TV-Sender TSN enden 80 000 tödlich. Zum Vergleich: An Covid-19, der auch in Osteuropa allen Krankheiten die Show stiehlt, starben bislang knapp 29 000 Ukrainer. Hautkrebszellen sind aggressiver als Corona-Viren, die Metastasen wuchern schon in Alinas Lungen. Sie aber muss wie ungezählte postsowjetische Krebspatienten gegen den Tod anbetteln.
Viele Frauen mieden Vorsorgeuntersuchungen aus Angst, von einer Krankheit zu erfahren, deren Heilung sie nicht bezahlen können, erzählt Nina Resnitschenko, Leiterin der Initiative „Athena. Frauen gegen Krebs.“Zudem mangele es zahlreichen Ärzten an Kompetenz.
Im Juni 2020 entdeckte Alina auf ihrer Patientenkarte einen Eintrag: Man habe ihr nach der Beseitigung ihres Leberflecks 2017 telefonisch mitgeteilt, das sei Hautkrebs, sie aber verzichtete angeblich auf jede Behandlung. „So ein Gespräch hat es nicht gegeben“, sagt Alina. „Aber wie beweise ich, dass ich diese Worte am Telefon nie gehört habe?“
Bei Alina Golovko wurde der Hautkrebs nicht korrekt diagnostiziert.
Noch klaffen große schwarze Löcher in der medizinischen Versorgung. Alina ist in eines davon geraten.
Durch die Krebsdiagnose geriet die junge Frau ein paar Wochen lang in schlimme Depressionen. Es war ihre Schwester Natalja, die im Internet eine neue Immuntherapie fand und Alina Mut zusprach.
Im Februar wurde in der Ukraine eine neue nationale Strategie zur Krebsbekämpfung veröffentlicht, die mehr Ausgaben für die Patienten vorsieht. 2021 will man umgerechnet 165 Millionen Euro in Früherkennung und Heilung stecken. Resnitschenkos Mitstreiterin Viktoria Romanjuk bestätigt, die Zahl der Medikamente, die der Staat kostenlos zur Verfügung stellt, sei gestiegen. Auch weil es nach der Maidan-Revolution gelang, die Korruption beim Arzneimitteleinkauf
zum Großteil auszumerzen – unter dem Druck der Patienteninitiativen. „Aber unser Hauptproblem“, sagt Viktoria, „ist noch immer die mangelhafte Finanzierung.“Athena fordert, dass mindestens fünf Prozent des Staatshaushaltes für Gesundheit ausgegeben werden. Bisher vergeblich.
Noch klaffen große schwarze Löcher in der medizinischen Versorgung. Alina ist in eines davon geraten. Man hat ihr das amerikanische Immunpräparat Keytruda verschrieben, sie erzählt froh, es helfe. Aber in der Ukraine kostet eine Dosis Keytruda 4 200 Dollar, und der Staat schießt keinen Groschen zu. Alina kauft inzwischen