Unruhestifter im Unruhestand
Der peruanische Literaturnobelpreisträger Vargas Llosa wird 85 Jahre und schreibt immer weiter
Es war ein ungleiches Zusammentreffen, damals auf dem größten Literaturfest Lateinamerikas. Zur Eröffnung der Internationalen Buchmesse im mexikanischen Guadalajara 2011 erzählten Herta Müller und Mario Vargas Llosa vor 1600 Zuschauern, was sie zur Literatur brachte. Der Peruaner, damals schon 75 und ein schriftstellerischer Flaneur durch die Geschichte Lateinamerikas sowie der Weltliteratur, ein ergrauter und hoch dekorierter Kosmopolit. Trotz seines Alters wirkte er fast noch jugendlich, jovial und genoss die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Daneben Herta Müller, verschüchtert und verhärmt.
Aber noch immer ist der Peruaner ein rastloser Schreiber – gerade wegen des Nobelpreises 2010. „Die Auszeichnung führt oft dazu, Schriftsteller lebendig zu begraben“, sagte Vargas Llosa vor einem guten Jahr. „Ich habe mich bemüht, dass es bei mir anders ist und auch seither noch viel publiziert“. In den fast 60 Jahren seines Schaffens hat der Autor 60 Bücher geschrieben. Zuletzt erschien vor einem Jahr der Roman „Harte Jahre“über den Putsch in Guatemala 1954, gefördert von der CIA und der United Fruit Company. Wie auch bei seinem Werk über den dominikanischen Diktator Rafael Trujillo „Das Fest des Ziegenbocks“(2000, dt. 2001) verbindet Vargas Llosa in „Harte Jahre“gefühlvoll und gekonnt politische Geschichte Lateinamerikas mit Fiktion.
Pendler zwischen Welten und Genres
Der Peruaner ist nicht nur ein Pendler zwischen den Welten, er ist auch ein Pendler zwischen den Genres, ein Großschriftsteller im umfassenden Sinne. Er verfasste historisch politische Romane, erotische Komödien, versuchte sich an Krimis und Reiseberichten. Weltbekannt aber wurde er mit seinen Panoramaromanen wie „Die Stadt und die Hunde“(dt. 1966) oder „Gespräch in der Kathedrale“(dt. 1976). Mit diesen Frühwerken mitbegründete er den weltweiten Erfolg der Literatur Lateinamerikas. Seinerzeit waren Schreiben und Lesen auf dem von Armut und Ungleichheit gezeichneten amerikanischen Subkontinent etwas aus einer anderen Welt. „Literatur war damals eine marginale Aktivität mit sehr wenigen Autoren, außer in Argentinien und Mexiko”, sagte Vargas Llosa einmal. „Literatur hatte keine soziale Funktion”.
Aber gemeinsam mit dem Kolumbianer García Márquez, dem Chilenen José Donoso, Carlos Fuentes aus Mexiko und Julio Cortázar aus Argentinien änderte er das. Gemeinsam schufen sie den „lateinamerikanischen Boom“. In ihren Werken beschrieben die Autoren die sozialen Ungerechtigkeiten in den Ländern, prangerten sie an und trugen die Geschichte und Geschichten dieser faszinierenden Region in die Welt. Alle Vertreter dieser ersten Boom-Generation sind bis auf den Peruaner bereits lange tot.
Vor allem in den jüngeren Jahren hat sich Vargas Llosa einen Namen auch als Essayist und Kommentator der Zeitläufte gemacht. Manchmal findet seine Kolumne „Piedra de Toque“(etwa: „Prüfstein“) in der spanischen Zeitung „El País“mehr Leser als seine Literatur. Als Kolumnist aber hat er sich zu einem harten und meist undifferenzierten Kritiker alles Linken gewandelt.
Dabei begann Vargas Llosa wie fast alle seine Kollegen weit links. Als positive Referenz diente auch ihm die kubanische Revolution von 1959. Heute aber steht er konservativen bis ultrarechten Politikern nah, so etwa den Ex-Präsidenten Mauricio Macri (Argentinien) und Álvaro Uribe (Kolumbien). Den linken Staatschef Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, geißelt er hingegen als einen finsteren Populisten.
Seine Freundschaft zu García Márquez beendete Vargas Llosa bereits 1976 mit einem legendären Faustschlag auf das Auge des Kolumbianers. Gerüchteweise zerbrach die Verbindung der beiden Literaten am Disput über eine Frau, ganz sicher aber an der Haltung zu Kubas Revolutionsführer Fidel Castro, mit dem Vargas Llosa früh, aber García Márquez nie brach.
Wie der Jubilar seinen runden Geburtstag feiert, ist nicht bekannt. Aber eines ist sicher. Er wird auch danach weiter schreiben. 1990 schon sagte er in einem Interview mit dem New Yorker Literaturmagazin „The Paris Review“: „Wenn ich nicht schreiben könnte, würde ich mir das Hirn wegpusten“.