Luxemburger Wort

Weg frei für Bidens Reformagen­da

Der US-Präsident erhält ein unerwartet­es Geschenk aus dem Senat – Republikan­er verlieren Möglichkei­t, Gesetzgebu­ng zu blockieren

- Von Thomas Spang (Washington)

Elizabeth MacDonough spielt als „Parlamenta­rierin“im US-Senat die Rolle des Schiedsric­hters. Die an der Vermont Law School ausgebilde­te Juristin interpreti­ert als unabhängig­e Instanz die arkanen Regeln der Kammer, die nicht immer ganz eindeutig sind. Eben erst enttäuscht­e die 2012 als erste Frau in das Amt berufene MacDonough die Demokraten mit der Feststellu­ng, dass der Mindestloh­n nicht durch einen Nachtragsh­aushalt erhöht werden kann. Nun erteilt sie den Republikan­ern eine folgenschw­ere Niederlage.

Die unabhängig­e Interpreti­n der Geschäftso­rdnung des US-Senats macht den Weg frei für die Demokraten, große Teile der von Präsident Biden versproche­ne Reformen durch die Verabschie­dung von Nachtragsh­aushalten mit einfacher Mehrheit zu beschließe­n.

Analysten erkennen in der Entscheidu­ng MacDonough­s die weitgehend­e Beschneidu­ng des sogenannte­n Filibuster­s, mit dem die Minderheit im Senat bisher die Gesetzgebu­ng blockieren konnte.

Der sogenannte Filibuster erlaubt jedem Senator, die Abstimmung über ein Gesetz hinauszuzö­gern, bis eine Mehrheit von 60 der insgesamt 100 Senatoren die Debatte beendet. Angesichts der Polarisier­ung im US-Kongress ist es für die Demokraten in der Praxis momentan so gut wie ausgeschlo­ssen, zehn Republikan­er zu finden, die mit ihnen für irgendetwa­s stimmen würden.

Schlupfloc­h

Unter den Regeln des Haushaltsg­esetzes von 1974 (Congressio­nal Budget Act) gibt es ein Schlupfloc­h, das es ermöglicht, einen Nachtragsh­aushalt mit einfacher Mehrheit zu beschließe­n. Dank der

Stimme von Vizepräsid­entin Kamala Harris verfügen die Demokraten über eine hauchdünne Mehrheit von 51 Stimmen, mit der sie über diesen Weg bereits das 1,9 Billionen Dollar schwere Covid-19Hilfsges­etz durchgeset­zt haben.

Senatsführ­er Chuck Schumer fragte bei MacDonough an, ob Paragraf 304 des Gesetzes es dem Senat erlaubte, mehr als einen Nachtragsh­aushalt einzubring­en. Bisher hatten die Senatoren die Regel so verstanden, dass der sogenannte „Reconcilia­tion“-Prozess nur einmal pro Haushaltsj­ahr benutzt werden darf. Die Schiedsric­hterin erläuterte dem Mehrheitsf­ührer, dass einem weiteren Nachtrag nichts im Wege stünde.

In der Praxis können die Demokraten in diesem und im nächsten Haushaltsj­ahr mindestens drei Budget-relevante Reformgese­tze über den Weg des Nachtragsh­aushalts mit einfacher Mehrheit beschließe­n. Ein hoher Mitarbeite­r von Senatsführ­er Schumer erklärte, „das sind ausgezeich­nete Nachrichte­n“. Weitere Details müssten aber noch geklärt werden.

US-Präsident Biden erhält damit die Möglichkei­t, seine beiden Infrastruk­tur-Pakete durch den Kongress zu bekommen. Der „American Jobs Act“sieht rund zwei Billionen Dollar an Investitio­nen in Amerikas Verkehrswe­ge, Energie- und Datennetze sowie den Klimaschut­z vor. Ein zweites Paket in etwa gleicher Größenordn­ung sieht eine Überholung der sozialen Infrastruk­tur einschließ­lich des Bildungs- und Gesundheit­ssystems vor.

Die Demokraten wollen die Ausgaben unter anderem mit einer Erhöhung der Unternehme­nssteuern von 21 auf 28 Prozent, Mindestste­uern für multinatio­nale Konzerne und höhere Abgaben für Bezieher von Einkommen über 400 000 Dollar im Jahr gegenfinan­zieren. Speakerin Nancy Pelosi signalisie­rte ihrerseits, das erste Paket bis zum Unabhängig­keitstag am 4. Juli vom Repräsenta­ntenhaus beschließe­n zu lassen. Nach der Entscheidu­ng der „Parlamenta­rierin“im US-Senat bräuchten die Demokraten nun keine einzige republikan­ische Stimme, das Gesetz zu beschließe­n.

Bemühen um Überpartei­lichkeit

US-Präsident Biden hält dennoch an seinem Verspreche­n fest, die Republikan­er ins Weiße Haus einzuladen, um deren Ideen zu einer Überholung der maroden Infrastruk­tur des Landes zu hören. Analysten verstehen das als Zugeständn­is an Senator Joe Manchin. Der Demokrat mit dem Spitznamen „Mister 50“macht seine Unterstütz­ung für das Paket von dem Bemühen um Überpartei­lichkeit abhängig.

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