Ticket in die Freiheit
Die US-Regierung arbeitet an einem Covid-19-Impfnachweis, der die Rückkehr zu einem normalen Alltag ermöglichen soll
Die Fluggesellschaften sehen in Impfpässen den Schlüssel zur Rückkehr zu den Tagen vor Beginn der Pandemie, die Reisen zu einem schwer kalkulierbaren Risiko gemacht hat. Sportteams und Konzertagenturen setzen ebenso auf den Nachweis für die Teilnahme an Großveranstaltungen wie auch die Gastronomie und viele öffentliche Institutionen.
Voraussetzung dafür wäre ein System, das es erlaubt, leicht und sicher zu überprüfen, ob eine Person keine Gefährdung für andere darstellt. Angesichts des Drucks aus der Wirtschaft, zu einem einheitlichen Standard zu gelangen, gibt die US-Regierung ihre bisher geübte Zurückhaltung auf und versucht die Bemühungen zu koordinieren. Das Weiße Haus möchte dabei den Eindruck vermeiden, durch die Hintertür eine Art Impfpflicht einzuführen.
„Jeder muss einen solchen Nachweis auf freiwilliger Basis erhalten können“, sagt der Bioethiker Ezekiel Emanuel von der University of Pennsylvania, der die Regierung in Gesundheitsfragen berät. Joe Biden hat seinen CoronaKoordinator Jeff Zients damit beauftragt, zusammen mit dem Gesundheitsministerium, dem Pentagon und einem Dutzend anderer Bundesbehörden entsprechende Standards zu entwickeln. Laut Informationen der „Washington Post“geht es unter anderen darum, zwischen mindestens 17 verschiedenen privaten Initiativen zu koordinieren.
Die Zeitung hat die Schaubilder eines Diavortrags vorliegen, der Grundlage einer Konferenz Anfang März mit rund 150 Regierungsexperten war. Darin wird vor „einer chaotischen und nicht effizienten Zertifizierung“gewarnt, „die unseren Umgang mit der Pandemie und öffentliche Gesundheitsmaßnahmen unterminieren, die wirtschaftliche Erholung verlangsamen und das Vertrauen der Öffentlichkeit untergräbt.“Wie kann der Nachweis in Praxis geführt werden, da nicht jeder Zugang zu einem Smartphone hat, das es erlauben würde, den Nachweis mit einem lesbaren Code zu führen. Alternativ käme die klassische Papierform oder eine Chipkarte in Frage. Wie kann die Diskriminierung gegen Personen vermieden werden, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können? Für diese kleine Gruppe bräuchte es Ausnahmen, die eine Teilnahme am öffentlichen Leben auch ohne Impfschutz erlauben. Wie lassen sich die konkurrierenden Interessen zwischen Sicherheit und Datenschutz abgleichen? Die Anforderungen von Drittstaaten im internationalen Reiseverkehr machen den Schutz der Privatsphäre zu einer besonderen Herausforderung. Wenngleich die Regierung nicht von einem „Impfpass“sprechen möchte, sondern lieber den Begriff „Nachweis“gebraucht, macht das in der Praxis keinen wesentlichen Unterschied. Experten erkennen darin ein wichtiges Instrument, das Versprechen Präsident Bidens zu erfüllen, spätestens bis Ende des Jahres zu einem normalen Alltag zurückkehren zu können.
Impfnachweise erhöhen den Druck auf Skeptiker, Gegner und Verweigerer von Schutzimpfungen, ihre Vorbehalte aufzugeben. Während es die freie Wahl der Bürger bleibt, sich impfen zu lassen, müssen Impfmuffel mit spürbaren Konsequenzen ihrer Entscheidung rechnen. Fluglinien könnten die Mitreise aus Haftungsgründen
ebenso verweigern, wie Sportteams nicht geschützte Fans aus ihren Stadien heraushalten oder Restaurants die Bedienung in geschlossenen Räumen verweigern können.
Schwere Vorwürfe gegen Trump
Die frühere Corona-Koordinatorin des Weißen Hauses, Deborah Brix, erhebt derweil schwere Vorwürfe gegen Ex-Präsident Donald Trump. Dessen Versagen bei der Eindämmung der Pandemie könnte mehrere Hunderttausend Menschenleben gekostet haben, suggerierte Brix in einem Interview. „Am Anfang hatten wir eine Ausrede“, sagte die Infektiologin zu der ersten Pandemie-Welle vor einem Jahr. Danach gebe es keine Entschuldigung für die Weigerung Trumps, ein Masken-Mandat und andere Schutzvorkehrungen durchzusetzen. Viele der Toten hätten „vermieden oder deren Zahl deutlich verringert werden können“. Die USA bewegen sich auf 550 000 Corona-Tote zu.
Das Weiße Haus möchte den Eindruck vermeiden, durch die Hintertür eine Art Impfpflicht einzuführen.