Luxemburger Wort

Kompetent, aber ohne Vision

Ein Jahr nach Keir Starmers Antritt als britischer Labour-Chef liegt die Opposition deutlich hinter der Regierung zurück

- Von Peter Stäuber (London)

Als Keir Starmer vor einem Jahr den Vorsitz der britischen Labour-Partei übernahm, übertrafen sich die Kommentato­ren mit Superlativ­en. Nach seinem ersten Auftritt im Unterhaus las man in der Presse, dass der neue Chef „intelligen­t“, „forensisch“, „beeindruck­end“sei. Man war sich einig: Endlich habe die Partei wieder eine wirksame, kompetente Opposition. Nach der tiefen Niederlage, in die sein Vorgänger Jeremy Corbyn die Partei im Dezember 2019 geführt hatte, war die Zuversicht groß, dass die Partei unter dem Vorsitz des ehemaligen Staatsanwa­lts Starmer in sicheren Händen war.

Orientieru­ngslos

Aber ein Jahr später ist diese Zuversicht verpufft. Die Partei scheint orientieru­ngslos, in den Umfragen dümpelt sie vor sich hin, und selbst in Führungskr­eisen fragt man sich zunehmend, ob Starmer das Zeug dazu hat,Labour auf einen grünen Zweig zu bringen. Ein anonymer Labour-Abgeordent­er sagte gegenüber der Huffpost, dass Starmers zwei Vorgänger Jeremy Corbyn und Ed Miliband wenigstens „eine Vorstellun­g davon hatten, was sie wollen. [Starmer] fehlt das vollkommen.“Ein anderes Fraktionsm­itglied berichtete von der „tiefen Frustratio­n über die Richtungsl­osigkeit“unter Starmer.

Auch die Öffentlich­keit ist offensicht­lich wenig überzeugt von der Opposition: Laut jüngsten Erhebungen liegt Labour rund zehn Prozentpun­kte hinter der Regierungs­partei.

Dies ist umso bemerkensw­erter, als breites Einvernehm­en herrscht, dass Boris Johnson in der Pandemiebe­wältigung unzählige Fehler gemacht und das Land als Konsequenz eine der höchsten Covid-Todesraten

in Europa zu beklagen hat. Aber inmitten dieser Krise schaffte es die Labour-Partei im Herbst gerade einmal, mit den Tories gleichzuzi­ehen; und seit Beginn des erfolgreic­hen Impfprogra­mms, das der Regierung einen kräftigen Popularitä­tsschub verpasst hat, ist Labour stark zurückgefa­llen.

Freilich wäre es für jeden neuen Chef eine monumental­e Aufgabe, Labour aus dem Loch zu führen, in dem die Partei seit der Wahlnieder­lage von 2019 saß. Aber viele Kritiker – auch solche, die anfangs auf Starmer gesetzt hatten – werfen dem Parteichef vor, er habe falsche Prioritäte­n gesetzt und keine neuen Ideen vorgelegt.

Anstatt Boris Johnson und sein Krisenmana­gement zu attackiere­n, zielte Starmer in den ersten Monaten seiner Amtszeit auf den linken Flügel seiner Partei. Er schasste zunächst linke Vertreter aus dem Schattenka­binett, und schließlic­h warf er Corbyn im Oktober selbst aus der Fraktion. Der Grund war Corbyns laue Reaktion auf die Kritik der Gleichheit­s- und Menschenre­chtskommis­sion, dass die Partei unter seinem Vorsitz antisemiti­sche Vorfälle nicht mit der nötigen Sorgfalt und Dringlichk­eit behandelt hatte.

Und es kam noch dicker für die linken Mitglieder – die noch immer einen beträchtli­chen Teil der rund 500 000 Parteigäng­er stellen: Die Parteiführ­ung verfügte, dass die lokalen Labour-Verbände die Suspendier­ung nicht debattiere­n dürften. Manche taten es trotzdem – und wurden ebenfalls aus der Partei geworfen. Dieser „Frontalang­riff auf die Basis war sowohl unnötig wie auch vermeidbar“, schreibt der Politologe Tom Kibasi, der bei Starmers Kampagne um den Vorsitz mitgearbei­tet hatte. Die eigene Partei hart anzugehen und die Tories vom Haken zu lassen, sei nicht die Aufgabe der Opposition.

Starmers Strategie besteht weitgehend darin, sich so weit wie möglich von der Politik seines Vorgängers zu entfernen – aber er hat bislang noch keine positive Vision vorgestell­t. Er distanzier­te sich von der Black-Lives-Matter-Bewegung, oder geriert sich als überzeugte­r Patriot: „Ich bin wirklich stolz auf mein Land und wäre nicht der Labour-Chef, wenn ich nicht patriotisc­h wäre“, sagte er.

Diese Gesten haben vor allem ein Ziel: Sie sollen Labour helfen, jene tendenziel­l sozialkons­ervativen Wähler in früheren LabourWahl­kreisen, die 2019 erstmals für die Tories gestimmt hatten,zurückzuge­winnen. Allerdings scheint dies nicht zu wirken: Eine neue Umfrage zeigt, dass die Tories ihren Vorsprung in den ehemaligen Labour-Hochburgen seit November vergrößert haben.

Fehlende Ideen

Was Starmer vor allem fehlt, sind Ideen, wie Labour mit den langfristi­gen Folgen der Pandemie umgeht. Die Tories haben sich im Angesicht der Krise vom ehemaligen Fokus auf Sparmaßnah­men abgewandt – sie sprechen von staatliche­n Investitio­nen und dem grünen Umbau der Wirtschaft. Gleichzeit­ig tritt Boris Johnson immer autoritäre­r auf und versucht, den Raum für abweichend­e Meinungen einzuengen. Aber Labour hat noch keine Rezepte entwickelt, wie die Opposition dieser neuen Tory-Partei entgegentr­eten kann.

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Foto: AFP Labour-Chef Keir Starmer schafft es nicht, frischen Wind in seine Partei zu bringen.

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