Luxemburger Wort

Die Reportage

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Rund zwei Monate nach dem Produktion­sbeginn sollen in diesen Tagen die ersten Lieferunge­n das Werksgelän­de in der mittelhess­ischen Stadt verlassen und dann zum sterilen Abfüllen und Etikettier­en ins Werk des Biontech-Partners Pfizer im belgischen Puurs gebracht werden. In der zweiten Aprilhälft­e werden, nach abschließe­nden Prüfungen, die ersten Vakzine aus Marburg in den Impfzentre­n landen – von vielen Menschen sehnlichst erwartet.

Insgesamt 50 000 Arbeitssch­ritte sind nötig von der Herstellun­g der mRNA bis zum fertigen Impfstoff.

Damit hält Biontech den ehrgeizige­n Zeitplan ein, den das Unternehme­n beim Beginn der Herstellun­g Anfang Februar verkündet hatte. „Die Produktion ist tatsächlic­h wundervoll angelaufen, gerade unter dem Zeitdruck, unter dem man ja steht“, freut sich Produktion­sleiterin Valeska Schilling. „Wenn man sich vorstellt, dass man normalerwe­ise für diese Transferpr­ojekte, für neue Produkte sehr viel länger bräuchte in der pharmazeut­ischen Industrie, ist das tatsächlic­h ein Unikum.“

Fast wie ein Backrezept

Biontech hat das Marburger Werk im vergangene­n Herbst vom Schweizer Pharmaries­en Novartis übernommen – noch bevor sich die Mainzer überhaupt sicher sein konnten, dass ihr Impfstoff, der damals noch in der klinischen Testphase war, einmal in der EU, den USA oder anderswo zugelassen wird. Diese selbstbewu­sste Zuversicht des Unternehme­ns hat sich ausgezahlt, denn nach der Genehmigun­g gehört der Biontech-Impfstoff zu den begehrtest­en Produkten, die es derzeit weltweit gibt.

Übernommen hat Biontech von Novartis nicht nur das Werk, sondern auch die Mitarbeite­r. Sie stehen nun an einer wichtigen Stelle im Kampf gegen die Pandemie. Von allen Seiten werde man auf die Arbeit bei Biontech und die

Mit Ganzkörper-Schutzanzü­gen simulieren Laborantin­nen der Firma Biontech in einem Reinraum am neuen Produktion­sstandort in Marburg die finalen Arbeitssch­ritte zur Herstellun­g des Corona-Impfstoffe­s an einem Bioreaktor.

Herstellun­g des Impfstoffs angesproch­en, berichtet Schilling. „Es ist auch verständli­ch, dass einen jetzt jeder fragt, weil jeder wissen möchte, wann sich die Situation endlich ändert“, sagt sie. „Das Gefühl, genau diesen Impfstoff jetzt herzustell­en, ist natürlich Wahnsinn.“Jeder der knapp 400 Beschäftig­ten in Marburg sei sich der besonderen Situation bewusst und arbeite mit dem Ziel, „dass das Maximale erreicht werden kann“.

Drei von vier Arbeitssch­ritten bei der Produktion des Impfstoffs geschehen in Marburg. Am Anfang steht die Herstellun­g des Botenmolek­üls mRNA. Diese Grundlage wird in weiteren Schritten gereinigt, konzentrie­rt und schließlic­h in eine Hülle aus Lipiden gebracht.

Die Zutaten auf dem Weg zum fertigen Präparat erinnern dabei fast an ein Backrezept: Man füge Salz(e), Fett(e) und etwas Zucker hinzu. Doch da endet schon die Gemeinsamk­eit, denn es handelt sich um spezielle Salze und „Fetttröpfc­hen“, die dafür sorgen, dass der pH-Wert stabilisie­rt und der Wirkstoff in einer Schutzhüll­e verpackt wird. So kann die empfindlic­he mRNA besser in die Zellen gelangen und dort ihre Wirkung entfalten. Der Zucker (Saccharose) hilft, dass die Fetttröpfc­hen bei den kalten Lagertempe­raturen nicht klebrig werden. Schließlic­h muss der hergestell­te Impfstoff noch abgefüllt, etikettier­t und fertiggest­ellt werden – dies geschieht aber nicht mehr in Marburg. Insgesamt 50 000 Arbeitssch­ritte sind nötig von der Herstellun­g der mRNA bis zum fertigen Impfstoff. Begleitet wird die Produktion von ständigen Qualitätsk­ontrollen, strengen Regeln und Sicherheit­svorkehrun­gen, damit keine Verunreini­gungen die Wirkstoffq­ualität beeinträch­tigt. Über 2 600 Dokumente begleiten den akribisch zertifizie­rten Prozess.

Die hohen Ansprüche an die Sauberkeit gelten schon bei der „Geburtsstu­nde“des Impfstoffs: der Herstellun­g der mRNA in einem Bioreaktor. Unter Reinraumbe­dingungen wird dort der eigentlich­e Wirkstoff erzeugt. Die Mitarbeite­r dort sehen in ihren Schutzanzü­gen fast wie Astronaute­n aus. Gut 20 Minuten brauchen selbst geübte Profis, bis sie ihre Arbeitskle­idung angelegt haben. Sogar spezielle Unterwäsch­e, die kaum Fasern freisetzt, gehört dazu.

Das sehe schlimmer aus, als es tatsächlic­h sei, sagt eine Laborantin über ihr futuristis­ch anmutendes Outfit. Biontech hatte an diesem Tag Besucher in das neue Werk geführt und dabei auch die Arbeiten im Reinraum in einer Simulation vorgestell­t. Schnelle Bewegungen

sind hier verboten, schließlic­h will man Verwirbelu­ngen vermeiden, auch wenn die Luft mehrfach gefiltert wird. Nach 3,5 Stunden gibt es eine Pause außerhalb der Sterilität des Reinraums.

Mit einer einzigen mRNA-Charge können rund acht Millionen Impfdosen hergestell­t werden. Bis die Charge fertig ist, dauert es etwa zwei Tage. Aufbewahrt wird die kostbare Flüssigkei­t in einem speziellen, durchsicht­igen Gefäß. Dieser lapidar als „Bag“(Tasche) bezeichnet­e Behälter fasst 35 Liter. Darin sind gerade einmal 350 Gramm mRNA.

Arbeit im Schichtbet­rieb

Von den insgesamt rund 400 Mitarbeite­rn sind 200 direkt am Produktion­sprozess beteiligt, nicht nur bei der mRNA-Herstellun­g, sondern auch bei den folgenden Schritten, die genauso wichtig sind, damit das Endprodukt schließlic­h die geforderte Qualität hat. Sie arbeiten im Schichtbet­rieb – rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche.

Der Zeitdruck, der wegen der Pandemie herrscht, sei sicherlich eine der großen Herausford­erungen gewesen, um die Herstellun­g ins Rollen zu bringen, erklärt Schilling. Schließlic­h mussten alle Mitarbeite­r auf die neuen Produktion­sprozesse umgeschult werden. Glückliche­rweise hätten auch die Zulieferfi­rmen und Partner in dieser kritischen Anlaufphas­e „fantastisc­h mitgearbei­tet“.

Und nach diesen aufregende­n Wochen freut sich das Marburger Biontech-Team, dass die hier produziert­en Impfstoffe bald zur endgültige­n Fertigstel­lung das insgesamt 1 800 Quadratmet­er große Werk verlassen und danach zu den Impfzentre­n gebracht werden. „Die erste Charge ist immer so ein bisschen das Sahnehäubc­hen auf den ganzen Bemühungen, die man da monatelang hatte“, erklärt die Produktion­sleiterin. dpa

Drei von vier Arbeitssch­ritten bei der Produktion des Impfstoffs geschehen in Marburg.

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