Luxemburger Wort

Ein Tropfen auf den heißen Stein

EU investiert 276 Millionen Euro in neue Camps auf griechisch­en Inseln – der Bau eines Flüchtling­slagers auf Lesbos verzögert sich

- Von Gerd Höhler (Athen)

Die Bewohner des provisoris­chen Flüchtling­slagers Mavrovouni auf der griechisch­en Insel Lesbos werden länger als geplant in ihren Zelten ausharren müssen. Der Bau eines neuen Camps mit festen Container-Wohneinhei­ten auf der Insel verzögert sich. Das bestätigte­n die EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johannson und der griechisch­e Migrations­minister Notis Mitarakis gestern bei einem gemeinsame­n Besuch auf Lesbos. Ursprüngli­ch hatte Mitarakis die Fertigstel­lung des neuen Camps und die Schließung des bestehende­n Zeltlagers für den Herbst angekündig­t.

Dieser Termin ist nicht mehr zu halten. Mitarakis begründete die Verspätung mit der komplexen Planung und der Abstimmung mit der EU, die das Camp finanziert. Einen konkreten Termin für die Fertigstel­lung nannte Mitarakis nicht. Er hoffe aber, dass die Bewohner von Mavrovouni nicht einen weiteren Winter in den Zelten verbringen müssen, sagte Mitarakis. Auch EU-Kommissari­n Johannson sagte, man wolle einen weiteren Winter vor dem Umzug „vermeiden“. In dem Zeltlager, das nach dem Brand im berüchtigt­en Camp Moria im September 2020 gebaut wurde, leben derzeit etwa 6 500 Menschen.

Die EU stellt für den Bau neuer, „menschenwü­rdiger“Lager auf fünf griechisch­en Ägäisinsel­n insgesamt 276 Millionen Euro bereit, sagte Kommissari­n Johannson. Die Camps auf Kos, Leros und Samos sind bereits im Bau und sollen „innerhalb von drei Monaten“bezugsfert­ig sein. In den neuen Lagern sollen Schutzsuch­ende bis zur Entscheidu­ng über ihre Asylanträg­e und abgelehnte Asylbewerb­er bis zu ihrer Abschiebun­g untergebra­cht werden. Mitarakis will die Asylverfah­ren beschleuni­gen. Er appelliert­e an die Türkei, abgelehnte Bewerber zurückzune­hmen, wie sie es in der Flüchtling­svereinbar­ung mit der EU zugesagt hat. Konkret geht es um 1 450 Migranten, die Griechenla­nd zurückschi­cken will.

Gestern Morgen besuchten Mitarakis und Johannson auch die Insel Samos. Dort leben Tausende Migranten in einem Elendslage­r am Rand der Inselhaupt­stadt Vathy. Auf Samos baut die Regierung ein neues Lager für etwa 3 000 Menschen. Migrations­minister Mitarakis kündigte an, das bestehende Camp Vathy werde im Sommer 2021 endgültig geschlosse­n. Es gilt heute als das Lager mit den schlimmste­n Lebensbedi­ngungen.

Das Camp ist für 648 Menschen ausgelegt, beherbergt aber aktuell 3 179 Migranten. Die meisten leben in kleinen Campingzel­ten oder Hütten, die sie selbst aus Holzlatten, Pappe und Plastikpla­nen gezimmert haben. Es fehlt an Waschgeleg­enheiten und Toiletten.

Zahl der Migranten rückläufig

Die Überfüllun­g ist allerdings weniger extrem als noch vor einem Jahr. Damals lebten auf dem Gelände noch fast 7 200 Menschen. Generell ist die Zahl der Migranten

auf den griechisch­en Inseln seit Ende März 2020 deutlich zurückgega­ngen. Vor einem Jahr lebten nach offizielle­n Zahlen auf den Inseln 40 517 Schutzsuch­ende. Heute sind es noch 13 851.

Die Regierung hat in den vergangene­n zwölf Monaten fast 31 500 besonders Schutzbedü­rftige – Familien mit kleinen Kindern, Kranke und Alte – von den Inseln in bessere Unterkünft­e auf dem Festland gebracht. 3 300 wurden in andere EU-Staaten umgesiedel­t, die meisten nach Deutschlan­d. Außerdem sind 2 500 Migranten im vergangene­n Jahr freiwillig in ihre Herkunftsl­änder zurückgeke­hrt. Weitere 3 500 wurden dorthin abgeschobe­n. Zudem ist die Zahl der neu ankommende­n Migranten von der türkischen Küste gegenüber dem Vorjahr um rund 90 Prozent zurückgega­ngen. Die griechisch­en Behörden führen das vor allem auf die verstärkte Überwachun­g der Seegrenze zurück.

Griechenla­nd steht allerdings wegen angebliche­r, sogenannte­r Pushbacks, des völkerrech­tswidrigen Abdrängens von Flüchtling­sbooten, bei Menschenre­chtsorgani­sationen in der Kritik. Auch das UN-Flüchtling­shilfswerk kritisiert dieses Vorgehen. Nach einem Bericht des „Spiegel“wurden seit Jahresbegi­nn „mehrere hundert“solcher Fälle registrier­t.

Migrations­minister Mitarakis bezeichnet­e vor der Presse die Berichte über Pushbacks als „Fake News“. Sie würden von den Menschensc­hmugglern in Umlauf gebracht, die ihr Geschäftsm­odell durch die Grenzkontr­ollen bedroht sehen. Man gehe den Vorwürfen nach, es gebe aber bisher keinen Fall, in dem Verletzung­en des Völkerrech­ts festgestel­lt worden seien. Johannson äußerte sich skeptische­r: „Griechenla­nd kann mehr tun, um die Vorwürfe aufzukläre­n.“

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Foto: AFP Auf der Insel Lesbos demonstrie­rten gestern Einwohner gegen den Bau eines neuen Flüchtling­slagers.

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