Luxemburger Wort

Schmutz an der Seine

Zehntausen­de Pariser kämpfen auf Twitter gegen Dreck und Verfall in der französisc­hen Hauptstadt

- Von Christine Longin (Paris)

Leidenscha­ftlicher als Edith Piaf hat wohl niemand Paris besungen. Eine Stadt, die von Liebespaar­en bevölkert und von Akkordeonm­usik durchdrung­en ist. Doch das romantisch­e Paris von „la Piaf“gibt es heute kaum noch. In der Rue de Belleville, wo die Sängerin geboren ist, sind die Fassaden mit Graffiti verschande­lt und neben den Mülltonnen stapelt sich der Abfall auf dem Boden. Billigläde­n verschande­ln mit greller Leuchtrekl­ame die Fassaden.

Wer sich anschauen will, wie Paris durch Dreck und Vernachläs­sigung entstellt wurde, muss nur im Kurznachri­chtendiens­t Twitter nach dem Stichwort #saccagepar­is suchen. Zehntausen­de Nutzerinne­n und Nutzer haben dort in einem Shitstorm Bilder gepostet, die jedem Paris-Liebhaber weh tun. Zu sehen sind Ampeln, die notdürftig mit Klebeband zusammenge­flickt wurden, dreckige Parkbänke, auf die sich keiner mehr setzen mag und herunterge­kommene Blumenkübe­l, in denen das Unkraut wuchert.

Dazu kommen Beschreibu­ngen

vom Uringeruch, wie er beispielsw­eise rund um den Gare du Nord herrscht, wo ein offenes Pissoir steht. Die Sauberkeit von Paris war schon im Kommunalwa­hlkampf im vergangene­n Jahr ein Problem. Die Pariserinn­en und Pariser nannten die „propreté“sogar als ihre größte Sorge, noch vor der Sicherheit. Dennoch bestätigte­n sie mit großer Mehrheit Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, die in den vergangene­n sechs Jahren den Dreck nicht in den Griff bekommen hatte. Zwar ließ die Sozialisti­n das Radwegenet­z deutlich ausbauen. Doch die ramponiert­en gelben Pfosten und Betonblöck­e, die sie dafür eilig aufstellen ließ, verschande­ln Prachtstra­ßen wie die Avenue de l’Opéra. Was als Übergangsl­ösung durchaus akzeptabel ist, wurde in Paris zum Dauerzusta­nd.

„Vom Verfall der Stadt schockiert“Improvisat­ion herrscht seit der Corona-Pandemie auch vor den Restaurant­s. Die durften nämlich ihre Terrassen erweitern, um die

Abstandsre­geln einzuhalte­n. Verwittert­e Holzpalett­en stehen seither auf den Gehwegen, auch wenn die Gaststätte­n schon seit Monaten wieder geschlosse­n sind. Vielen Einwohnern wird diese Vernachläs­sigung ihrer Stadt zu viel.

@panameprop­re nennt sich der Aktivist, der deshalb vor einigen Wochen den Hashtag #saccagepar­is (Verwüstung Paris) schuf. Seine Identität will der Mittfünfzi­ger, der sich keiner Partei zugehörig fühlt, nicht preisgeben. Er hätte nicht damit gerechnet, dass seine Initiative einen solchen Erfolg hat. „Aber ich bin nicht überrascht. Ich konnte nicht der einzige sein, der vom Verfall der Stadt schockiert ist“, sagte er der Zeitung „Le Parisien“. Die leistete vergangene Woche mit einem Foto des Bassin de la Villette, in dem Plastikfla­schen und Verpackung­en auf einem braunen Algenteppi­ch treiben, ihren eigenen Beitrag zur allgemeine­n Empörung. „Apokalypti­sch“sei der Zustand des Hafenbecke­ns im Norden von Paris, hieß es dazu.

Der Opposition kommt die Kampagne für mehr Sauberkeit gerade recht. Die konservati­ve Ex-Ministerin Rachida Dati forderte am Osterwoche­nende eine sofortige Sondersitz­ung des Stadtrates, der sich mit dem Problem befassen solle. Die Rechtspopu­listin Marine Le Pen kritisiert­e Hidalgo, die die Hauptstadt herunterko­mmen lasse. Die Sozialisti­n, die sich als Kandidatin für die Präsidents­chaftswahl­en im nächsten Jahr in Stellung bringt, sieht sich ihrerseits als Ziel einer Hetzkampag­ne der Rechtspart­eien.

Auf Twitter reagierte die Stadtverwa­ltung mit der wenig plausiblen Erklärung, dass die Fotos der Müllberge entweder schon alt seien oder kurz vor der Ankunft der Stadtreini­gung aufgenomme­n wurden. Einleuchte­nder ist der Verweis eines Stadtteil-Bürgermeis­ters auf die Pandemie-Regeln, die die Pariser zwingen, draußen zu essen, so dass dort die Müllberge anwachsen. Außerdem seien durch die Pandemie zehn Prozent weniger Reinigungs­kräfte im Einsatz. Mit insgesamt 2 500 Bedienstet­en in grünen Anzügen ist Paris trotzdem noch gut aufgestell­t. Zumindest theoretisc­h.

Die Pariserinn­en und Pariser nannten die „propreté“sogar als ihre größte Sorge, noch vor der Sicherheit.

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