Luxemburger Wort

„Wir, die PiS-Wähler“

Polens Regierungs­partei kann kein Skandal mehr etwas anhaben

- Von Gabriele Lesser (Warschau)

Der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei Polens „Recht und Gerechtigk­eit“(PiS) scheint das Wasser bis zum Hals zu stehen: ein Skandal jagt den anderen – Korruption, Vetternwir­tschaft, Betrug. Nun kommt auch noch ein Abhörskand­al rund um den Chef des staatlich kontrollie­rten Mineralölk­onzerns Orlen, Daniel Obajtek, hinzu. Zudem tauchen jeden Tag neue Vorwürfe gegen ihn auf: Obajtek soll als Dorfschulz­e (Bürgermeis­ter) des südpolnisc­hen Pcim in den Jahren 2006 bis 2015 nicht nur nebenbei – und illegal – eine große Firma gemanagt und mit dem Chef einer Gruppe organisier­ter Kriminalit­ät gemeinsame Sache gemacht haben. Er soll auch ein Vermögen in Millionenh­öhe angehäuft haben.

Der Vorsitzend­e der Bürgerplat­tform (PO) Borys Budka aber, immerhin Chef der größten Opposition­spartei im polnischen Parlament, zuckt nur hilflos mit den Achseln. In einem großen Interview mit der linksliber­alen „Gazeta Wyborcza“blamierte er sich bis auf die Knochen mit Sätzen wie „Ja, was können wir tun? Wie können wir daraus Nutzen ziehen?“Die Wähler der PO sind fassungslo­s, und die PiS hat wieder Oberwasser.

Konstant hohe Zustimmung­srate Viele Beobachter der politische­n Szene fragen sich irritiert: „Wieso machen die vielen Skandale auf die PiS-Wähler so gar keinen Eindruck? Wieso bleibt die Zustimmung­srate auf dem hohen Niveau von 35 bis 40 Prozent?“Immerhin war die liberale Vorgängerr­egierung unter Donald Tusk und später Ewa Kopacz (PO) nach der Abhöroder „Kellner“-Affäre im Jahr 2015 abgewählt worden. Damals empörten sich alle über die ordinäre Ausdrucksw­eise der PO-Politiker

beim Lunch auf Staatskost­en in zwei Luxusresta­urants.

Doch Obajtek flucht in den abgehörten Telefonate­n dermaßen vulgär, dass seine Verteidige­r sich genötigt sahen, dafür das „Tourette-Syndrom“verantwort­lich zu machen. Angeblich leide Obajtek an einem „Tick“, der ihn zwangsweis­e Flüche und Schimpfwör­ter ausstoßen lasse. Erstaunlic­h nur, dass ein Mann, der in einem zweistündi­gen Telefonat 253 Mal „Hure“und 55 Mal „Schwanz“schimpfen muss, der 42 Mal „auf etwas scheißen“und 36 Mal eine Frau „ficken“muss, es bis in die Chefetage des größten Konzerns Polens schaffen konnte.

Einer von uns

Vor Jahren galt es als Skandal, dass ein PO-Minister bei seiner öffentlich­en Vermögense­rklärung vergessen hatte, eine teure Uhr anzugeben. Heute hingegen löst die beachtlich­e Vermögensa­nreicherun­g des Dorfschulz­en von Pcim, die Anklage wegen Betrug und Bestechung, die – nachdem Obajtek der PiS beigetrete­n war – von der PiSStaatsa­nwaltschaf­t fallengela­ssen wurde, kaum ein Stirnrunze­ln bei den PiS-Wählern aus.

Eine plausible Erklärung für dieses Phänomen schlägt der Chef des Warschauer Instituts für öffentlich­e Angelegenh­eiten Jacek Kucharczyk vor. Der PiS, so der Soziologe, sei es über die Jahre gelungen, der eigenen Wählerscha­ft ein starkes „Wir“-Gefühl zu vermitteln. Die meisten PiS-Wähler würden nicht mehr darüber nachdenken, wem sie ihre Stimme geben sollten, da die Wahl der PiS für sie so offensicht­lich sei wie das Gefühl, ein Pole oder eine Polin zu sein. „Selbst wenn sie hören, dass der Liebling von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski und Kandidat für das Amt des Ministerpr­äsidenten betrügt, die Staatskass­e bestiehlt und obendrein noch flucht, können sie es akzeptiere­n, denn er ist 'einer von uns'. So mag Obajtek ein Schurke sein, aber er ist unser Schurke.“

Zahnlose Opposition

So hätten sich die PiS-Wähler im Falle des Abhörskand­als von Außenminis­ter Sikorski vor 2015 weniger daran gestört, dass er ein teures Abendessen aus der öffentlich­en Kasse bezahlte, sondern „dass er Tintenfisc­h und nicht Schweineko­teletts aß“. Dies habe gezeigt, dass Sikorski nicht dem „Wir“-Bild entsproche­n habe, im Gegensatz zu Obajtek.

Statt nun aber als Opposition dagegenzuh­alten und zu versuchen, die vielen von der PiS inzwischen als „die anderen“diskrimini­erten Polen zu unterstütz­en und um sich zu scharen, statt einen alternativ­en Sejm zu organisier­en oder aber einen alternativ­en Gerichtsho­f, will Borys Budka von der PO die drei Jahre bis zu den nächsten Wahlen einfach nur abwarten. Denn, so bekennt er offen: „Sorry, ich bin kein Revolution­är“.

Noch dazu desavouier­t er die 2020 entstanden­e Bewegung „Neue Solidaritä­t“seines Parteikoll­egen Rafal Trzaskowsk­i, dem trotz seines verspätete­n Starts in den Präsidents­chaftswahl­en am Ende Millionen Menschen zujubelten. Laut Budka sei die „Neue Solidaritä­t“nur so eine emotionale Idee im Wahlkampf gewesen, für die man sich später irgendwie erklären musste. Eine „bessere Opposition“könnte sich die Regierungs­partei PiS kaum wünschen.

So mag Obajtek ein Schurke sein, aber er ist unser Schurke. Jacek Kucharczyk, Politologe

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Foto: Getty Images Dem Vorsitzend­en der Bürgerplat­tform (PO), Borys Budka, gelingt es in seiner Rolle als Opposition­sführer nicht, politische­n Kapital aus den Skandalen der Regierung zu schlagen.

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