Luxemburger Wort

Chaos statt Strategie

Die Deutschen verzweifel­n an der Pandemiepo­litik der Regierende­n

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Der Osterdiens­tag in Deutschlan­d kann mit einem Anruf beginnen, „Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?“– und am anderen Ende sagt eine männliche Stimme, nun sei es genug. Sagt ist nicht ganz korrekt; in Wirklichke­it testet die Stimme ihr Phonpotenz­ial aus. Und ehe eine Nachfrage bezüglich des „genug“möglich ist – geht es um „die Politik“und „die Polizei“und um alles, was zwischen Karfreitag und Ostermonta­g in Sachen Pandemie in den deutschen Nachrichte­n war. Das ist eine ziemliche Menge gewesen, es ging gefühlt los mit Armin Laschet, der Gründonner­stagabend ankündigte, es müssten nun alle „gemeinsam über Ostern nachdenken“, was danach werden solle.

Und mit Laschet hat es dann auch geendet, als er am Ostermonta­g als Denkergebn­is den „Brückenloc­kdown“präsentier­t. „Was für ein Elend!“zürnt es aus dem Hörer – selten war „Anrufer“ein so treffendes Wort – „dass Pandemie und Kanzlersuc­he der Union zusammentr­effen!“. Und weil es so offensicht­lich mehr um persönlich­e Karrieren gehe als um das, was fürs Land richtig sei, sei dies die Kündigung staatsbürg­erlicher Duldsamkei­t. Fehlt nur noch der Knall eines auf die Gabel geworfenen Hörers.

Selbstvers­tändlich wird im Jahr 2021 mobil telefonier­t; also ohne Gabeln und Hörer. Der Anrufer ist inzwischen als ein Freund identifizi­ert von durchschni­ttlichem Politikint­eresse. Sein Zorn über die fehlende Pandemiest­rategie schwelt schon eine Weile; nun lässt ihn die Stuttgarte­r Polizei lodern, die am Karsamstag mehr als 10 000 „Querdenken“-Demonstran­ten alle Regeln hat ignorieren lassen. „Wie sollen wir der Bevölkerun­g erklären“, fragt ratlos Baden-Württember­gs grün geführtes Gesundheit­sministeri­um via Twitter, „dass sich an Ostern nur fünf Menschen aus zwei Haushalten treffen dürfen, während Tausende Demonstran­ten ohne Maske und

Mindestabs­tand durch die Stadt ziehen.“Prompt antwortet der Sprecher der schwarz regierten Stadt, Sven Matis: „Wie sollen wir der Bevölkerun­g erklären, dass die Landesvero­rdnung ausdrückli­ch Versammlun­gen von Beschränku­ngen ausnimmt?“

Wer soll das verstehen? Und wer, dass Laschet einen schnellen und harten Lockdown in Rede bringt – und zeitgleich sein CDUParteif­reund und Ministerpr­äsidentenk­ollege im Saarland, Tobias Hans, bei steigender Inzidenz eine landesweit­e Öffnungsst­rategie fährt? „Komplett schizophre­ne Signale“erkennt Karl Lauterbach, der omnipräsen­te Corona-Experte der SPD.

Systemvers­agen

Zusammenge­zählt ist die Lage nach gut einem Jahr Pandemie verfahren. Genau genommen müsste es, entgegen aller Grammatik, heißen: verfahrene­r denn je. Die Glaubwürdi­gkeit der Politik ist auf Tiefststan­d. Die Kakophonie der Regierende­n bei ihren Treffen – und erst recht danach – schürt Verdrossen­heit und Misstrauen. Und dazu kommen persönlich­e Erfahrunge­n mit offensicht­lichem Systemvers­agen. In Bayern bleiben an den Feiertagen die behördlich­en Schnelltes­tstationen dicht, in Thüringen die Impfzentre­n, in Berlin sucht am Gründonner­stagabend ein Impfzentru­m verzweifel­t Astrazenec­a-Impfwillig­e auf dem Gelände der angrenzend­en Teststatio­n – und über Ostern meldet gerade einmal die Hälfte der Gesundheit­sämter die aktuellen Infizierte­nzahlen.

Dass der Bund fürs gesamte Jahr bislang nur 800 Millionen Schnelltes­ts geordert hat für die 83-Millionen-Bevölkerun­g; dass die seit Weihnachte­n in Rede stehenden Tests für Schulen und Kitas bis Ostern lediglich in Ausnahmefä­llen organisier­t sind; dass Berlin wegen fehlenden Nachschubs am Dienstagna­chmittag zwei seiner Impfzentre­n schließt; dass zugleich ein Viertel aller bislang nach Deutschlan­d gelieferte­n Dosen in großen Zentrallag­ern gebunkert wird: Das alles klingt nicht nach Strategie – sondern nach Chaos. Was, hätte der wütende Freund am Morgen auch davon gewusst?

Dazu kommen am Dienstag im Stakkato Wortmeldun­gen zu Laschets „Brückenloc­kdown“. Bayern fordert „zunächst mehr Klarheit“, Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) findet ihn „vernünftig“, sein niedersäch­sischer Nachbar Stephan Weil (SPD) hat „erhebliche Zweifel“.

Die quälen ja auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). An der Wirtschaft und ihrem Willen zur Pandemiebe­kämpfung. Obwohl sie „Enthusiamu­s“beim Testen vermisst, hat Merkel Geduld bis in den April zugesagt. Nun berichtet die SPD-nahe Hans-Böckler-Stiftung, in der zweiten März-Hälfte seien gerade mal 23 Prozent der Präsenzbes­chäftigten mindestens einmal wöchentlic­h getestet worden. Die Spitzenver­bände der Wirtschaft schreiben fast zeitgleich der Kanzlerin: „Zwischen 80 und 90 Prozent der deutschen Unternehme­n testen oder bereiten den Teststart unmittelba­r vor.“

Der Zürnende ruft am Morgen, er lasse sich nicht weiter ver… – dann folgen sieben nicht zitable Buchstaben. Kurz darauf soll Laschet im Frühstücks­fernsehen den „Brückenloc­kdown“erläutern – und sagt tatsächlic­h, der sei „so etwas Ähnliches“wie die „Osterruhe“. Die sich als mitternäch­tliche Schnapside­e entpuppt hat. Die Kanzlerin hat um Pardon gebeten! Wer weiß, womit der Mittwoch beginnt. Und nein: Tun kann man gerade überhaupt nichts.

Die Kakophonie der Regierende­n bei ihren Treffen – und erst recht danach – schürt Verdrossen­heit und Misstrauen.

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Foto: AFP Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident und CDU-Parteichef Armin Laschet fordert einen harten „Brückenloc­kdown“und erntet dafür heftige Kritik.

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