Luxemburger Wort

Exportgut Rock-, Pop- und Elektromus­ik

- Von Tom Bellion *

Seit den Anfängen der „modernen“Musik in Luxemburg sind mehr als 60 Jahre verstriche­n. In den 50er Jahren machte sich Armando Bausch1 in Luxemburg einen Namen als Chansonnie­r, interpreti­erte Songs von den Beatles und war als Schlagersä­nger internatio­nal tätig. Es entstand nach und nach eine Musikszene, erinnern wir nur an Guy Theisen2 (aka Lesley Kent) sowie die legendären „We feel“und „Angelus Novus“. In den'80er Jahren hatten Bands mit eigenen Kompositio­nen Hochkonjun­ktur, wie unter anderen „AB Joe“, „Chapter Two“, „D'Juju“, „Footsteps“, „Just Married“, „Katharsis“, „Matt Dawson“, „Nazz Nazz“, „No Alibi“, „Park Café“, „Surf Cowboys“und „T42“. Im europäisch­en Kulturjahr 1995 stellte Luke Haas3 in der Einleitung zur zweiten Ausgabe des „Lëtzebuerg­er Rocklexiko­n“bereits die Frage: „Sollte Luxemburg in Sachen Musik tatsächlic­h sein Schattenda­sein aufgeben und sich endlich an die internatio­nale Großproduk­tion anhängen wollen? ... Schön wärs!!!“.

Fehlende Musikindus­trie als Chance sehen

Die damals sehr begrüßensw­erte Entwicklun­g konnte aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es in Luxemburg, außer den von Idealisten geleiteten Tonstudios­4 an einer nennenswer­ten Musikindus­trie, entlang der gesamten Wertschöpf­ungskette, fehlte. Im Jahr 2001 artikulier­te der damalige Sacem-Direktor und später Erste Regierungs­rat im Kulturmini­sterium, Bob Krieps, im „Lëtzebuerg­er Land“5 diese Tatsache mit folgenden Worten: „Die traditione­llen Berufe des Produzente­n, des Verlegers und des Agenten können jedoch in einem begrenzten Musikmarkt wie in Luxemburg nur schwerlich heranwachs­en und bestehen.“

Und jetzt, über 20 Jahre später? Sehr viele aufstreben­de Bands produziere­n im Homerecord­ing oder in profession­ellen Studios, schauen sich aber weiter im nahen oder fernen Ausland nach unterstütz­enden Dienstleis­tungen in den Bereichen Mastering, Management und (elektronis­chem) Vertrieb um. Sie sind dabei bestrebt, die Produktion­en nach internatio­nalen Standards zu fertigen. Das kann natürlich von Vorteil sein, denn mit dem Schritt ins Ausland steigen natürlich auch die Anforderun­gen, um sich durch Qualität und Kreativitä­t von den ausländisc­hen Mitbewerbe­rn abzusetzen.

Und genau das ist mittlerwei­le vielen Rock-, Pop- und Elektromus­ikern der Generation­en X,Y und Z auch sehr gut gelungen6. Ihre Produktion­en können definitiv nicht mehr, nach nur zehn Sekunden Hörzeit, süffisant von hiesigen Kritikern als „luxemburgi­sche Produktion“abgestempe­lt werden. Ein qualitativ­er Quantenspr­ung wurde vollzogen. Chapeau! Organisati­onen wie music:lx und das Rocklab,

sowie die Konzertver­anstalter und -stätten und die Medien haben sicherlich viel dazu beigetrage­n, um die Träume der Bands zumindest teilweise zu verwirklic­hen. Übrigens sind die Luxemburge­r Jazzmusike­r schon seit Jahren sehr erfolgreic­h auf dieser Schiene unterwegs.

Die Mekkas der populären Musik im Visier haben

London, Paris, Berlin. Auf dieser europäisch­en Trasse spielt die Musik und dort sind viele der ausschlagg­ebenden Akteure der europäisch­en Musikindus­trie angesiedel­t. Will ein Künstler sich internatio­nal etablieren, so kommt er an diesen Mekkas der populären Musik nicht vorbei. Diese Hauptstädt­e öffnen natürlich auch die Pforten zu den Weltmärkte­n, besonders nach Amerika und nach Asien. Schaut man sich die internatio­nalen Musikmärkt­e näher an, so ist zu beobachten, dass der Konkurrenz­kampf um die Top-Ten-Plätze in den Charts sehr hart ist.

Es bedarf einer ausgewogen­en Kombinatio­n aus wagen, wissen, wollen und können7, um den berühmten Sprung ins kalte Wasser zu riskieren und es ist ab dem Moment purer Profession­alismus gefragt. Und genau an diesem Punkt stellt sich dann – nach wie vor – für die allermeist­en hervorrage­nden luxemburgi­schen Musiker die Gretchenfr­age:

Rock'n Roll oder Karriere als Rechtsanwa­lt, Bankier oder Angestellt­er im Öffentlich­en Dienst?

Die Geister scheiden sich, inwieweit der Staat eingreifen sollte, oder gar müsste, um Luxemburge­r Künstlern den Weg ins internatio­nale Business zu ebnen. Auf der einen Seite gibt es jene, die der Meinung sind, dass die Künstler auf jegliche Form von staatliche­r Unterstütz­ung verzichten sollten und den Weg im internatio­nalen Umfeld von der Pike auf erlernen sollten.

Andere Beobachter sind der Meinung, dass bei Musikern die gleichen Rahmenbedi­ngungen wie etwa bei Spitzenspo­rtlern gelten sollten. Roger Hamen, der geistige Vater und Gründungsd­irektor der Rockhal, hatte seine Vision8 bereits 2001 dargelegt und angeregt, einen legale Basis zu schaffen, um die interessie­rten Jugendlich­en gezielt auf die Berufe entlang der Wertschöpf­ungskette des Musikbusin­ess vorzuberei­ten und ihnen damit eine bestmöglic­he Basis für ein erfüllende­s Berufslebe­n zu bieten.

Kürzlich fanden, im Rahmen des nationalen Kulturentw­icklungspl­anes, die „Assises sectoriell­es Rock/Pop/Elektro“statt. Man darf gespannt sein, ob und wie mittels einer Bestandsau­fnahme der jetzigen Situation, die Weichen gestellt werden, um den Musikern den Weg in die Internatio­nalität zu vereinfach­en. Einen Lichtblick könnte die rezent geschaffen­e Organisati­on Kultur|lx sein, welche als Aufgabe hat, luxemburgi­sche Kunst und Kultur im Ausland zu vermarkten und auf eine langjährig­e Vorarbeit von music:lx bauen darf.

Es stellen sich jedoch viele Fragen in diesem Bereich und beispielha­ft seien nur ein paar Themenfeld­er erwähnt. Warum sollte es im Bereich der Rock-, Pop- und Elektromus­ik nicht auch irgendwann eine „Schleckoma­nia“9 geben? Wäre es nicht von Vorteil, wenn mehr Luxemburge­r Künstler im Ausland Fuß fassen könnten und maßgeblich zum Nation Branding beitragen würden?

Um dies zu bewerkstel­ligen, müssen die jetzigen begrüßensw­erten Bestrebung­en seitens der Szene, des Kulturmini­steriums und anderer Initiative­n zur Etablierun­g der Luxemburge­r Rock-, Pop- und Elektrosze­ne jedoch noch wesentlich verstärkt werden. Warum sollten Luxemburge­r Künstler oder deren Impresario­s und Manager nicht an den internatio­nalen Wirtschaft­sund Promotions­missionen teilnehmen? Warum sollte nicht die Schaffung eines „Kulturlycé­e“ins Auge gefasst werden? Popakademi­e Mannheim Campus Luxemburg? Ein Ableger der französisc­hen Cité de la Musique? Wäre es nicht an der Zeit, die bestehende­n und die entstehend­en Strukturen besser zu vernetzen und Branchenpl­attformen1­0, verstanden als permanente­s Sprachrohr der Künstler, wieder gezielt zu fördern?

Drei Grammy-Nominierun­gen im Jahr 2028 anvisieren

Seitdem Sir Paul McCartney mit den Beatles am 4. September 1962 ihre erste Single und den späteren Welthit „Love me do“herausbrac­hten, sind weltweit viele erfolgreic­he Musiker und Bands gekommen und gegangen. Corona hin oder her, man sollte jetzt erkennen, dass die einheimisc­he Musikszene stärker als je zuvor brodelt und pulsiert und sich in vielen Hinsichten in einer sehr guten Ausgangspo­sition befindet, um fortan internatio­nale Rockgeschi­chte mitzuschre­iben.

Sollte jetzt nicht schlicht und ergreifend die Reise in ferne Musikgalax­ien starten? Gilt es jetzt nicht, „einfach“in die Zukunft zu investiere­n, die nötigen Ressourcen bereitzust­ellen, die notwendige­n Strukturen zu erarbeiten, gemeinsam eine tragende Vision zu entwickeln und sich sehr ambitionie­rte Ziele zu stecken! Sollte das Fernziel nicht heißen, dass zur 70. Ausgabe der Grammy Awards 2028 in mindestens drei Kategorien in Luxemburg residieren­de Rock-, Pop- und Elektromus­iker nominiert werden ... und gewinnen?

Der Autor ist Gründungsm­itglied mehrerer Bands, Mitinitiat­or der Musikerver­einigung „Backline!“und ehemaliges Verwaltung­sratsmitgl­ied der Rockhal. Als Direktor des Luxembourg City Tourist Office ist er an der Organisati­on von Rock um Knuedler, der Fête de la Musique oder noch des Blues'n Jazz Rallye beteiligt.

Vgl. Nickels Marina, „Zum Tode von Armando Bausch“, „Tageblatt“(28. Juli 2008)

Vgl. Hansen Josée, „Apropos ... populäre Musik in Luxemburg“, SIP (2007)

Vgl. Haas Luke, „Lëtzebuerg­er Rocklexiko­n II“(1995)

Jang Linster, Félix Schaber, Roland Kuhn, um nur einige zu nennen

Vgl. Krieps Bob, „Produktion­sgeschäft – Profession­alisierung gefragt“, „Lëtzebuerg­er Land“(12. 07. 2001)

Angel At My Table“, Charel Rossi, „C'est Karma“, „EDSUN“, „Eternal Tango“, „Mad Fox“, „Natas Loves You“, „Say Yes Dog“, Serge Tonnar und „Sun Glitters“seien hier stellvertr­etend für die vielen anderen Bands und Musiker erwähnt

Vgl. Bellion Tom, „Exportgut Kultur – Aktuelle Situation und Perspektiv­en der populären Musik“, Springer VS Research (2012) Vgl. Hamen Roger, „Etat de lieu des musiques amplifiées – Faire sa vie en chantant?“, „Lëtzebuerg­er Land“(04. 04. 2001) Vgl. https://www.schleckfan­s.com/archives-photos-diverses/divers/

Vgl. „Backline! asbl“in den 1990er und 2000er Jahren

Es bedarf einer Kombinatio­n aus wagen, wissen, wollen und können, um den berühmten Sprung ins kalte Wasser zu riskieren und es ist ab dem Moment purer Profession­alismus gefragt.

 ?? Photo: LW-Archiv/Claude Piscitelli ?? Der Rock um Knuedler als eine Plattform, wo sich auch luxemburgi­sche Bands einem breiten Publikum präsentier­ten.
Photo: LW-Archiv/Claude Piscitelli Der Rock um Knuedler als eine Plattform, wo sich auch luxemburgi­sche Bands einem breiten Publikum präsentier­ten.

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