Schmerzvoller Spagat
Weshalb es zwischen Naturschutz und Urbanisierung hakt – ein Streitgespräch
Sie spricht von proaktivem Naturschutz und dem Erhalt der natürlichen Lebensräume. Er plädiert für eine proaktive Urbanisierung mit transparenten Auflagen und Fristen. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) und Patrick Koehnen, beigeordneter Generalsekretär der Handerwerkerföderation, erörtern das Spannungsfeld zwischen Fauna und Flora einerseits, Bagger und Betonmischer andererseits.
Patrick Koehnen, seit zweieinhalb Jahren ist das neue Naturschutzgesetz in Kraft und damit auch das neue Kompensierungssystem. Bauherren zahlen in das System ein und der Staat übernimmt die Kompensierungsmaßnahmen auf nationalen Flächenpools. Ist das eine gute Lösung?
Idee des Flächenpools war es, zu verhindern, dass Landwirten Flächen zu überteuerten Preisen abgekauft werden, um dort zu kompensieren – an sich eine gute Lösung. Das kann bis zu 20 000 Euro pro Haus kosten, ist also nicht ganz billig. Bei den Biotopen klappt das auch, beim Artenschutz ist die Sache anders gelagert. Bevor er mit dem Bau beginnen kann, muss der Bauherr Flächen erwerben und Obstbäume pflanzen, um zum Beispiel Fledermäuse umzusiedeln. Alternativ können die Flächen für 25 Jahre gepachtet werden. Im Prinzip heißt es, dass Baulücken sofort bebaut werden können. In der Realität stimmt das so nicht. Mit dem Bau kann erst begonnen werden, wenn diese Kompensierungsmaßnahmen durchgeführt worden sind.
Carole Dieschbourg, das Umweltministerium wird oft als Bauverhinderungsministerium bezeichnet. Nun besteht ja enormer Druck im Wohnungsbau. Wie gehen Sie mit der Teilverantwortung, die dem Umweltministerium auferlegt wird, um? Ist sie gerechtfertigt?
Wir haben europäische Verpflichtungen, was den Erhalt von Lebensräumen und Arten betrifft.
Wir müssen das Artensterben, das seit 40 Jahren ungebremst anhält, stoppen. 50 Prozent der Lebensräume stehen unter Druck, nur 32 Prozent sind in einem guten Zustand. Bei den Arten befinden sich 41 Prozent in einem schlechten Zustand, bei 16 Prozent ist der Trend positiv. Seit den 70er Jahren ist die Flächenversiegelung von drei auf zehn Prozent gestiegen. Wir sind europaweit das am meisten zersiedelte Land.
Mit dem Ökopunkte-System kommen wir jetzt schneller voran, weil der Staat für die Kompensierungsmaßnahmen zuständig ist. Das System ist transparent, die Projekte werden in ein Register aufgenommen und zusammen mit der Landwirtschaft umgesetzt.
Lösungen für den Artenschutz zu finden, ist schwieriger. Wir haben im Koalitionsprogramm festgehalten, dass wir uns mit den Akteuren zusammensetzen und diesen Aspekt anders regeln wollen. In den vergangenen Jahren wurden große Fortschritte erzielt, unter anderem dank der im Innenministerium angesiedelten Plateforme de concertation, in der auch das Umweltministerium vertreten ist. Sie trifft sich wöchentlich, um Lösungen bei Teilbebauungsplänen (PAP) zu finden. Eine Teilerleichterung wird sicherlich auch durch die neuen allgemeinen Bebauungspläne (PAG) erreicht. Sie erlauben eine proaktivere Vorgehensweise.
P. K.: Wir brauchen für den Artenschutz eine ähnliche Lösung wie für die Biotope. Es ist nicht die Aufgabe des Bauherren, Flächen zu finden, damit die Fledermäuse dort jagen können. Es ist auch nicht seine Aufgabe, in ganz Europa bestimmte Obstbaumsorten aufzutreiben. Wir müssen proaktiver an die Dinge herangehen. Die strategische Umweltprüfung (SUP), die bei der PAG-Erstellung gemacht wird, liefert im Prinzip alle nötigen Informationen. Bevor Projekte geplant werden, sollte man klären, was an Kompensierungen anfällt und wie sie umgesetzt werden können, statt diese Fragen erst zu klären, wenn jemand mit einem konkreten Projekt ankommt. Das spart Zeit und schafft Vorausschaubarkeit. Außerdem sollten alle Informationen zur SUP systematisch in den Biotopkataster einfließen, damit der Bauherr sämtliche Daten über seine Parzelle verfügt.
Wenn Luxemburg mit größeren Bauprojekten nicht vorankommt, liegt das in 99 Prozent der Fälle nicht am Naturschutz. Carole Dieschbourg
Liegt das Dilemma nicht darin, dass wir einerseits europäische Direktiven umsetzen müssen, andererseits aber die Auflagen und langen Prozeduren die Motivation der Menschen, Arten zu schützen, zunichte machen?
aber dann sollten wir sie richtig führen. Wir schauen oft gar nicht, was der tatsächliche Wert einer Zerstörung ist. Die externen Kosten für die Zerstörung der Natur werden von der Allgemeinheit getragen, während stets nur ein einzelner Profit aus der Zerstörung zieht. Wir sollten diese Kosten sichtbar machen – nach dem Verursachermuster. Ich bin überzeugt: Wenn man die tatsächlichen Kosten der Zerstörung und der Zerstörung, die wir verhindern, berechnen würde, wäre der Anteil des proaktiven Umweltschutzes wesentlich günstiger als spätere Reparaturleistungen. Ich habe kein Problem, damit offensiver umzugehen. Das würde zu einer Objektivierung der Diskussion beitragen.
Stichwort pollueur-payeur – ein Wohnungskäufer ist, im Gegensatz zu einem umweltschädlichen Industriebetreiber, nicht verantwortlich für die Studien, die zwar gesetzlich vorgesehen sind, den Preis dennoch in die Höhe treiben.
C. D.: Ich habe das Beispiel lediglich als Analogismus erwähnt. Es gibt ja bereits Instrumente wie der ökologische Fußabdruck oder der CO2-Ausstoß. Ich habe keine Problem damit, in puncto Kosten Transparenz zu schaffen.
Inwiefern verteuern die Genehmigungsprozesse denn den Bau von Wohnungen?
P. K.: Das können bis zu 50 000 Euro pro Haus werden. Es wäre interessant, bei der Aufschlüsselung der Kosten einmal zu schauen, welchen Anteil die Kompensierungen für Umwelt- und für Denkmalschutz ausmachen.
C. D.: Noch einmal: In der Regel ist es nicht der Umweltanteil, der die Bauprojekte verteuert.
P. K.: Je länger die Prozeduren dauern, desto teurer wird ein Projekt.
C. D.: Das stimmt. Wir wollen ja auch einen schlanken Staat, was die Prozeduren betrifft. Dennoch hat die Zerstörung der Natur auch ihren Preis.