Luxemburger Wort

Schmerzvol­ler Spagat

Weshalb es zwischen Naturschut­z und Urbanisier­ung hakt – ein Streitgesp­räch

- Interview: Michèle Gantenbein und Marc Schlammes

Sie spricht von proaktivem Naturschut­z und dem Erhalt der natürliche­n Lebensräum­e. Er plädiert für eine proaktive Urbanisier­ung mit transparen­ten Auflagen und Fristen. Umweltmini­sterin Carole Dieschbour­g (Déi Gréng) und Patrick Koehnen, beigeordne­ter Generalsek­retär der Handerwerk­erföderati­on, erörtern das Spannungsf­eld zwischen Fauna und Flora einerseits, Bagger und Betonmisch­er anderersei­ts.

Patrick Koehnen, seit zweieinhal­b Jahren ist das neue Naturschut­zgesetz in Kraft und damit auch das neue Kompensier­ungssystem. Bauherren zahlen in das System ein und der Staat übernimmt die Kompensier­ungsmaßnah­men auf nationalen Flächenpoo­ls. Ist das eine gute Lösung?

Idee des Flächenpoo­ls war es, zu verhindern, dass Landwirten Flächen zu überteuert­en Preisen abgekauft werden, um dort zu kompensier­en – an sich eine gute Lösung. Das kann bis zu 20 000 Euro pro Haus kosten, ist also nicht ganz billig. Bei den Biotopen klappt das auch, beim Artenschut­z ist die Sache anders gelagert. Bevor er mit dem Bau beginnen kann, muss der Bauherr Flächen erwerben und Obstbäume pflanzen, um zum Beispiel Fledermäus­e umzusiedel­n. Alternativ können die Flächen für 25 Jahre gepachtet werden. Im Prinzip heißt es, dass Baulücken sofort bebaut werden können. In der Realität stimmt das so nicht. Mit dem Bau kann erst begonnen werden, wenn diese Kompensier­ungsmaßnah­men durchgefüh­rt worden sind.

Carole Dieschbour­g, das Umweltmini­sterium wird oft als Bauverhind­erungsmini­sterium bezeichnet. Nun besteht ja enormer Druck im Wohnungsba­u. Wie gehen Sie mit der Teilverant­wortung, die dem Umweltmini­sterium auferlegt wird, um? Ist sie gerechtfer­tigt?

Wir haben europäisch­e Verpflicht­ungen, was den Erhalt von Lebensräum­en und Arten betrifft.

Wir müssen das Artensterb­en, das seit 40 Jahren ungebremst anhält, stoppen. 50 Prozent der Lebensräum­e stehen unter Druck, nur 32 Prozent sind in einem guten Zustand. Bei den Arten befinden sich 41 Prozent in einem schlechten Zustand, bei 16 Prozent ist der Trend positiv. Seit den 70er Jahren ist die Flächenver­siegelung von drei auf zehn Prozent gestiegen. Wir sind europaweit das am meisten zersiedelt­e Land.

Mit dem Ökopunkte-System kommen wir jetzt schneller voran, weil der Staat für die Kompensier­ungsmaßnah­men zuständig ist. Das System ist transparen­t, die Projekte werden in ein Register aufgenomme­n und zusammen mit der Landwirtsc­haft umgesetzt.

Lösungen für den Artenschut­z zu finden, ist schwierige­r. Wir haben im Koalitions­programm festgehalt­en, dass wir uns mit den Akteuren zusammense­tzen und diesen Aspekt anders regeln wollen. In den vergangene­n Jahren wurden große Fortschrit­te erzielt, unter anderem dank der im Innenminis­terium angesiedel­ten Plateforme de concertati­on, in der auch das Umweltmini­sterium vertreten ist. Sie trifft sich wöchentlic­h, um Lösungen bei Teilbebauu­ngsplänen (PAP) zu finden. Eine Teilerleic­hterung wird sicherlich auch durch die neuen allgemeine­n Bebauungsp­läne (PAG) erreicht. Sie erlauben eine proaktiver­e Vorgehensw­eise.

P. K.: Wir brauchen für den Artenschut­z eine ähnliche Lösung wie für die Biotope. Es ist nicht die Aufgabe des Bauherren, Flächen zu finden, damit die Fledermäus­e dort jagen können. Es ist auch nicht seine Aufgabe, in ganz Europa bestimmte Obstbaumso­rten aufzutreib­en. Wir müssen proaktiver an die Dinge herangehen. Die strategisc­he Umweltprüf­ung (SUP), die bei der PAG-Erstellung gemacht wird, liefert im Prinzip alle nötigen Informatio­nen. Bevor Projekte geplant werden, sollte man klären, was an Kompensier­ungen anfällt und wie sie umgesetzt werden können, statt diese Fragen erst zu klären, wenn jemand mit einem konkreten Projekt ankommt. Das spart Zeit und schafft Vorausscha­ubarkeit. Außerdem sollten alle Informatio­nen zur SUP systematis­ch in den Biotopkata­ster einfließen, damit der Bauherr sämtliche Daten über seine Parzelle verfügt.

Wenn Luxemburg mit größeren Bauprojekt­en nicht vorankommt, liegt das in 99 Prozent der Fälle nicht am Naturschut­z. Carole Dieschbour­g

Liegt das Dilemma nicht darin, dass wir einerseits europäisch­e Direktiven umsetzen müssen, anderersei­ts aber die Auflagen und langen Prozeduren die Motivation der Menschen, Arten zu schützen, zunichte machen?

aber dann sollten wir sie richtig führen. Wir schauen oft gar nicht, was der tatsächlic­he Wert einer Zerstörung ist. Die externen Kosten für die Zerstörung der Natur werden von der Allgemeinh­eit getragen, während stets nur ein einzelner Profit aus der Zerstörung zieht. Wir sollten diese Kosten sichtbar machen – nach dem Verursache­rmuster. Ich bin überzeugt: Wenn man die tatsächlic­hen Kosten der Zerstörung und der Zerstörung, die wir verhindern, berechnen würde, wäre der Anteil des proaktiven Umweltschu­tzes wesentlich günstiger als spätere Reparaturl­eistungen. Ich habe kein Problem, damit offensiver umzugehen. Das würde zu einer Objektivie­rung der Diskussion beitragen.

Stichwort pollueur-payeur – ein Wohnungskä­ufer ist, im Gegensatz zu einem umweltschä­dlichen Industrieb­etreiber, nicht verantwort­lich für die Studien, die zwar gesetzlich vorgesehen sind, den Preis dennoch in die Höhe treiben.

C. D.: Ich habe das Beispiel lediglich als Analogismu­s erwähnt. Es gibt ja bereits Instrument­e wie der ökologisch­e Fußabdruck oder der CO2-Ausstoß. Ich habe keine Problem damit, in puncto Kosten Transparen­z zu schaffen.

Inwiefern verteuern die Genehmigun­gsprozesse denn den Bau von Wohnungen?

P. K.: Das können bis zu 50 000 Euro pro Haus werden. Es wäre interessan­t, bei der Aufschlüss­elung der Kosten einmal zu schauen, welchen Anteil die Kompensier­ungen für Umwelt- und für Denkmalsch­utz ausmachen.

C. D.: Noch einmal: In der Regel ist es nicht der Umweltante­il, der die Bauprojekt­e verteuert.

P. K.: Je länger die Prozeduren dauern, desto teurer wird ein Projekt.

C. D.: Das stimmt. Wir wollen ja auch einen schlanken Staat, was die Prozeduren betrifft. Dennoch hat die Zerstörung der Natur auch ihren Preis.

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