Weg frei für Bidens Reformagenda
Der US-Präsident erhält ein unerwartetes Geschenk aus dem Senat – Republikaner verlieren Möglichkeit, Gesetzgebung zu blockieren
Elizabeth MacDonough spielt als „Parlamentarierin“im US-Senat die Rolle des Schiedsrichters. Die an der Vermont Law School ausgebildete Juristin interpretiert als unabhängige Instanz die arkanen Regeln der Kammer, die nicht immer ganz eindeutig sind. Eben erst enttäuschte die 2012 als erste Frau in das Amt berufene MacDonough die Demokraten mit der Feststellung, dass der Mindestlohn nicht durch einen Nachtragshaushalt erhöht werden kann. Nun erteilt sie den Republikanern eine folgenschwere Niederlage.
Die unabhängige Interpretin der Geschäftsordnung des US-Senats macht den Weg frei für die Demokraten, große Teile der von Präsident Biden versprochene Reformen durch die Verabschiedung von Nachtragshaushalten mit einfacher Mehrheit zu beschließen.
Analysten erkennen in der Entscheidung MacDonoughs die weitgehende Beschneidung des sogenannten Filibusters, mit dem die Minderheit im Senat bisher die Gesetzgebung blockieren konnte.
Der sogenannte Filibuster erlaubt jedem Senator, die Abstimmung über ein Gesetz hinauszuzögern, bis eine Mehrheit von 60 der insgesamt 100 Senatoren die Debatte beendet. Angesichts der Polarisierung im US-Kongress ist es für die Demokraten in der Praxis momentan so gut wie ausgeschlossen, zehn Republikaner zu finden, die mit ihnen für irgendetwas stimmen würden.
Schlupfloch
Unter den Regeln des Haushaltsgesetzes von 1974 (Congressional Budget Act) gibt es ein Schlupfloch, das es ermöglicht, einen Nachtragshaushalt mit einfacher Mehrheit zu beschließen. Dank der
Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris verfügen die Demokraten über eine hauchdünne Mehrheit von 51 Stimmen, mit der sie über diesen Weg bereits das 1,9 Billionen Dollar schwere Covid-19Hilfsgesetz durchgesetzt haben.
Senatsführer Chuck Schumer fragte bei MacDonough an, ob Paragraf 304 des Gesetzes es dem Senat erlaubte, mehr als einen Nachtragshaushalt einzubringen. Bisher hatten die Senatoren die Regel so verstanden, dass der sogenannte „Reconciliation“-Prozess nur einmal pro Haushaltsjahr benutzt werden darf. Die Schiedsrichterin erläuterte dem Mehrheitsführer, dass einem weiteren Nachtrag nichts im Wege stünde.
In der Praxis können die Demokraten in diesem und im nächsten Haushaltsjahr mindestens drei Budget-relevante Reformgesetze über den Weg des Nachtragshaushalts mit einfacher Mehrheit beschließen. Ein hoher Mitarbeiter von Senatsführer Schumer erklärte, „das sind ausgezeichnete Nachrichten“. Weitere Details müssten aber noch geklärt werden.
US-Präsident Biden erhält damit die Möglichkeit, seine beiden Infrastruktur-Pakete durch den Kongress zu bekommen. Der „American Jobs Act“sieht rund zwei Billionen Dollar an Investitionen in Amerikas Verkehrswege, Energie- und Datennetze sowie den Klimaschutz vor. Ein zweites Paket in etwa gleicher Größenordnung sieht eine Überholung der sozialen Infrastruktur einschließlich des Bildungs- und Gesundheitssystems vor.
Die Demokraten wollen die Ausgaben unter anderem mit einer Erhöhung der Unternehmenssteuern von 21 auf 28 Prozent, Mindeststeuern für multinationale Konzerne und höhere Abgaben für Bezieher von Einkommen über 400 000 Dollar im Jahr gegenfinanzieren. Speakerin Nancy Pelosi signalisierte ihrerseits, das erste Paket bis zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli vom Repräsentantenhaus beschließen zu lassen. Nach der Entscheidung der „Parlamentarierin“im US-Senat bräuchten die Demokraten nun keine einzige republikanische Stimme, das Gesetz zu beschließen.
Bemühen um Überparteilichkeit
US-Präsident Biden hält dennoch an seinem Versprechen fest, die Republikaner ins Weiße Haus einzuladen, um deren Ideen zu einer Überholung der maroden Infrastruktur des Landes zu hören. Analysten verstehen das als Zugeständnis an Senator Joe Manchin. Der Demokrat mit dem Spitznamen „Mister 50“macht seine Unterstützung für das Paket von dem Bemühen um Überparteilichkeit abhängig.